"Oh, Sport! Du Göttergabe, du Lebenselixier"

Von Bernd Sobolla · 27.07.2012
Von 1912 bis 1948 gab es bei Olympia auch Wettbewerbe und Medaillen für Dichter, Bildhauer, Musiker, Maler, Architekten – mit teilweise kuriosen Ergebnissen. Ein Dokumentarfilm von Alexa Oona Schulz erzählt die Geschichte dieser Disziplinen.
Etwa um 1880 hat der Franzose Pierre de Coubertin die Idee, die Olympischen Spiele wiederzubeleben. Beeinflusst durch die Ausgrabungen im griechischen Olympia und inspiriert durch eine Reise nach England, wo ihn die Sporterziehung beeindruckte. Für ihn spiegelt sich im sportlichen Wettkampf die Dynamik des modernen Lebens wider:

"1896 finden diese modernen Spiele zum ersten Mal statt. Coubertin will mit der Verbindung von Sport und Kunst den Körper und den Geist wieder zusammenführen. Denn in der modernen industrialisierten Welt ist diese Einheit verloren gegangen."

Das Olympische Komitee besteht aus Leuten der Oberschicht, denn damals ist der Sport ein Teil des adligen Lebens. Coubertin aber will die Massen für den Sport begeistern. Der Film zeigt die Entstehungsgeschichte der Spiele, wechselt aber immer wieder geschickt zu den Künstlern, die an ihren Werken für die Olympiade 2012 arbeiten, zum Beispiel die Malerin Antonia Gerke:

"Wenn jemand an den Startblock geht von einem 100-Meter-Lauf, da ist nichts gespielt, da ist kein Gesicht gesetzt. Das ist pures Im-Moment-sein und Mit-sich-sein. Das ist schon wahnsinnig schön. Und es ist nicht viel anders als die Opernsängerin, die inmitten der Arie steckt oder die Malerin, die versunken ist."

Coubertin schlägt vor, die Olympischen Spiele mit Kunstwettbewerben zu veredeln, 1912 in Stockholm soll es soweit sein:

"Aber die schwedischen Künstler lehnen die Wettbewerbe strikt ab. Denn sie finden es ganz und gar unmöglich, sich der Bewertung einer Jury zu unterziehen."

Schon hier wird deutlich, dass das IOC ein Machtinstrument ist. Man droht den Schweden mit "Krieg" und sie geben nach. Aber weder Sport noch Kunst bleiben frei von Verfehlungen. Mit der "Ode an den Sport" gewinnen George Hohrod und Martin Eschbach den ersten Literaturwettbewerb:

"Oh, Sport! Du Göttergabe, du Lebenselixier, der fröhlichen Lichtstrahl wirft in die arbeitsschwere Zeit. Der du ein Bote bist der längst vergangenen Tage…"

Einziger Schönheitsfehler: Die beiden Herren existieren nicht. Hinter dem Gedicht steht Coubertin selbst. In den 20er-Jahren werden die Kunstwettbewerbe immer populärer und erreichen ihren künstlerischen Höhepunkt, wie die amerikanische Kunsthistorikerin Joann Skrypzak erläutert:

"Stilistisch rangieren die Arbeiten zwischen Realismus, wie Willi Jäckels 'Boxkampf', und Avantgarde, mit Willi Baumeister als herausragendstem Vertreter ... Sein Werk ist zwar noch gegenständlich, zeigt aber schon Anklänge an die Neue Sachlichkeit oder sogar an den Konstruktivismus."

Künstler und Intellektuelle erkennen die Boxer, die meist aus unteren sozialen Milieus stammen, als faszinierende Figuren. George Grosz zum Beispiel widmet Max Schmeling ein Portrait. Leider geht die DVD weder auf asiatische noch auf afrikanische Kunst ein. Oder nahmen Künstler aus diesen Kontinenten etwa nicht teil? Den größten Besucheransturm erleben die Kunstwettbewerbe 1932 in Los Angeles. Jeden Tag kommen rund 15.000 Besucher, um die 1100 Werke zu besichtigen. Obgleich ein Kritiker der "L.A. Times" bemängelt:

"Der auffälligste Fehler vieler Künstler, die den Sport darzustellen suchen, ist, dass sie zwar die Leistung sehen, aber den Rhythmus nicht verstehen."

1936 bei den Olympischen Spielen in Berlin ähneln die dargestellten Sportler immer mehr heroischen Kämpfern. Das gilt für die Skulpturen von Arno Breker, aber ebenso für Werke aus den USA oder Italien. Doch ob heroisch oder abstrakt: Die Künstler stehen weiter im Schatten der Sportler: Als Jesse Owens den 100-Meter-Lauf gewinnt, jubeln ihm bei der Ehrung 70.000 Besucher zu. Als unmittelbar danach die Literaten aufs Podest treten, ist das Stadion fast leer.

Dennoch ist es Coubertin gelungen, die Spiele durch Eröffnungs- und Schlussfeier, Zeremonien und Feuer, Flaggen und durch Kunstwettbewerbe zu einem Gesamtkunstwerk zu machen. Als er 1937 stirbt, geben die Olympischen Spiele die Kunstwettbewerbe auf, die 1948 in London zum letzten Mal ausgetragen werden. Der Franzose Gilbert Prouteau gewinnt damals mit seinem Gedicht über den Staffellauf die Bronzemedaille für Poesie:

"Vier Herzen – ein Klang
Vier Körper – ein Ziel
Vier Kämpfer – ein Sieg"

Ein stimmig montierter Dokumentarfilm, der zeigt, dass Kunst tendenziell missbraucht wird, wenn sie nicht für sich selbst steht. Zugleich macht er deutlich, dass es die Künstler waren, die maßgeblich halfen, den Sport zu einer Massenbewegung zu machen. "Feuer und Flamme für die Kunst" wirkt sinnlich, kritisch und zuweilen ein wenig wehmütig und beleuchtet spannend eine vergangene Epoche.

Die DVD "Feuer und Flamme für die Kunst. Die Geschichte der Olympischen Kunst-Wettbewerbe von 1912 bis 1948" von Alexa Oona Schulz ist bei absolutmedien erschienen und kostet 14,90 Euro.
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