Oper

Das Historische ist wichtig

20.12.2013
Der Dirigent und Sänger René Jacobs hat die barocke Oper auf die moderne Bühne geholt. Im Gespräch mit der Opernexpertin Silke Leopold erzählt er über Sternstunden seiner Arbeit und die Grenzen des Machbaren im heutigen Opernbetrieb.
René Jacobs, der einst ein gefeierter Countertenor war, hat sich längst vom Singen verabschiedet und dem Dirigieren zugewandt. Das Wort „Dirigent“ hört René Jacobs allerdings nicht gern, denn den Taktstock-Virtuosen des neunzehnten Jahrhunderts gab es im siebzehnten und achtzehnten noch nicht, und die eigentliche Leistung seiner Wiederbelebung barocker Opern liegt ja - die Gespräche dieses Buches dokumentieren es - vor dem Aufführungsabend: Quellenvergleich, Notenedition, Festlegung von Instrumentierung und Sängerbesetzung, Ausschreiben der Gesangsverzierungen und vieles andere mehr.
In den Gesprächen, die die Musikwissenschaftlerin Silke Leopold mit ihm führte und nun als Buch herausbrachte - durchaus unverhohlene Liebeserklärungen - gibt René Jacobs bereitwillig Auskunft über seinen Werdegang vom Sänger zum Dirigenten, über seine Träume, seine Sternstunden, aber auch die Grenzen des Machbaren im heutigen Opernbetrieb. Man erfährt viel über die englische, französische und deutsche Barockmusik, aber auch über Haydn, Rossini und Mozart, über Sänger, Stimmen und historische Aufführungspraxis.
Ob Reinhard Keisers „Croesus“, ob Telemanns „Orpheus“, ob Opern von Cavalli, Cesti, Conti, Hasse, Graun, Händel, Gassmann oder Monteverdi: René Jacobs ist ein enorm neugieriger Wiederentdecker alter Schätze, sein Repertoire ist vielseitig. Und er arbeitet gern mit unterschiedlichsten Regisseuren zusammen, solange sie das Werk wichtiger nehmen als sich selbst, wie er betont, um den Begriff "Regietheater" zu vermeiden.
Aufschlussreiche Gespräche
Die Gespräche mit ihm vermitteln nicht nur ein facettenreiches Bild seiner Persönlichkeit, sondern können auch als Abriss der Entwicklungsgeschichte der "Historischen Aufführungspraxis" seit den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bis heute gelesen werden. Denn Jacobs hat mit den wichtigsten Musikern dieser Szene zusammengearbeitet, ist mit vielen befreundet und weiß viel zu erzählen. Dabei ist er alles andere als ein Purist oder ein Fanatiker des sogenannten Originalklangs, er will allenfalls "Musik neu erzählen", wie der Untertitel des Buches lautet.
"Das Historische ist wichtig! Ich muß meine Hausarbeit machen. Ich muß schon wissen, wie die Musiker damals phrasiert haben, mit welcher Besetzung sie gespielt haben. Für mich ist dann aber das Wichtigste, nicht zu versuchen, historisch zu sein oder historisch zu rekonstruieren. Denn ich benutze das Historische nicht als Alibi für einen Mangel an Persönlichkeit."
An der hat es ihm tatsächlich nie gemangelt. Die aufschlussreichen und interessanten Gespräche, die Silke Leopold mit ihm führte, belegen es. Auch an Selbstbewusstsein fehlt es ihm nicht. Deshalb bemüht er gar nicht erst den fragwürdigen Begriff der Authentizität. "Ich möchte nicht authentisch sein, ich möchte nicht authentisch Monteverdi machen, weil ich nicht Monteverdi bin. Ich kann eigentlich nur authentischen Jacobs machen."

René Jacobs im Gespräch mit Silke Leopold: Ich will Musik neu erzählen
Bärenreiter Verlag
223 Seiten, 24,95 Euro