Oberhausen 2014

Politische Filme prämiert

Lars Henrik Gass, Festivalleister der Oberhausener Kurzfilmtage, posiert am 25.04.2013 im Lichtburg-Kino in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen).
Lars Henrik Gass, Festivalleister der Oberhausener Kurzfilmtage, die am Dienstag zuende gegangen sind. © picture alliance / dpa / Roland Weihrauch
Von Bernd Sobolla · 06.05.2014
Viele der in diesem Jahr eingeladenen Künstler beschäftigten sich mit der politischen Situation in ihrem Land. Damit knüpfte das Festival an seine frühen Jahre an, in denen es versuchte, eine Brücke in die Ostblockstaaten zu bauen.
Ehrengast Hilmar Hoffmann, Gründer der Kurzfilmtage: "Die größten Hürden waren eben die, dass die Bundesregierung gegengesteuert hat und uns diffamiert hat als Rotes Festival. Und der interministerielle Ausschuss hat ja jedes Jahr Filme beschlagnahmt aus dem Ostblock, weil die angeblich ideologisch verseucht waren. Wir haben die Filme dann aber trotzdem gezeigt, weil die Produzenten die in einer zweiten Kopie mitgebracht hatten, und haben so darüber aufgeklärt, was die Bundesregierung unter Zensur versteht."
Gegenwind, Zensur, Diskussion - drei Schlagworte, die sich auch im diesjährigen Festival niederschlugen. Zum Beispiel in dem Wettbewerbsfilm "Sugarcoated Arsenic“ von Kevin Jerome Everson und Claudrena Harold aus den USA. Sie untersuchten das sozialpolitische Leben junger Afroamerikaner an der Universität von Virginia in den 1970er-Jahren, wo eine Dozentin den Studenten vermittelt, dass die Aufhebung der Rassentrennung nicht mehr als ein Teilerfolg ist, nicht mehr als versüßtes Arsen.
Auszug aus "Sugarcoated Arsenic": "Es ist eine traurige Sache, aber wir müssen verstehen, dass man manchmal Leute braucht, die an der Front stehen, um dort zu zerstören und eine Menge Rauch zu verursachen, bis wir verwirrt sind von dem, was da passiert. Aber wir müssen lernen, auf das zu schauen, was sich hinter dem Rauch abspielt."
Herausragender iranischer Animationsfilm
In japanischen Fukushima dagegen ist Gefahr unsichtbar, denn die Gegend ist seit der Reaktorkatastrophe von 2011 radioaktiv verseucht. Der Filmemacher Funahashi Atsushi blickt in seinem Film "Radioactive“ auf evakuierte Opfer, die in Auffanglagern versorgt werden und davon träumen, in ihre alte Heimat zurückzukehren.
Einer der besten Festivalfilme kam aus dem Iran: In seinem Animationsfilm "The Noise“ erzählt der Filmemacher und Maler Pooya Razi vom schwierigen Zusammenleben in einem Wohnhaus in Teheran, basierend auf eigenen Erfahrungen. Dort griff ihn ein Nachbar wegen seiner Frauenbesuche verbal an und initiierte in dem Wohnhaus eine Petition gegen seinen Lebensstil. Die Atmosphäre der Denunziation unterstreicht Pooya Razi, indem er mit der Kamera unter anderem über einen Starkstromknotenpunkt gleitet, wobei das Knistern der Leitungen die Situation metaphorisch auflädt; auch wenn Pooya Razi seinen Film nicht als politische Anklage versteht.
"Wenn du ein Künstler bist, kann alles um dich herum politisch werden. Das wollte ich nicht. Denn in Ländern wie meinem durchdringt die Politik das ganze Leben. Da muss man nicht versuchen, politisch zu werden. Ich habe mich entschlossen, ehrlich zu sein und kein Urteil zu fällen. Wir haben auch nicht die Polizei oder sonstige Behörden erwähnt. Es geht einfach nur um diese Situation."
Doku über Gangster in Kapstadt
Den Großen Preis der Stadt Oberhausen aber gewann der Film "La Estancia“ aus Paraguay von Federico Adorno, der die systematische Unterdrückung der Landbevölkerung thematisiert. Und das Werk "Gangster Backstage“ von Teboho Edkins aus Südafrika wurde mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. Der Dokumentarfilm porträtiert Gangster in Kapstadt, die in unmittelbarer Erwartung des Todes zwischen einem Casting und einem leeren Theaterraum hin- und herpendeln. Grenzen, Unterdrückung, Todesgefahr: inhaltlich erinnerten die Filme an Nachrichten, die wir täglich im Fernsehen sehen. Aber Festivalleiter Lars Henrik Gass geht es nicht darum, den Zeitgeist widerzuspiegeln:
"Es ist so, dass in einer globalisierten Welt, und das beste Beispiel ist ja im Moment die politische Auseinandersetzung in der Ukraine, dass die Frage der Nationalität, der Identität, von Nationalstaatlichkeit, von Grenzen, dem Eigenen und dem Fremden, eigentlich immer stärker sich konturiert. Das findet natürlich auch Niederschlag in den Filmen. Wobei ich dazu sagen muss, dass wir nicht versuchen, das abzubilden, was wir gewissermaßen proportional im Ganzen gesehen haben, sondern versuchen, bestimmte Schlaglichter zu setzen, um auch hier Diskussionen im Festival zu importieren."
Misshandlungen einer Kindheit
Im Deutschen Wettbewerb schließlich gewann die Regisseurin Susann Maria Hempel den Hauptpreis. Ihr Animationsfilm "Sieben Mal am Tag beklagen wir unser Los und nachts stehen wir auf, um nicht zu träumen“ schildert die Misshandlungen einer Kindheit, indem sie die Teile einer explodierten Puppenstube reden lässt. Wobei Grauen und Niedlichkeit ineinander übergehen.
Ausschnitt aus "Sieben Mal am Tag …": "Und das Verdrehte macht mich so fertig. Das dreht sich alles so, die ganzen Gedanken. Oh, das geht, das geht. Ich mache dann einfach das Licht aus, setze mich hin und bleib ganz einfach sitzen. Ich warte einfach, bis das weg ist. Nur im Dunkeln – ganz still."
Still waren die Filmschaffenden in diesem Jahr in Oberhausen nur wirklich nicht. Einige ihrer Werke wirkten eher wie ein Aufschrei. Wobei sie oft den gesellschaftlichen Status Quo reflektieren und zugleich die Sehnsucht nach Veränderung ausdrücken.
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