Ökonom Thomas Straubhaar

Erleben wir das Ende der Globalisierung?

Ein Mitarbeiter transportiert am 28.04.2017 beim Amazon Logistikzentrum in Rheinberg.
Europa braucht schleunigst eine Übereinkunft, wie die Einkünfte von Amazon, Google & Co. besteuert werden sollen, mahnt der Ökonom Thomas Straubhaar. © dpa/Ina Fassbender
Thomas Straubhaar im Gespräch mit Dieter Kassel · 12.12.2017
Auf dem Weltmarkt gibt es neue Kräfteverhältnisse. Daher sieht der Ökonom Thomas Straubhaar keine Zukunft mehr für eine globale Regulierung des Welthandels durch die WTO. Doch er sieht Alternativen, wie Handelsbeziehungen stattdessen funktionieren könnten.
Ein US-Präsident, der Freihandelsabkommen kündigt und "America First" zu seiner Devise erklärt hat – bedeutet das das Ende der Globalisierung?
"Nicht das Ende, aber ganz sicher eine neue Form der Globalisierung erleben wir", sagt der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar. Er sieht lediglich das amerikanische Modell am Ende, die Globalisierung des Handels über die Welthandelsorganisation WTO zu regulieren.
Donald Trump während eines Treffens mit dem südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in am 30. Juni 2017 im Oval Office des Weißen Hauses in Washington, DC.
Verstärker, aber nicht Ursache der Krise der Globalisierung: US-Präsident Donald Trump© imago / Olivier Douliery
Dafür ist Straubhaar zufolge jedoch weniger Donald Trump ursächlich als die Tatsache, dass sich aufstrebende Volkswirtschaften wie China, Russland oder Brasilien nicht mehr wie früher von den USA dominieren ließen. Insofern sei das von der WTO vorgesehene Einstimmigkeitsprinzip in entscheidenden Fragen einfach mehr durchsetzbar.

Digitalisierung hat unterschiedliche Interessenlagen geschaffen

Auch sieht Straubhaar gegenüber früher deutlich differenziertere Interessenlagen bei den jeweiligen Akteuren: China etwa sei immer noch sehr stark auf den klassischen Warenhandel ausgerichtet "und will natürlich da entsprechend offene Märkte vorfinden". Auch Deutschland exportiere mehr in die USA als umgekehrt.
Thomas Straubhaar, Professor für internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Uni Hamburg
Thomas Straubhaar© imago/Reiner Zensen
Die Vereinigten Staaten hingegen verdienten ihr Geld im Bereich der Digitalisierungsmärkte, mit Firmen wie Google, Amazon oder Facebook. Hier hätten die USA eine "zum Teil monopolähnliche Macht" und seien entsprechend interessiert an offenen Märkten, so der Ökonom.
"Und deshalb haben wir dort bei den Dienstleistungs- bei den Digitalisierungsmärkten auch den Hebel einer Lösung, dass wir dort eben Amerika auch zeigen können, dass es nicht so einfach ist, mit seinen Dienstleistungen in der übrigen Welt so unbegrenzt nach seinen Regeln spielen zu können", betont Straubhaar. Deshalb müssten schleunigst auch Lösungen gefunden werden, wie die Erträge dieser Konzerne versteuert werden sollten. "Google oder andere, Amazon, die versuchen natürlich, genau diese Heterogenität Europas auch auszunutzen."

Keine Zukunft für globale Handelsabkommen

Globalen Handelsabkommen räumt Straubhaar angesichts der neuen Interessenlagen und Kräfteverhältnisse keine Chance mehr ein. "Große Lösungen auf der Weltebene – die sehe ich schlicht in Zukunft nicht mehr", sagt er. Er plädiert stattdessen für regionale Abkommen, zum Beispiel auf europäischer Ebene: "Ich glaube, Regionalisierung im Sinne von kontinentalem Vorgehen ist einfacher, als Globalisierung im Sinne der WTO regulieren zu wollen."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Die Welthandelsorganisation WTO verfolgt vor allem ein Ziel: alle Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die den weltweiten freien Handel behindern. Darum geht es auch wieder im Großen und auch in vielen Details auf dem aktuellen Gipfeltreffen in Argentinien. Aber auch dort erwarten Experten nur wenige Fortschritte, und das liegt nicht nur an Donald Trump und seiner America-First-Politik, das merkt man schon daran, dass die aktuelle Verhandlungsrunde bereits seit 2001 läuft. Steckt die WTO in der Sackgasse? Und wenn es denn möglicherweise so ist, was bedeutet das für die Zukunft des Welthandels? Dazu befragen wir jetzt Thomas Straubhaar, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Herr Straubhaar, schönen guten Morgen!
Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Ich spitze es mal zu: Erleben wir gerade das Ende der Globalisierung?
Straubhaar: Nicht das Ende, aber ganz sicher eine neue Form der Globalisierung erleben wir, weil wir letztlich sehen, dass gerade das amerikanische Modell der Nachkriegszeit an sein Ende gerät. Ironischerweise auch verstärkt durch Donald Trump. Aber Sie haben es richtig gesagt, eigentlich auch schon ausgelöst viel früher, letztlich mit dem Einbezug der aufstrebenden Volkswirtschaften dieser Welt. In dieser Welthandelsorganisation kam dieses System unter Druck, weil vorher wurde es mehr oder weniger von Amerika dominiert und jetzt wollen natürlich alle mitreden, alle wollen ihre Interessen unterbringen. Und das kann eben nicht mehr so geschehen, wie das ursprünglich geplant war.
Kassel: Ist dann vielleicht für die WTO schlichtweg auch dieses Prinzip der Einstimmigkeit bei den wichtigen Beschlüssen ein Problem?
Straubhaar: Natürlich, genau, das ist es, weil vorher war diese Einstimmigkeit relativ leicht erzielbar. Jetzt etwas abgekürzt, zusammengefasst war das so, Amerika hat gesagt, wie es geht, und hat dann dort, wo es nicht unbedingt auf Zustimmung gestoßen ist, mit viel Geld sich diese Zustimmung erkauft oder sonst mit politischem Druck agiert. Und das geht heute natürlich gegenüber einem Land wie China beispielsweise, Brasilien oder Russland in keiner Art und Weise mehr. Und von daher gesehen ist dieses Einstimmigkeitsprinzip heute so nicht mehr durchsetzbar.
Kassel: Aber kurios ist ja, dass gerade bei den beiden Staaten USA und China sich die Wünsche umgekehrt haben. Trump sagt jetzt, ich will eigentlich keinen Freihandel mehr so wie bisher, und China sagt, wir aber schon!
Straubhaar: Ganz genau. Und deshalb ist das ein weiteres Problem, weil letztlich eben auch die chinesische langfristige Politik eine ganz andere ist als die amerikanische. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass unverändert, wenn es um Technologie geht, wenn es um neue Formen wie beispielsweise die Digitalisierung geht, Amerika weit, weit vor allen anderen Ländern liegt. Und dort werden jetzt die neuen Claims, die neuen Märkte abgesteckt und da nutzt auch Amerika seine zum Teil monopolähnliche Macht, die es hat in diesen Digitalisierungsmärkten – wenn Sie mal an Google oder Amazon oder Facebook, Twitter denken, das sind ja alles amerikanische Firmen, die den Weltmarkt der Dienstleistungen auch mitdominieren. Und China hinkt noch etwas hinterher, China ist immer noch sehr stark auf den klassischen Warenhandel ausgerichtet und will natürlich da entsprechend offene Märkte vorfinden.
Kassel: Aber da erleben wir doch, was die Rolle der USA angeht, in der Digitalisierung das, was es vorher auch schon im analogen Bereich gab: Die USA verstehen unter Welthandel, wir wollen alles, was wir herstellen oder an Dienstleistungen anbieten, möglichst unkompliziert und, wenn es geht, noch zollfrei auf die ganze Welt verteilen, aber umgekehrt muss das nicht unbedingt funktionieren. Und das ist doch das Problem, ein Grundsatz des Welthandels ist doch: Er funktioniert eigentlich nur dann, wenn alle was davon haben!
Straubhaar: Das ist richtig, das ist das Problem, aber eigentlich auch Teil der Lösung, zumindest jetzt aus europäischer Sicht, dass wir natürlich sehr, sehr gut ein Drohpotenzial auch gegenüber Amerika haben, indem wir eben gerade in diesen neuen Märkten, in den Digitalisierungsmärkten, in den Dienstleistungsmärkten, da ist Amerika interessiert am Öffnen der Märkte, da will es seine Monopolkraft ausspielen, da hat es auch einen Leistungsbilanzüberschuss, das heißt, dort verdient Amerika sein Geld. In den Märkten der übrigen Welt, beim Handel ist es ja gerade aus deutscher Sicht völlig anders, da exportieren wir mehr nach Amerika, als wir importieren. Und deshalb haben wir dort, bei den Dienstleistungs-, bei den Digitalisierungsmärkten auch den Hebel einer Lösung, dass wir dort eben Amerika auch zeigen können, dass es nicht so einfach ist, mit seinen Dienstleistungen in der übrigen Welt so unbegrenzt nach seinen Regeln spielen zu können. Und beispielsweise müssen wir deshalb schleunigst auch Lösungen finden, wie wir diese Erträge versteuern, beispielsweise Google oder andere, Amazon, die versuchen, natürlich genau diese Heterogenität Europas auch auszunutzen.
Kassel: Aber kann… Gerade bei dem, was Sie jetzt gesagt haben, denkt man ja sofort an die Paradise Papers und vorher schon die Panama Papers, man denkt daran, dass in Europa ja nicht nur die Kanalinseln oder die anderen üblichen Verdächtigen, sondern Länder wie die Niederlande und Irland zum Teil, ich will es nicht Steueroasen nennen, aber sehr spezielle Steuerangebote an große Firmen machen… Wenn man an all das denkt, kann einem eigentlich bei der Lösung dieser Probleme die WTO in irgendeiner Form helfen?
Straubhaar: Es tut mir leid, ich glaube das nicht. Ich glaube nicht, dass die WTO in diesen neuen Bereichen überhaupt schon aufgestellt ist. Ich denke, das ist auch nicht ein Fehler der WTO, das wäre völlig falsch, jetzt dort die Schuld zu suchen. Das ist letztlich unser aller Problem, dass hier sich neue Technologien entwickelt haben, die ein altes System obsolet werden lassen, ein altes System nicht mehr griffig sein lassen, dass wir noch gar nicht verstanden haben, in welcher Art und Weise die Digitalisierung beispielsweise auch die Messung des Welthandels verändert, indem heute nicht mehr so sehr Güter durch die Welt transportiert werden, sondern Daten durch die Welt gehandelt und transportiert werden, was wiederum dazu führt, dass wir nicht wissen, wo wir die regulieren, wo wir die erfassen, wo wir sie besteuern. Und das sind die großen Themen und da kann logischerweise ein System, das unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg/Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelt worden ist, nicht wirklich griffige Antworten bereit haben.
Kassel: Sie haben ja, Herr Straubhaar, immer schon Zweifel… immer nicht, aber schon eine ganze Weile Zweifel an der WTO angemeldet und dann stets für regionale, bilaterale Abkommen plädiert. Aber ist das nicht auch ein Mittel, das in der Krise steckt? Ich meine, Donald Trump will NAFTA neu verhandeln, TTIP ist quasi im Moment in Vergessenheit geraten dank ihm. Diese Abkommen sind ja auch nicht mehr so leicht zu schließen wie früher.
Straubhaar: Nein, sie sind nicht leicht zu schließen, aber wenigstens noch einen Tick einfacher, weil in einem regionalisierten Umfeld haben Sie vergleichsweise ähnlichere Länder mit ähnlicherem Entwicklungsstand mit ähnlicheren Interessen, vielleicht auch ähnlicheren Kulturen, wie man Dinge regulieren soll. Und deshalb sollte man im Sinne einer Second-Best-Lösung, wie wir das in der Ökonomie nennen, einer zweitbesten Lösung, mit langsamen, kleinen Schritten versuchen, diesen neuen Phänomenen Meister zu werden. Und große Lösungen auf der Weltebene, die sehe ich schlicht in Zukunft nicht mehr so einfach zu finden.
Kassel: Das heißt sozusagen, den Welthandel und die Globalisierung regional – also jetzt nicht im Sinne von einzelnen Orten, aber kleinen Gebieten – steuern, das ist die einzige Chance, die Sie sehen im Moment?
Straubhaar: In kontinentalen Größen, dass wir europaweit Lösungen schon mit viel Mühe werden finden müssen, dass früher oder später auch in Nordamerika diese Beziehungen zwischen Mexiko, Amerika und Kanada wieder die erste Ansprechstelle sein werden. Ich glaube, Regionalisierung im Sinne von kontinentalem Vorgehen ist einfacher, als Globalisierung im Sinne der WTO regulieren zu wollen.
Kassel: Thomas Straubhaar, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg. Herr Straubhaar, vielen Dank für das Gespräch!
Straubhaar: Gern geschehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema