Olympia 2016

Guanabara-Bucht in Rio versinkt in Müll und Dreck

Die verschmutzte Guanabara-Bucht in Rio.
Die verschmutzte Guanabara-Bucht in Rio. © Stefanie Dodt
Von Stefanie Dodt · 03.08.2016
Die Guanabara-Bucht in Rio de Janeiro ist Austragungsstätte der Olympischen Sommerspiele. Die Bucht, 380 Quadratkilometer groß, ist völlig verdreckt. Wie geht es den Menschen, die an der Guanabara-Bucht leben?
Die Riemen von Veralúcias schwarzen Flip-Flops sind mit silbernen, glitzernden Steinchen besetzt. Fremdkörper, die über ein Bett von Flaschendeckeln, Einmalgläsern, über Fetzen von Styropor, einen weißen Eimer und eine verrottete Kokosnuss balanciert werden. Über Holzstämme, zerbrochene Fliesen und zerrissene Plastikflaschen, die den schwarz-grauen Schlick verdecken. Weiß, grün, grau, dazwischen die braunen Knospen der Mangroven. Ein Boden voller Farben, aber sie sind alle fahl. Nur Veralúcias Flip Flops glitzern.
Veralúcia, 56 Jahre alt, ist eine kleine, schmächtige Frau mit schwarzen Haaren und kleinen, dunklen Augen. Sie greift nach einer Plastikflasche und einem roten Öl-Kanister, die typischen Fundstücke vor ihrer Haustür. Ein Vorgarten als Mischung aus Baustelle, Müllhalde und Holzlager.
"Wir sammeln säckeweise Müll und bringen ihn weg. Aber nach drei bis vier Tagen ist alles wieder dreckig. Gerade erst haben wir alles sauber gemacht, ich und meine Enkel – nicht wahr, Alana? Aber mit der Flut war der ganze Müll wieder da. So ist das, wir räumen und räumen, aber voran kommen wir nicht."

"Der ganze Dreck macht mir Angst"

Veralúcias Haus steht in Tubiacanga, einer sogenannten informellen Siedlung, in der man Haus und Grund nicht offiziell kauft, sondern ein freies Stück Land selbst bebaut. Ein Armenviertel mit 3.000 Bewohnern, so die Schätzungen. Das "Postkarten"-Rio liegt nur zwanzig Kilometer weiter südlich. Der Strand der Copacabana, das blaue Atlantik-Wasser von Ipanema – und der Zuckerhut, an dem die 384 Quadratkilometer große Guanabara-Bucht beginnt. Die Bucht schlängelt sich vorbei an den Stränden von Botafogo und Flamengo im reichen Süden, am Geschäftszentrum Rios, unter der Verbindungsbrücke in die Stadt Niteroi hindurch und umgibt die Insel Ilha do Governado, Standort des internationalen Flughafens der Olympiastadt. Hier direkt hinter dem Flughafen liegt Tubiacanga, das auf der Landkarte aussieht, wie eine kleine Flosse der Flughafeninsel. Hier an dieser Stelle der Bucht ist die Konzentration von Müll und Verschmutzung besonders hoch.

Die 11-jährige Alana steht am Rande des Hauseingangs und beobachtet ihre Großmutter Veralúcia. Dann zieht sie die Augenbrauen zusammen und stemmt ihre Arme in die Hüfte. Sie trägt ein türkisfarbenes, mit Kreisen und Herzen gemustertes Jäckchen über ihrem braunen Oberteil. Die langen, braunen Haare hat sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
Alana: "Ich bin viel zum Spielen hierher gekommen. Aber jetzt halte ich mich lieber fern. Der ganze Dreck macht mir Angst. Hier sind schon tote Pferde aufgetaucht, tote Katzen, tote Hunde. Der Schädel des Hundes lag genau hier. Genau dort, wo wir Kinder eigentlich spielen."

Veralúcia Freitas auf einem Steg in der Bucht von Guanabara.
Veralúcia Freitas auf einem Steg in der Bucht von Guanabara.© Stefanie Dodt
Es sind keine fünf Meter, die Veralúcias Haus und das Ufer der Guanabara-Bucht trennen. Der untere Bereich der Hauswand ist grob mit Zement bedeckt, fleckig und grau. Der obere Stock ist rot-bräunlich, die Farbe der unverputzten Ziegelsteine. Dazwischen stützt ein Bambus-Ast die Wäscheleine, an der schwarze Hosen und T-Shirts, ein weißes Handtuch und eine blau-weiß gemusterte Hose hängen. Dort, wo der Schlamm beginnt, liegt ein hölzernes Fischerboot im Trockenen. Ein kniehohes Brett steht in der Eingangstür von Veralúcias Haus, als Bremse für den Müll.
Veralúcia: "Der Schmutz kommt bei mir zur Haustür rein. Ich will da etwas aus Zement hinbauen, damit nichts mehr reinkommt. Wenn es regnet, ist es besonders schlimm. Und wenn es windig ist, dann kommt unglaublich viel Dreck."

Vor 35 Jahren noch eine Oase

So sah es hier nicht immer aus. Als Veralúcia mit ihrem Mann vor rund 35 Jahren hier ein Haus baute, glaubten sie, eine Oase gefunden zu haben.
"Das kannst du dir nicht vorstellen, wie das früher hier aussah. Als meine Kinder klein waren, konnten wir direkt hier baden, das war SO sauber! Genau hier haben wir uns Stühle aufgestellt, den Blick genossen. Und jetzt? Darf man nicht mal mehr mit dem Wasser in Berührung kommen. Weil man sonst ganz sicher krank wird."
Veralúcia steigt über das Brett, die Bremse für den Müll, hält die Gardine zur Seite, die mit einer Wäscheklammer an einem Stück Wellblech befestigt ist und steht in ihrem Haus. Rechts neben dem Eingang zeigt sie in ein kleines Zimmer, das Fenster mit Blick zur Bucht. Geradeaus im Wohnzimmer läuft der Fernseher, auch wenn niemand hinsieht.
Alana: "Das hier ist mein Schlafzimmer. Das Fenster öffne ich lieber nicht, damit der Gestank nicht hereinzieht."
Veralúcia: "Im ganzen Haus gibt es Fliegengitter. Wegen der Moskitos."
Die sogenannten Fliegengitter, auf die Veralúcia zeigt, sind löchrige, an die Fenster genagelte Stoffe. In der modrigen Guanabara-Bucht nisten besonders viele Moskitos, die Viren wie Dengue und Zika übertragen. Veralúcia lag schon mit Dengue-Fieber im Krankenhaus, ihre Tochter mit Zika. Im Wohnzimmer greift sie nach einem Bild, auf dem ein Mann kniend neben einem Fischernetz zu sehen ist. Er zeigt dem Fotographen seine Fänge: allerlei Müll.
"Das ist mein Mann. Er ist immer fischen gegangen. Ich bin sogar mal mit ihm gemeinsam fischen gegangen. Er ist 2012 gestorben. Er hat sich beim Fischen eine Infektion am Zeh zugezogen. Der Arzt sagte, diese Infektion im Fuß sei der Auslöser seiner Krankheit gewesen und habe sich dann über das Blut auf das Bein und den Rest des Körpers ausgebreitet. Er ist daran gestorben."

Kontaminiert mit multiresistenten Keimen

Jetzt lebt Veralúcia von der Pension ihres Mannes. Ihr Sohn geht weiter fischen, auch wenn er weiß, dass die Bakterien und Keime in der Bucht tödlich sein können. Wissenschaftler brasilianischer Universitäten und Forschungsinstitute gehen davon aus, dass das Ausmaß an Krankheiten, die bei Kontakt mit dem Wasser der Guanabara-Bucht übertragen werden, gefährlich hoch ist und bezeichnen die Verschmutzung als Bedrohung für Mensch und Natur. Sie konnten vor allem Kolibakterien und multiresistente Keime nachweisen in einer Menge, die sich weltweit nur mit stark kontaminierten Buchten vergleichen lässt.
Ein paar Schritte neben Veralúcias Haus beginnt ein Holz-Steg, der über die Schlammmasse bis in das trübe Wasser ragt. Am Ende des Stegs steht Sergio Ricardo, 48, Umweltschützer und Aktivist, neben einem weiß-blauen Fischerboot. Die Mittagssonne brennt auf seine kahle Stirn.
Sergio Ricardo: "Die Verseuchung der Bucht hat verschiedene Quellen. Eine davon ist das Industriegebiet in der Bucht. Das hier ist das zweitgrößte Industriegebiet ganz Brasiliens. Zweitgrößte Verschmutzungsquelle ist das Abwasser von 10 Millionen Menschen, das täglich fast ungeklärt über angrenzende Flüsse in die Bucht fließt. Und zusätzlich wird sehr viel Müll angeschwemmt."

18.000 Liter Abwasser pro Sekunde

Das ist der Müll, der täglich in die Bucht geleitet wird aus Haushalten und auch Krankenhäusern. Es sind 813 Tonnen loser Müll täglich, so die Schätzung der Wissenschaftler und 18.000 Liter Abwasser pro Sekunde. Ein Spiegelbild der Lebensbedingungen rund um die Guanabara-Bucht. Allein vier Millionen Menschen leben in Gebieten, die selten an ein Abwassersystem angeschlossen sind. Die Folgen für die Gesundheit sind immens. In Duque de Caxias zum Beispiel, einer Armensiedlung in Sichtweite von Veralúcias Haus, liegt die Kindersterblichkeit bei 24 Prozent. Hinzu kommt das Abwasser der Industrien. Und dann sind da noch die Nachwirkungen von einem Unfall beim halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras, der in der Bucht Öl fördert. 2000 brach eine Pipeline, 1,3 Millionen Liter Öl flossen in die Bucht.
Sergio Ricardo: "Das Öl-Leck am 18. Januar 2000 war eine der größten Umweltkatastrophen überhaupt in Brasilien. Hier kam das Öl in ganzen Wellen in den Mangroven an. Der Fischfang in der Guanabara-Bucht ist zu 90 Prozent eingebrochen. Lasst uns das Gebiet der Ölindustrie mal anschauen."
Schon nach ein paar Minuten Bootsfahrt erkennt man deutlich die Silhouette der Raffinerie des Öl-Konzerns Petrobras, die lodernden Flammen über den Fackelrohren. Je weiter man fährt, desto weniger Müll schwimmt auf dem Wasser, aber es bleibt eine dunkle Brühe. Gemeinsam mit dem Umweltaktivisten Sergio Ricardo ist Dawid Bartelt an Bord, der Leiter der grünen Heinrich Böll Stiftung in Brasilien.
Dawid Bartelt: "Zwei Dinge können wir von hier aus sehr gut sehen. Direkt vor uns ist die stillgelegte Müllkippe Gramacho. Damals die größte Müllkippe Lateinamerikas. Diese Müllkippe sondert Gifte ab, hat einen Ausfluss, der direkt in die Bucht eingeleitet wird. Und dann haben wir hier: In den letzten Jahren siedeln sich hier diverse Zweige der Erdölindustrie und erdölindustriebezogenen Unternehmungen an."

Olympia 2016 war Hoffnungsträger

Dass es in diesem Wasser überhaupt noch Lebewesen gibt, ist einem 40 bis 60 Meter tiefen natürlichem Kanal zu verdanken, über den sauberes Atlantik-Wasser in die Bucht strömt. Rund 500 Fischer leben in Tubiacanga, in der gesamten Bucht sind es 20.000, sagt der Vorsitzende der Fischervereinigung, Alex Sandro Santos. Für ihn war Olympia 2016 eine Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. Denn mit dem Zuschlag kam das Versprechen der Regierung, die Wasserqualität für die Olympischen Wettbwerbe sicherzustellen.
Alex Sandro Santos: "Das Olympia-Vorhaben hat zunächst mal viel Geld gebracht, aber genutzt wurde es nur für ein bisschen Kosmetik. Das erhoffte Erbe von Olympia, die Säuberung der Bucht, das wird es nicht geben. Das hätte die Lebensbedingungen der Fischer und der Anwohner enorm verbessert. Mit weniger Müll, besserem Wasser, weniger Menschen, die das Wasser krank macht. Aber das wird es alles mit Olympia nicht geben."

Hier an der verschmutzten Guanabara-Bucht in Rio leben die Menschen in Armut. 
Hier an der verschmutzten Guanabara-Bucht in Rio leben die Menschen in Armut. © Stefanie Dodt
Der Olympia-Bürgermeister, der Bürgermeister der Stadt Rio de Janeiro, ist Eduardo Paes. Er räumt ein, dass die Guanabara-Bucht nicht gerade zu den Vorzeigeprojekten angeblich nachhaltiger Spiele gehört.
Eduardo Paes: "Die Regierung des Bundesstaates Rio wollte vor Olympia die Klärung des Abwassers, das in die Bucht fließt, auf 80 Prozent erhöhen. Das haben sie nicht erreicht, sondern 60 Prozent. Das ist aber kein Problem für die Olympischen Spiele. Die Segelwettbewerbe werden am Eingang der Bucht stattfinden, zu einer regenarmen Zeit, deshalb wird es keine Probleme geben. Aber es ist sehr schade für die ganze Region, die an die Guanabara-Bucht angrenzt, dass das Potenzial von Olympia nicht für eine Veränderung zum Besseren genutzt wurde."
60 Prozent weniger ungeklärtes Abwasser in der Bucht? Auf diese Aussage des Bürgermeisters angesprochen, wird der Vorsitzende der Fischervereinigung Alex Sandro Santos wütend.
Alex Sandro Santos: "In Wirklichkeit ist hier nichts gereinigt. Er sollte mal sein Büro verlassen und sich mit der Wahrheit beschäftigen. Dann wird er schon sehen, wie sauber die Guanabara-Bucht ist. Ich lade ihn hiermit ein, morgen genau hier mit mir schnorcheln zu gehen. Wird er ins Wasser gehen wollen? Wird er nicht! Das sind doch alles Lügen."

Fische züchten in ehemaligen Erdöltanks

Vertrauen schenkt der Fischer nur noch seinen eigenen Projekten. Er glaubt daran, dass die Guanabara-Bucht noch zu retten ist. Noch sei die Biodiversität erstaunlich groß, auch wenn viele Spezies schon verschwunden seien. Gemeinsam mit anderen Fischern versucht er, gegen weiteres Artensterben zu kämpfen, zum Beispiel auf einer Insel mitten in der Bucht.
"Wir haben ein Projekt auf der Insel Ilha seca. Dort liegen ehemalige Erdöltanks, in denen wir Fische züchten wollen, um sie dann wieder in der Bucht auszusetzen. Diese Insel gehörte mal der Erdölindustrie und ist seit 50 Jahren verlassen. Die Idee ist entstanden, als wir Fischer bei schlechtem Wetter immer wieder Zuflucht auf der Insel gesucht haben."
Die olympischen Spiele in Rio waren eine Chance, die Aufmerksamkeit für die Guanabara-Bucht zu nutzen und die Verschmutzung nachhaltig zu verbessern. Doch das Ziel, 80 Prozent des Abwassers zu klären, wurde nun von der Regierung des Bundesstaates Rio de Janeiro auf das Jahr 2018 verschoben. Sollte das Ziel erreicht werden, wäre der Gewinn für die Menschen an der Guanabara-Bucht zwar verspätet, aber er wäre enorm. Doch bislang spüren die Bewohner von Tubiacanga von einer Säuberung nichts. Veralúcias Blick streift den Müllberg vor ihrer Haustür und bleibt an einem im Schlamm steckenden Fischerboot hängen.
Veralúcia: "Es ist doch seit Jahren so und es wird immer schlimmer. Je länger alles braucht, desto schlimmer wird es. Das macht uns einfach traurig, dass die Regierung nichts unternimmt, um unsere Situation zu verbessern. So viele Menschen werden für die Olympischen Spiele nach Rio kommen. Sie werden enttäuscht sein bei dem ganzen Schmutz. Das ist mir richtig peinlich."
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