Ohne Affekt

Von Gerd Brendel · 13.03.2010
Das Berliner Haus der Kulturen der Welt sucht angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise nach einer neuen "Kultur der Wut" und unterstützt dies Suchen mit ausgewählten Kunstwerken. Leider sind diese ausnahmlos alle sehr verkopft, authentische Wutausbrüche sind nicht vorgesehen.
Früher gab es im Reklamefernsehen das HB-Männchen. Das schlug in jedem Spot vor Wut alles kurz und klein, weil der eingeschlagene Nagel nicht hielt oder der Liegestuhl immer wieder zusammenklappte. Das Reklamemännchen ging dann jedes Mal zornesrot wortwörtlich in die Luft.

Die Installation von Jimmie Durham in der Ausstellung "Über Wut" sieht so aus, als hätte das HB-Männchen vergeblich versucht, ein Filmset für einen Western zu zimmern. Die Überbleibsel seines anschließenden Wutanfalls liegen überall herum: Sperrholzplatten, ein paar Autotrümmer. Eine Theke mit zertrümmerten Wiskeyflaschen erinnert an die Theke eines Wildwest-Saloons.

Natürlich geht es Jimmie Durham um mehr als zerstörerische Wutanfälle. Seine Installation erzählt von der Vertreibung und Ermordung der amerikanischen Ureinwohner: "Nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer" steht an einem Pfosten. In der stilisierten Westernkulisse erzählt Durham von der Unterdrückungsgeschichte seiner Landsleute. Mit Wut hat das wenig zu tun, eher mit der kritischen Interpretation von Geschichte:

"Wer hat die Macht und warum lassen wir zu, dass unsere Zivilisation zerstört wird? Das sind die wichtigen Fragen. Es geht darum, wie man feindliche Umstände transzendiert."

Valery Smith hat die Ausstellung "Über Wut” im Haus der Kulturen der Welt kuratiert. Durhams raumgreifender Installation hat sie nur wenig weite Werke zur Seite gestellt, die vor allem eins thematisieren:

"Wie Künstler auf Umgerechtigkeit mit Intoleranz, Bigotterie, Rassismus, Unterdrückung reagieren."

Regina Jose Galindo zum Beispiel. Zur Eröffnung am Samstagabend ließ sich die aus Guatemala stammende Künstlerin auf einem Zahnarztstuhl mitten in der Ausstellung ihre Gold-Füllungen herausbohren. Ein Kommentar zur Ausplünderung ihres Heimatkontinents, der unter die Haut geht.

Oder Michael Rakowitz: Durch seine Rekonstruktion des Ischtar-Tors gelangt der Besucher in die Ausstellung. Beim genauen Hinsehen entpuppt sich der Nachbau als Kopie der Kopie, die Sadam Hussein am historischen Fundort aufstellen ließ. Rakowitz allerdings, der aus einer irakisch-jüdischen Familie stammt, klebte seinen Nachbau aus Lebensmittelverpackungen zusammen. In der gleichen Technik präsentierte er andernorts auch schon Pappkopien gestohlener Kunstwerke aus dem archäologischen Museum in Bagdad: Kunstschätze als Wegwerfartikel im globalisierten Kapitalismus.
"Man kann ein großes fettes Bild malen und die ganze Wut da reinlegen, man kann aber auch einen intellektuellen und konzeptionellen Prozess beginnen, an dessen Ende ein Werk steht, das die Leute zum Nachdenken bringt."

Zum Nachdenken fordert auch die Videoisntallation des Künstlerkollektivs "reloading images” heraus

"Wenn wir über Wut nachdenken, ist für uns der Affekt nicht interessant, sondern eher das mögliche tranformatorische Potential von Wutzuständen, dass wir untersuchen wollen."

Der Berliner Kaya Baeykalam und seine Kollegen legten Schauspielern aus Irland, dem Iran und den USA ein Stück über eine fiktive Revolution vor und ließen die Darsteller dazu zu improvisieren.

"Der Irländer, der die Erfahrungen der Hungerstreikenden reinbringt, die Iranerin, die sich bezieht auf die Bürgerrechtsbewegung innerhalb des Irans, aber auch auf die Aufrechterhaltung dieses Begriffs seit 1979, was zur leeren Worthülse wird, der Amerikaner bezieht sich ausschließlich auf Hollywood-Filme."

Ein spannender Ansatz, aber leider wirken die Schauspieler im Video seltsam verklemmt und verkopft. Ganz so wie der Rest der Ausstellung und das Begleitprogramm: Auch die angekündigten Vorträge handeln vor allem von neuen Protestkulturen und globaler Ausbeutung. Authentische Wutausbrüche, wie sie der Titel verspricht, sind nicht vorgesehen. Keine einzige Referenz an die reiche Wuttradition vom heiligen Zorn der Propheten und Religionsstifter von Moses bis Jesus im Tempel findet sich im Programm, und nirgends ein Raum, wo der authentische Affekt zu seinem Recht käme.

So bleiben Ausstellung und Begleitprogramm hinter dem Titel zurück, so als ob die Ausstellungsmacher den Wutimpuls nur in seiner quasi geläuterten und domistizierten Form als Moitiv für wertvolle moralische Bewusstseinsarbeit ertragen könnten. Es ist zum in die Luft gehen.

Wut verspürt am Ende nur der Besucher. Am Ende der alten Fernsehreklame greift das HB-Männchen zum besänftigenden Glimmstengel. Bei der Vernisage versammelten sich auffällig viele Raucher vor den Aschenbecher draußen am Eingang.

Service:
Das Program "Über Wut" im Berliner Haus der Kulturen der Welt mit Ausstellung, Vorlesungen und einem "Wut-Gipfel" Anfang Mai läuft bis zum 9.5.2010.