Oberwiesenthal

Skifahren ohne Grenzen

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Der Fichtelberg in Oberwiesenthal befindet sich nahe der tschechischen Grenze. © picture alliance / Waltraud Grubitzsch/
Von Alexandra Gerlach · 02.01.2018
Für den einstigen DDR-Wintersportort Oberwiesenthal kam nach der Wende der Abstieg: Denn viele Skifans zog es statt ins Erzgebirge nun in die Alpen. Heute setzt die Stadt auf Ganzjahrestourismus und zählt wieder 600.000 Übernachtungen pro Jahr.
"Zum Schengen-Beitritt am am 21.12.2007 war ich sehr frisch im Amt, bin also ganz frisch zum Bürgermeister von Kurort Oberwiesenthal gewählt worden, und bin dann Mitternacht genau pünktlich 24 Uhr zur Grenze gelaufen. Und dort oben war schlechtes Wetter, es war Nebel, und ich sah dann schon die tschechischen Grenzbeamten, deutsche Grenzbeamte."
Oberbürgermeister Mirko Ernst traf in jener historischen Nacht auch auf seinen Amtskollegen aus der tschechischen Nachbarkommune. Es wurde angestoßen mit Schnaps, die Stimmung war ausgelassen.
"Denn mit diesem Beitrittstermin wurden natürlich auch die Grenzkontrollen eingestellt, so dass wir also wirklich Grund zu feiern hatten. Denn wir lebten ja über Jahrzehnte hinweg mit dieser Grenze und den entsprechenden Kontrollen."

Investieren oder untergehen

Vor zehn Jahren sei er der einzige Oberwiesenthaler gewesen, der sich nachts zur deutsch-tschechischen Grenze aufgemacht hatte, erzählt Bürgermeister Mirko Ernst. Der Liberale ist ein waschechter Oberwiesenthaler. Geboren 1968 wuchs er direkt an der deutsch-tschechischen Grenze am Fichtelberg auf.
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Skilift in Oberwiesenthal© Deutschlandradio / Alexandra Gerlach
Bei seinem Amtsantritt nach seiner Wahl zum Bürgermeister 2007 stand es schlecht um den traditionsreichen Wintersport- und Kurort Oberwiesenthal.
"Ich habe den Ort damals hier übernommen, also, na ich sage mal, als er nahezu handlungsunfähig war. Wir hatten also ganz, ganz große finanzielle Probleme, wir waren in der Haushaltssicherung, in der Fremdbestimmung durch die Rechtsaufsicht und wir konnten auch keine Entwicklung mehr im Skigebiet nachweisen, die Schwebebahngesellschaft hat keine Kredite mehr bekommen. Man konnte nicht mehr planen und schon gar nicht mehr investieren, sodass das also eine denkbar schlechte Ausgangssituation damals war."
Der Kurort Oberwiesenthal, mit 914 Metern über dem Meeresspiegel die höchstgelegene Stadt Deutschlands, stand an einem Wendepunkt. Investieren oder untergehen in der Bedeutungslosigkeit, das waren die Optionen. Dabei war der Ort mit seinem Skigebiet seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein beliebter Erholungsort mit namhaften Gästen, vor allem zu DDR-Zeiten. Mitglieder des Politbüros suchten ebenso Erholung wie bekannte Sportlegenden, erinnert sich Mirko Ernst:
"Die Gaby Seifert war zum Beispiel da, Jutta Müller, wie sie alle heißen, Witt, war auch da, die haben hier alle Urlaub verbracht in unseren Hotel und haben dann nebenbei einige Trainingseinheiten mit absolviert.
Und dann gibt es natürlich noch einige Hotels in dem Gebiet hier, die von den großen ja, Funktionären des Politbüros in der DDR auch besetzt waren, dazu gehörte ein ehemaliges Stasi-Heim, da gehörte das Mielke-Heim zum Beispiel dazu."
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Zu DDR-Zeiten war Oberwiesenthal ein beliebter Wintersportort (Aufnahme von 1961).© imago / Frank Sorge
Mit dem Ende der DDR verliert Oberwiesenthal mehr als die Hälfte seiner Einwohner und seine exklusive Attraktivität als Wintersportkurort. Viele Skifans zieht es nunmehr in die alpinen Skigebiete, Oberwiesenthal fällt zurück.
In den ersten Jahren nach der Jahrtausendwende ist die Gemeinde pleite. Ein neues Konzept muss her. Eine Herkulesaufgabe für den 2007 neu gewählten Bürgermeister Mirko Ernst und seine Mitstreiter im Gemeinderat:
"Denn Oberwiesenthal war in den letzten Jahren und Jahrzehnten mehr und mehr für den Winter bekannt. Aber wir können natürlich nicht nur von dem Winter leben, sodass wir also besonderen Wert auf die Entwicklung der schneelosen Zeit gelegt haben und dazu gehören zum Beispiel Wanderwege, dazu gehört allerdings auch ein Schlechtwetterangebot oder auch mehrere Schlechtwetterangebote für die Gäste."

Für Anfänger und Fortgeschrittene geeignet

In diesem Winter hat es bereits kräftig geschneit am Fichtelberg, die Skibedingungen sind schon vor Weihnachten perfekt, die Pisten präpariert und die Loipen gespurt. Die ersten Wintersportgäste genießen stressfreies Skilaufen ohne Anstehen am Lift. Ein Mann um Mitte 60 kommt mit kühnem Ski-Schwung am Fuße der Piste zum Stehen:
"Laufen Sie häufiger hier Ski?"
"Ach, schon seit über 20, 30 Jahren!"
"Was ist das Besondere hier an dem Skigebiet?"
"Besonders will ich wohl nicht sagen, aber ich komme aus Chemnitz und das ist für mich jetzt das nächstbeste Skigebiet."
Gleich daneben stehen Skifahrer aus dem Saarland. Sie sind zum ersten Mal hier:
"Wir sind noch nicht lange her, zwei Tage, die Pisten sind alle gut befahrbar, gut präpariert, viele Hütten zum Einkehren. Also das ist für Anfänger und Fortgeschrittene interessant."
"Und wenn das Wetter mitspielt, ist es ein Top-Skigebiet, nur zu empfehlen. Schneeverhältnisse sind super."
Schneekanone auf einer Skipiste am Fuße des Fichtelbergs in Oberwiesenthal, Sachsen.
Schneekanone auf einer Skipiste am Fuße des Fichtelbergs in Oberwiesenthal, Sachsen.© dpa / picture alliance / Jan Woitas
Nahe der Talstation liegt das Büro von René Lötsch, dem Geschäftsführer und Betriebsleiter der kommunalen Fichtelbergschwebebahn. Sie ist die älteste Seilschwebebahn Deutschlands und seit Dezember 1924 unfallfrei in Betrieb. Jetzt ist Hochbetrieb für René Lötsch. 16 Festangestellte und 26 bis 28 Saisonkräfte sind für den reibungslosen Ablauf des Skitourismus und die Pflege der Pisten sowie Loipen eingesetzt. René Lötsch:
"Oberwiesenthal sind circa 37 Hektar Abfahrtspisten, 75 Prozent davon können maschinell beschneit werden. Und zum einen ist es natürlich ein ganz besonderes Familienskigebiet, wir haben sehr viele breite Pisten, wir haben alle Kategorien, von Rot, Blau nach Schwarz, alles vertreten. Man ist ziemlich ortsnah, also, man muss keine großen Fußmärsche nehmen."

Deutsch-tschechische Kooperation

Wer gar nicht Skifahren möchte, kann die Rodelberge nutzen oder auf die Eisbahn gehen. Winterwanderwege laden zu ausgedehnten Spaziergängen ein. Für den anspruchsvolleren Skifahrer eröffnen sich seit gut fünf Jahren ganz neue Möglichkeiten jenseits der alten Grenze nach Tschechien.
"Das Skigebiet am Keilberg auf tschechischer Seite ist natürlich etwas anspruchsvoller, es hat steilere Pisten, natürlich auch durch die Gegebenheiten des Berges. In der Wintersaison, ab Weihnachten bis Anfang März stellen wir auch einen Skibus, wir haben auch eine Kooperation mit dem benachbarten Skigebiet, wo man eineinhalb Tage das Skigebiet auf deutscher Seite und auf tschechischer Seite nutzen kann, und da kann man auch kostenlos den Skibus nutzen."
Um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen, haben die beiden Skigebiete die Preise für diese besonderen Tagespässe angeglichen. Der Weg von Oberwiesenthal in das benachbarte Skigebiet in Tschechien ist nur circa sechs Kilometer lang und führt über eine kurvige Straße, durch eine märchenhafte Tannen-Winterlandschaft.
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Baude am Klinovec (Keilberg) in Tschechien.© Deutschlandradio / Alexandra Gerlach
Auf dem Keilberg gibt es seit 1968 ein Skigebiet, seit 2012 wird kräftig investiert.
"Also, ich bin die Frau Baschowa, Christa, und hier sind wir also im Skigebiet 'Skiarena Klinovec' in Lotschna Potkrinowza. Also wir haben vier Sessellifte und fünf Schlepplifte. Dann haben wir auch Nachtski, Snowpark. Also 19 Kilometer Pisten und insgesamt mit Fichtelberg 33."
175.000 Gäste zählen die Betreiber derzeit pro Saison im Skigebiet auf der tschechischen Seite. Diese Zahlen sollen gesteigert werden. Daher haben die Investoren kräftig gebaut und haben einen weiteren Ausbau in Planung:
"Dieses Jahr haben wir investiert in künstlichen Schnee, künstliche Beschneiung. Also nächstes Jahr vergrößern wir uns um 50 Prozent, das Areal Neklit, das gehört dann auch schon uns."
Auf Nachfrage räumt Christa Baschowa ein, dass es ohne die Möglichkeiten der künstlichen Beschneiung nicht möglich wäre, Skitourismus hier profitabel anzubieten. Angst vor dem Klimawandel habe sie dennoch nicht, sagt die Tschechin:
"Mmh, nein, ich selber ganz bestimmt nicht, nein, da bin ich nicht mehr da!"

Pläne für den Ganzjahrestourismus

Ganz so entspannt sieht man die Entwicklung der Schneewinter und des Klimas im benachbarten Kurort Oberwiesenthal nicht. Seit sieben Jahren kämpft die Gemeinde um das Baurecht für neue, verbesserte Liftanlagen. Derzeit zählt man 600.000 Gästeübernachtungen pro Jahr.
Das Skigebiet und auch die Angebote für den angestrebten Ganzjahrestourismus sollen modernisiert und ausgebaut werden, um nachhaltig und möglichst umweltverträglich die Attraktivität des Standortes zu erhöhen. Doch im Gegensatz zur Entwicklung auf der tschechischen Seite kommen die Planungen zum Kummer des Bürgermeisters Mirko Ernst nur mühsam voran:
"Man hat manchmal den Eindruck, die tschechische Seite hat andere Gesetze, obwohl sie auch in der EU sind, aber scheinbar gibt es dort weniger Kritiker für neue Liftbauten als auf der deutschen Seite."
Die Stadt konzentriert sich daher auf den Ausbau der Schlechtwetterangebote für die Gäste aus ganz Deutschland. Vor kurzem wurde mitten im Ort in einem ehemals königlich sächsischen Forsthaus das "K3", ein liebevoll saniertes Haus für den Gast eröffnet mit Touristeninformation, Heimatmuseum und Bibliothek. Alles ist dreisprachig ausgeschildert. Hier kann der Gast eintauchen in die facettenreiche Welt des Erzgebirges mit all seinen Traditionen und Mythen.
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