Ohne Noten zum Kern

Von Tobias Wenzel · 20.10.2011
Der hessische Autor Jan Costin Wagner schreibt anders, ist vielleicht der literarischste aller deutschen Krimiautoren. Was viele aber nicht wissen: Der Mann, der mit seinem finnischen Ermittler Kimmo Joetnaa international bekannt wurde, ist auch Musiker.
"Tatsächlich, glaube ich, fließt Musik und Melodie und Klang unwillkürlich in die Romane ein. Auch in der Sprache selbst. Also in der Sprache selbst will ich eigentlich immer, wenn ich das Gefühl habe, dass es gelingt, den Eindruck haben, dass die Melodik da ist, dass es die richtige ist, dass es meine ist."

Ein kleines, buntes Zirkuszelt ist neben dem schwarzen Klavier aufgebaut, zwei Plastikelefanten liegen auf der Seite, als wollten sie dösend der Musik lauschen, die Jan Costin Wagner macht. Der schwarze Lack des Klavierhockers ist teilweise abgeblättert, lässt ahnen, wie oft der 39-jährige Autor - schlank, schulterlange dunkle Haare, Hundeblick - hier im Wohnzimmer am Klavier seiner Kindheit sitzt und eigene Kompositionen spielt. Das tut er auch bei öffentlichen Lesungen aus seinen Finnland-Krimis:

"Weiß das Bett und die Bettdecke. Medizinische Gerätschaften, Schläuche, Elektronik, Technik, die merkwürdig alt aussieht, gebraucht, benutzt. Der wiederkehrende, sanfte, summende Ton verklingt in der Stille wie damals die Klänge des Klaviers, einige Zeit, nachdem sie die Tasten angeschlagen hatte."

Eine Koma-Patientin wird ermordet in "Das Licht in einem dunklen Haus", in Jan Costin Wagners neuem Kriminalroman. Töne der Intensivstation überblendet der Autor mit Musik aus der Erinnerung. Überall lauert Musik in den Romanen von Jan Costin Wagner. Die Lust, ohne Noten Klavier zu spielen, geht zurück auf seine Kindheit, die er im hessischen Heusenstamm verbrachte, und auf seinen Musiklehrer:

"Das war ein sehr, sehr netter, guter Lehrer, der mir sogar ermöglicht hat zu komponieren, was ich damals schon wollte, obwohl ich es natürlich gar nicht konnte. Und der hat es trotzdem mit mir gemacht. Nur irgendwann hat er dann - verständlicher Weise - gesagt, dass wir jetzt auch mal nach Noten spielen müssten. Und dann bin ich eigentlich abgesprungen und hab Fußball und Tennis gespielt."

Fußball liebt Jan Costin Wagner bis heute. Aber das Gegröle der Fans, ihre unreflektierten Kommentare im Stadion, war seine Sache nicht. Ebenso wenig wie die schiefen Fangesänge. Hat er also damals als Anhänger von Eintracht Frankfurt nie Sätze wie "Schieri, wir wissen, wo dein Auto steht" angestimmt?

"Ja, manchmal habe ich sogar mitgesungen. Stimmt, so ganz am Anfang habe ich dann sogar zumindest die Refrains, die eine schöne Melodie hatten, mitgesungen. Das war in der Kindheit, das habe ich dann irgendwann sehr schnell abgelegt. Mit der finnischen Mannschaft bin ich bis heute Fan, weil das so eine tragische Mannschaft ist. Eigentlich tolle Spieler, scheitern aber immer. Und da bin ich auch mit Herz und Seele Fan und würde wahrscheinlich jeden Refrain mitsingen, egal, was da gesungen wird."

Im letzten Jahr hat Jan Costin Wagner seine erste CD aufgenommen. Ein Gitarrist hatte ihn auf einer Lesung Klavier spielen hören und gefragt, ob der Krimiautor mit dem feinen Gespür für Sprache und die Innenwelt seiner Figuren nicht Lust hätte, ein Album aufzunehmen. Aus dieser Zufallsbegegnung entstand die CD "behind the lines". Auch zufällig kam Jan Costin Wagners emotionale Nähe zu Finnland.

"Vorher wusste ich nur, dass Finnen diese milchgesichtigen Skispringer sind, die immer gewinnen. Also, das war tatsächlich damals meine Assoziation zu Finnland, als ich meine Frau traf. Meine Frau sagte: 'Ich komme aus Finnland' - sie war 19 ich war 17, wir waren beide sehr jung - und ich habe sofort an Matti Nykänen gedacht und diese Skispringer.

Und dann bin ich kurz darauf zum ersten Mal nach Finnland und hatte keine Ahnung ehrlich gesagt, was mich erwartet. Ich hatte noch nicht mal eine rechte Ahnung, wo das liegt."

Aus dem unbekannten Land wurde eine zweite Heimat. Heute lebt Jan Costin Wagner mit seiner Frau, einer Malerin, teils in Finnland, teils in einem kleinen Ort in der Nähe bei Frankfurt. An den Wänden im Wohnzimmer hängen die bunten, meditativen Bilder seiner Frau. Hier spielt der Autor Klavier, auf der Suche nach dem, was er den "emotionalen Kern" nennt. Auch im Schreiben. Wo man nur hinsieht und -hört in diesem Haus: überall Kunst.

"Das stimmt, es ist viel, viel Kunst. Man müsste mal Venla fragen, unsere Tochter, weil: Sie ist noch guter Dinge. Und sie muss keine Künstlerin werden. Aber sie wird eine, glaube ich. Sie macht ja alles. Also sie macht Bücher, die sie selbst illustriert und betextet. Also sie hat bisher sich als Universalkünstlerin etabliert. Aber mal schauen, in welche Richtung sich das noch bewegt."

Und in welche Richtung bewegt sich Jan Costin Wagner? Es werden sicher neue Romane über den Ermittler Kimmo Joentaa, der um seine verstorbene Frau trauert, erscheinen. Und vielleicht ja auch eine zweite CD mit eigenen Liedern. Lieder im Plural. Bis er in einer Jugendband spielte, gab es nämlich nur ein einziges eignes Lied für Jan Costin Wagner:

"Ich habe tatsächlich über Jahre hinweg dasselbe Lied gespielt. Weil ich keine Ahnung hatte von der Theorie, die man ja auch schon kennen muss, um auch komponieren zu können. Das war so eine recht klassische, von C-Dur ausgehende Melodik, die aber so einen Schwenk hatte, der mir damals schon gefallen hat, auch wenn meine Eltern wahrscheinlich ziemlich entnervt waren, als ich es zum tausendsten Mal gespielt hatte."

Programmtipp:
Mehr von Jan Costin Wagner gibt es am Samstag hier im Deutschlandradio Kultur in der Reihe "Lesung". Um 17.30 liest der Autor aus seinem neuen Roman "Das Licht in einem dunklen Haus".

Service:
Jan Costin Wagners CD heißt "behind the lines" und ist beim Label acousticland erschienen.
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