Online-Befragung

Warum ist Internet ein Fremdwort − und Marmelade nicht?

"Denglisch" steht auf der Leipziger Buchmesse auf einem Plakat.
"Denglisch" macht angeblich die Sprache kaputt: Doch welches Wort ist deutsch? Und welches nicht? © dpa / picture alliance / Hendrik Schmidt
Von Hans von Throtha · 22.08.2016
"Mehrheit stört sich an Fremdwörtern - und benutzt selbst welche." Diese Meldung verbreiten heute die Presseagenturen. Zugrunde liegt der Nachricht eine Onlineabstimmung über Fremdwörter, die aber gar keine sind. Wie irre ist das denn?! Uns war das Ganze eine Glosse wert.
Deutschland löst sich auf. Die deutsche Küche wird vom Knoblauch überlagert, die deutsche Mode von der Burka verdeckt, die Namensstatistik von Mohammed und Ayshe auf die schiefe Bahn gedrängt. Das Fremde verdrängt das Deutsche.
Wetten, das gilt auch für die Sprache? Schon gewonnen! Da ist es sogar noch schlimmer. Während die meisten, die die Burka ablehnen, sie auch nicht anziehen, gilt für die Deutschen und ihr Deutsch: "Mehrheit lehnt Fremdwörter ab und benutzt selbst welche."
So lautet die Schlagzeile zur aktuellen Meldung eines Meinungsforschungsinstituts. "Die meisten Bundesbürger", heißt es da, "stören sich am häufigen Gebrauch von Fremdwörtern, verwenden einer aktuellen Umfrage zufolge aber selbst häufig welche."
Et voilà, sag' ich da, oder, pardon, auf gut deutsch: Sieh'ste mal. Das ist genau die Meldung, die die 82 Prozent der befragten über Sechzigjährigen lesen wollen, die gesagt haben: "Wir müssen aufpassen, dass die deutsche Spreche nicht verwässert wird."

Befragung nimmt dramaturgisch Ergebnis vorweg

Aber Vorsicht! Gesagt hat diesen Satz nämlich niemand. Es haben ihm lediglich ein paar hundert Bundesbürger in einer Onlinebefragung zugestimmt, die ihr Ergebnis dramaturgisch vorweggenommen hat:
Nach den Aussagen
"Ich finde, es werden ganz allgemein zu viele Fremdwörter benutzt" ,
"Ich finde, es werden zu viele Anglizismen - Wörter aus dem Englischen - benutzt"
und "Wir müssen aufpassen, dass die deutsche Sprache nicht verwässert wird"
sollten die Befragten einen Wert für den Satz anklicken
"Wie häufig, wenn überhaupt, nutzen Sie die folgenden Wörter und Ausdrücke im Alltag?
– okay,
– Internet,
– cool,
– Handy,
– Sinn machen.
Und das war's dann auch schon.
Also - erst einmal: Ein Anglizismus ist kein Fremdwort aus dem Englischen, sondern die Übernahme einer sprachlichen Struktur wie das zuletzt genannte "Sinn machen" ("making sense"), während Anglizismus selbst sehr wohl ein Fremdwort ist, und zwar ein sehr nützliches, weil es viel Zeit kosten würde, das, was es bezeichnet, jedes Mal zu umschreiben. Das gilt auch für Internet. Oder für Schokolade, Tomate, Alkohol, Pullover, Sauna, Hotel, Rabatt, Tee, Marmelade, Tolpatsch oder Stuss. Alles waschechte Fremdworte. Also alles kein Deutsch?
Eine Sprache ist ein lebendiger Organismus. Sie muss mit der Welt, die sie zu erfassen versucht, wachsen. Hätte man auf die Erfindung des Roboters verzichten sollen, nur weil uns kein gutes deutsches Wort dafür eingefallen ist?

"Okay" kommt von "o.k." - und das ist deutsch

Definition für Fremdwort ist nicht: ein Wort, das aus einer anderen Sprache übernommen wurde, sondern: ein Wort, dessen Übernahme vor so kurzer Zeit erfolgt ist, dass auch Laien seine Herkunft noch erkennen. Internet ist keinen Deut mehr Fremdwort als Marmelade oder Stuss, nur jünger, so wie die Sache selbst.
Handy wiederum ist gar kein Fremdwort. Das Wort konnte nicht aus einer anderen Sprache übernommen werden, weil es in keiner anderen Sprache verwendet wird. Es ist eine rein deutsche Missgeburt. Und "okay" ist lustigerweise im Kern auch deutsch: Das Wort geht auf die Gewohnheit deutscher Drucker in New York zurück, fehlerfreie Druckplatten mit der Abkürzung "o.k." für "ohne Korrektur" abzuzeichnen, was sich auf englisch "okay" spricht, aber trotzdem deutsch bleibt.
Sprache ist verdammt komplex und immer in Bewegung. So wie die Welt durch neue Erfindungen ebenso bereichert wie belastet wird, wird die Sprache durch neue Worte ebenso bereichert wie belastet. Ein paar Worte aus diesem hochkomplexen System herauszulösen, um mal kurz ein bisschen Stimmung zu machen, ist wesentlich ärger für die Gesellschaft als das Internet cool zu finden - zumal wir uns nicht wirklich verstehen würden, wenn ich die Datenautobahn, die der Duden als Alternative zum Internet vorschlägt, als doch eher kühl empfehlen würde.

Google-Recherche: Presseresonanz auf die Meldung am 21. August 2016:
Presseresonanz: Ein Blick in die Suchmaschine zeigt, wie sich die Meldung "Mehrheit lehnt Fremdwörter ab" im Netz verbreitet.
Presseresonanz: Ein Blick in die Suchmaschine zeigt, wie sich die Meldung "Mehrheit lehnt Fremdwörter ab" im Netz verbreitet.© Foto: Screenshot
Mehr zum Thema