Olympia in Rio

Vergiftet von der Doping-Seuche

Sie sehen das Maracana-Stadion in Rio, es leuchtet ein Probe-Feuerwerk für die Eröffnungs-Feier.
Das Maracana-Stadion in Rio bei der Eröffnungsfeier © AFP / Yasuyoshi Chiba
Von Thomas Wheeler · 20.08.2016
Gedopte Athleten, korrupte Funktionäre, unfaires Publikum: Olympia wird in Rio zur Farce, meint Thomas Wheeler. Der Leistungssport braucht endlich wieder Tugenden wie Transparenz und Ehrlichkeit, sonst droht ihm ein schlimmes Ende.
Wissen Sie was, so wie in Rio wird Olympia zur Farce. Warum? Mir fehlt im Leistungssport Transparenz, Ehrlichkeit und Leichtigkeit. Vielleicht sollten wir ja einfach nur auf unsere Kinder schauen. Denn wenn ich bei denen die Ursprünge der Bewegung sehe, und dieses Fangenspielen, Auf- Bäume-klettern oder einfach nur Mit-einem-Ball-Herumbolzen, dann spüre ich Begeisterung, die mir im Leistungssport immer mehr abhandenkommt.
Aber erwarten wir in unserer Leistungsgesellschaft womöglich auch zu viel von diesen jungen Frauen und Männern, die teilweise seit ihrer frühesten Kindheit über die Schmerzgrenze hinaus trainieren, um eines Tages Olympiasieger zu werden? Für dieses Ziel investieren weltweit Tausende harte Arbeit und verzichten dabei auf ein normales Leben. Zweifellos: Es gibt viele schöne Bilder von diesen Sommerspielen in Rio, die ihren Platz in den olympischen Geschichtsbüchern finden werden. Wie zum Beispiel Judoka Majlinda Kelmendi, die überwältigt von ihren Gefühlen auf der Matte lag, als ihr klar wurde, dass sie die erste Olympiasiegerin des Kosovo ist. Oder Lisa Unruh, die sich ungläubig an den Kopf fasste, nachdem sie als erste Deutsche eine Einzelmedaille im Bogenschießen gewonnen hatte.

Fast alle Olympioniken verdienen höchste Anerkennung

Aber es gibt natürlich auch die anderen Bilder, die nachdenklich stimmen und die Frage aufwerfen, warum wir uns diesen ganzen Zirkus überhaupt noch antun? Zum Beispiel der schwere Sturz der Radrennfahrerin Annemiek van Vleuten, der lebensgefährlich aussah, bei dem sich die Niederländerin aber glücklicherweise nicht so schlimm verletzte. Oder der Kreuzbandriss des deutschen Turners Andreas Toba, den er sich bei einer Bodenübung zuzog, aber trotzdem weitermachte, weil er seiner Mannschaft helfen wollte, die durch ihn das Finale erreichte.

Selbstverständlich verdient solch ein Auftritt höchste Anerkennung. Die hätte eigentlich nahezu jeder der insgesamt knapp 11.500 Olympioniken verdient, die in Rio an den Start gegangen sind. Wenn da nicht diese verdammte Doping-Seuche wäre, die die 31. Sommerspiele vor allem durch den staatlich gelenkten Betrug in Russland von Anfang an mit einem giftigen Dunst überzogen hat. Wer jetzt allerdings nur mit dem Finger Richtung Russland, China und Kenia zeigt, ist entweder naiv oder politisch einseitig gesteuert. Denn gedopt wird selbstredend schon seit Jahrzehnten auch in anderen Ländern und damit natürlich ebenso in den westlichen Industrienationen. Also auch in den USA, die einmal mehr einsam und alleine den Medaillenspiegel anführen. Und selbst wenn die Dopingtests immer besser werden, kommen die Ermittler leider meist einen Schritt zu spät. Denn inzwischen wird entweder in Mikrodosierungen oder mit Stoffen gedopt, die kaum oder noch gar nicht nachweisbar sind.
Turner Andreas Toba wird nach seinem Sturz behandelt.
Riss sich das Kreuzband bei Olympia in Rio: der deutsche Turner Andreas Toba© dpa/Lukas Schulze

Fairplay: bei den brasilianischen Fans ein Fremdwort

Damit fliegen in erster Linie Sportler auf, die Substanzen nehmen, die bei Dopingproben leicht zu erkennen sind. Dabei geht die Perversion so weit, dass wie im Falle des disqualifizierten kirgisischen Gewichthebers Issat Artykow sogar Strychnin genommen wird, das im Allgemeinen für seine Verwendung als Rattengift bekannt ist. In was für einer wahnsinnigen Zeit leben wir eigentlich?
Wenn wir dazu noch die Korruption der Funktionäre und Politiker addieren, denen auch in Rio das eigene Wohlergehen wichtiger war, als das der Sportler, habe ich allerdings große Zweifel, dass die Selbstreinigungskräfte aus der olympischen Bewegung kommen können. Dafür sind die Auswüchse mittlerweile einfach zu verheerend. Zudem fanden die Athletenleistungen oft keine Würdigung, denn viele Wettkämpfe fanden trotz erschwinglicher Eintrittskartenpreise vor spärlich besetzten Rängen statt. Das Fanverhalten der Brasilianer war gelinde gesagt eine Frechheit – Fairplay ein Fremdwort. Wen wundert es da, wenn gleichzeitig der irische IOC-Funktionär Patrick Hickey wegen des Verdachts auf Schwarzhandel mit Eintrittskarten und der Bildung einer kriminellen Vereinigung verhaftet wurde. Übrigens ein guter Kumpel von IOC-Chef Thomas Bach. Hat der seinen Laden eigentlich noch im Griff? Beim Umgang mit der russischen Staatsdoping-Krise hat er jedenfalls moralisch und ethisch voll in die Jauche gegriffen.
Sie sehen IOC-Präsident Bach, er gestikuliert mit den Händen.
IOC-Präsident Bach bei einer Pressekonferenz in Rio© picture-alliance / dpa / Michael Kappeler

Wie wäre es mit einer Prämie für saubere Athleten?

Was wir jetzt endlich brauchen, ist eine offene und ehrliche Debatte, welchen Sport wir in Zukunft sehen wollen. Können wir damit leben, wenn unsere Sportler bei Olympischen Spielen ohne Spritze nicht mehr Spitze sind? Frage an die Sportverbände: Wie wäre es mal mit einer Prämie für saubere Athleten? Weg von Leistungsnormen, die geradezu nach Doping schreien. Wenn wir uns dagegen entscheiden, habe ich die leise Hoffnung, dass ich mich wieder mehr für den olympischen Sport begeistern kann. Wenn nicht, sehe ich für das gesamte System schwarz. Dann denke ich, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Spiele wie einst in der Antike untergehen werden.

Thomas Wheeler arbeitet beim Deutschlandradio in der Abteilung Nachrichten und Aktuelles, wo er schwerpunktmäßig den Sport betreut.

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