Olympia im Ost-West-Konflikt

Von Hartmut Goege · 13.04.2005
Kein anderes gesellschaftliches Ereignis fasziniert die Weltöffentlichkeit so sehr wie die Olympischen Spiele. Dass Olympia zu Propagandazwecken politischer Systeme missbraucht wurde, wundert daher nicht. 1980 beschloss das amerikanische Nationale Olympische Komitee den Boykott der Sommerolympiade in Moskau. Den Grund lieferte die sowjetische Besetzung Afghanistans. Es war der Versuch der USA, der kommunistischen Weltmacht Sowjetunion eine wichtige Propagandaplattform zu entziehen. Die Spiele fanden mit 81 Nationen trotzdem statt.
Als zum Jahresende 1979 sowjetische Truppen Afghanistan besetzt hatten, mischten sich in die weltweiten Proteste auch Forderungen nach einem sportlichen Boykott der Moskauer Sommer- Olympiade 1980. Schon drei Wochen nach dem Einmarsch hatte der amerikanische Präsident Jimmy Carter die Olympische Welt mit einem Ultimatum überrascht.

"Nein, weder ich noch das amerikanische Volk befürworten die Entsendung einer amerikanischen Olympia-Mannschaft nach Moskau, während sowjetische Invasionstruppen in Afghanistan stehen. Ich habe heute in einer Botschaft an das amerikanische nationale olympische Komitee meine Position klar gemacht. Nämlich, sofern die Sowjet-Truppen nicht innerhalb eines Monats aus Afghanistan abgezogen sind, sind die olympischen Spiele von Moskau an einen oder mehrere andere Orte zu verlegen, oder aufzuschieben oder abzusagen."

Alles deutete auf ein Kräftemessen der amerikanischen Regierung mit dem Internationalen Olympischen Komitee hin, das seine Unabhängigkeit gefährdet sah. Der Antrag des amerikanischen NOK, die Spiele zu verlegen, wurde deshalb im IOC erwartungsgemäß abgelehnt. In einer Abschlusserklärung hieß es:

"Alle Nationalen Olympischen Komitees sind an die olympischen Regeln gebunden. Sie allein können Einladungen zu Olympischen Spielen annehmen oder ablehnen. Das IOC kann die politischen Probleme in dieser Welt nicht lösen."

Vom 12. auf den 13. April 1980 beriet darüber das amerikanische NOK in Colorado Springs. Umfrageergebnisse hatten gemeldet, dass 70 Prozent der US-Bürger für einen Boykott wären. Und noch einen Tag vor dem Treffen hatte Vizepräsident Walter Mondale die Delegierten ermahnt, von ihrer Entscheidung hänge "die künftige Sicherheit der zivilisierten Welt" ab. Gleichzeitig lockte er mit großzügiger finanzieller Hilfe für die Olympiade 1984 in Los Angeles. So war es kein Wunder, dass schließlich die Mehrheit der 2.500 NOK Mitglieder für einen Boykott stimmte. Sowjetische Zeitungen reagierten kaum oder meldeten in lapidarer Kurzform:

"Die Feinde der Olympischen Spiele können unsere Spiele nicht stoppen!"

Die olympische Bewegung entwickelte sich über Monate zum Spielball politischer Interessen. Selbst die Volksrepublik China plädierte in ihren Staatsorganen für einen Boykott gegen den kommunistischen Rivalen:

"Würde man den sowjetischen Hegemonisten nicht einen großen Gefallen tun, wenn die Olympischen Spiele ungeachtet der Okkupation Afghanistans in Moskau stattfänden?"

Bundesdeutsche Politiker und Sportfunktionäre gerieten als amerikatreue Verbündete zwischen die Fronten des amerikanisch-sowjetischen Prestigestreits. Die US- Regierung erwartete von der Bonner Republik unter Kanzler Helmut Schmidt Solidarität in der Boykottfrage. Als damaliger Innenminister war Gerhard Baum auch für den Sport zuständig:

"Und wir wollen nun in der nächsten Woche dem deutschen Sport eine Empfehlung geben, über deren Inhalt ja kein Zweifel mehr besteht, weil wir einfach der Meinung sind, dass wir in einer solchen wichtigen Frage, auch als Regierung nicht schweigen können."

Anders als die Regierung plädierten die meisten Sportler wie die bundesdeutsche Bevölkerung in Umfragen für eine Teilnahme. Unter dem Druck der Politik aber hatte der einflussreiche Präsident des Deutschen Sportbundes Willy Weyer sich vom Boykottgegner zum Befürworter gewandelt. "Begründung, die Amerikaner sind die wichtigsten Verbündeten für uns in Deutschland, also eine politische Argumentation. Es ist undenkbar, dass Spiele des Friedens in einem Land stattfinden, das einen Krieg gegen ein kleines Volk führt."

Die politischen Argumente setzten sich durch. Am 15. Mai 1980 beschloss auch das deutsche NOK den Boykott. Insgesamt verzichteten auf eine Teilnahme 64 Nationen, nur 81 trafen sich in Moskau. Der deutsche NOK- Präsident Willy Daume hatte vergeblich gewarnt:

"Selbstverständlich kämen die folgenden olympischen Spiele 1984 in Los Angeles automatisch auch in eine Krise, wenn die Moskauer Spiele praktisch durch die Absage vieler westlicher Länder zu einer Farce würden."

Daume sollte Recht behalten. Vier Jahre später blieben die UdSSR und weitere 15 Länder den Spielen in Los Angeles fern, wegen angeblich mangelnder Sicherheitsmaßnahmen.