Online-Lexika

Wikipedia-Kopie mit rechter Weltsicht

Computertaste mit der Aufschrift "alternative facts".
Konservative Online-Lexika spiegeln spiegeln eine alternative Sicht auf die Realität wider. © imago
Von Teresa Sickert · 09.08.2017
Die Wikipedia propagiere ein linkes Weltbild - das werfen rechte Gruppierungen der Online-Enzyklopädie vor. Deshalb haben sie eigene digitale Nachschlagewerke ins Leben gerufen - mit Fake News, falschen Statistiken und Halbwahrheiten.
Sie heißen Conservapedia, Metapedia oder Infogalactic: die alternativen, vorrangig englisch-sprachigen Wikipedien der rechten Szene. Die seit 2006 aktive, schwedische Metapedia verbreitet rechtsextreme, geschichtsrevisionistische Inhalte.
Die amerikanische Conservapedia ist die gemäßigte Variante der rechts-alternativen Wikis, sagt der Blogger und Publizist Michael Seemann: "Die sind zum Beispiel unzufrieden, wie die Wikipedia das Thema Abtreibung behandelt."

"Die arbeiten tatsächlich viel mit Fake News"

Im konservativen Wikipedia-Klon findet man gleich im ersten Satz einen Verweis auf Schmerzen, die beim Fötus verursacht werden. Im zweiten stellt es die Opfer dar: die abgetriebenen Kinder und die Mütter, die unter den psychischen Folgen der Abtreibung litten.
In der Original-Wikipedia fokussiert man sich auf medizinische Beschreibungen und geht später auf die Zahl der Opfer ein, die an illegalen Abtreibungen verstorben sind. Die Artikel der alternativen Wikis sehen dem Original durchaus ähnlich.
Das liegt daran, dass sie dieselbe Software nutzen. Die ist Open Source und kann von jedem verwenden werden. Auch von Infogalactic. Dies sei die neuste unter den alternativen Wikis, sagt Seemann. "Und wird der sogenannten Alt-Right zugeschrieben wird, das ist die Bewegung, die die neue Rechte in den USA ist, aber sich dann auch mit Internetkultur verknüpft hat." Sie würden viel mit Fake News oder "sehr, sehr irreführenden News" arbeiten: Beispielsweise Nachrichtenseiten wie Breitbart.com, "die eine alternative Sicht auf die Realität widerspiegeln", erläutert der Internettheoretiker Seemann.

Kampf um die Deutungshoheit bei Wikipedia

Infogalactic hat die gesamte Wikipedia geklont, das heißt, alle ihre Inhalte genommen, kopiert und dann die existierenden Artikel ihrer Weltsicht angepasst: Falsche Statistiken wurden herangezogen, Informationen aus dem Zusammenhang gerissen und Halbwahrheiten verbreitet.
Mit dieser Strategie kommen rechte Editoren in der Original-Wikipedia, die sich in ihren Leitlinien einer neutralen Weltsicht verpflichtet hat, nicht weit. Andere Editoren gehen dort nämlich vehement gegen den Versuch einer rechten Deutungshoheit vor: Korrigieren Artikel, blockieren und sperren Nutzer-Accounts.
"Zunächst einmal ist es natürlich ein gutes Zeichen, dass es der rechten Szene nicht gelingt, die eigene Meinung durchzusetzen, weil eine demokratische Mehrheit ihnen nicht die Deutungshoheit überlässt", sagt Robert Lüdecke von der Antonio Amadeu Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzt. Denn genau das sei ja die Strategie von Rechtsextremen und Rechtspopulisten: "Deutungshoheit gewinnen, Themen setzen und mit alternativen Fakten, wie es so schön heißt, die Debatte zu bestimmen."

Alternativ-Wikis als Rückhalt der rechten Medienöffentlichkeit

Der Kampf um die Deutungshoheit im Nachschlagewerk Wikipedia tobt zwar immer noch. Doch ein Teil der rechten Community ist abgewandert. Weil sie in den Mainstreammedien mit der Verbreitung ihrer Ansichten nicht weiterkommt, baut sie sich eine eigene Medienöffentlichkeit auf.
Dazu gehören reichweitenstarke Facebook-Seiten, Blogs, Nachrichtenmedien und eben auch die neuen Online-Lexika, erläutert Robert Lüdecke. "Das, was hier zusammengetragen wird, nutzt die rechte Szene dann, um die eigenen Meldungen vermeintlich zu belegen und zu untermauern." Dort würden nur szene-interne Stimmen zu Wort kommen. Eine ausgewogene Darstellung – wie es bei Wikipedia ausdrücklich Ziel ist – bleibt daher aus. "Insofern sind eigene Wikis der Rückhalt der eigenen Medienöffentlichkeit der rechten Szene."

Noch haben konservative Wiki-Klone wenig Reichweite

Momentan haben die alternativen Wikipedien kaum Reichweite. In den USA rangiert Infogalactic beispielsweise laut Angaben des Digitalmagazins Wired.com auf Platz 18.066 der beliebtesten Internetseiten. Die Wikipedia schafft es in Deutschland auf Platz sieben, in den USA sogar auf Platz fünf.
"Würde ich jetzt einen Strich unter die Rechnung setzen, würde ich sagen, ist doch schön, dass die jetzt in ihren völlig bedeutungslosen Wikis da rumeditieren, während die echte Wikipedia die Deutungshoheit hat", sagt Blogger Seemann. Doch die Szene, die versucht mit rechten, alternativen Ansichten die Deutungshoheit zu gewinnen, wächst.
Breitbart und Fox News können in den USA bereits mit den Mainstreammedien mithalten. So eine Entwicklung könnte sich mit den Wikipedia-Klonen wiederholen, befürchtet Seemann. "Und das ist dann etwas, was ich wirklich für sehr, sehr gefährlich halte, wenn sich tatsächlich eine ganze Infrastruktur an alternativer Wahrheit dann manifestiert und sich so verfestigt, dass man keinen Diskurs mehr zwischen den einzelnen Parteien hinbekommt."
(lk)
Mehr zum Thema