Obamas Kulturpolitik - eine Bilanz

"Viele Wahlversprechen umgesetzt"

US-Präsident Barack Obama im Presseraum des Weißen Hauses. Er gestikuliert.
US-Präsident Obama habe mit seiner Immigrations- und Geschlechterpolitik die kulturelle Identität vieler gestärkt, findet Sabine Sielke. © Ron Sachs, dpa picture-alliance
Sabine Sielke im Gespräch mit Nana Brink · 12.07.2016
US-Präsident Obama ist nur noch wenige Monate im Amt. Was hat er kulturpolitisch bewirkt? Viel Gutes, findet die Kulturwissenschaftlerin Sabine Sielke - von besseren Schulen bis zur Krankenversicherung, von der gerade Künstler profitierten.
Eine staatlich verordnete Kulturförderung oder gar einen "Secretary of Arts" gibt es in den USA auch unter Präsident Barack Obama nicht. Das sei auch nicht nötig, sagt Sabine Sielke, Professorin für Literatur und Kultur Nordamerikas an der Universität Bonn: "Diese Einstellung, sich nicht Kultur vom Staat verordnen zu lassen, hat eine ebenso lange Tradition wie die Kulturförderung durch engagierte, vermögende Bürger und Stiftungen."
Obama habe vor allem im Bildungswesen viel bewegt. So habe er sich bemüht, die Bedingungen für Schüler an problematischen Schulen zu verbessern. "Da hat Obama viele seiner Wahlversprechen umsetzen können." Es gebe im Land "sehr gute staatliche Universitäten" und "gute Schulen".

Es geht um kulturelle Identität

Von seiner Reform der Krankenversicherung ("Obamacare") hätten zudem Künstler, Schauspieler und Musiker "immens profitiert". Sielke verweist auch auf den viel breiter gefassten Kulturbegriff in den USA, wo weniger zwischen Hoch- und Popkultur getrennt werde als in Deutschland: "Oft geht es nicht zuletzt dabei auch um kulturelle Identität." So seien Obamas Immigrationspolitik, die jungen Einwanderern unter bestimmten Voraussetzungen die Bürgerrechte gewähren wolle, oder seine liberale Geschlechterpolitik besonders wichtig: "Ich denke, Kulturpolitik wirkt in den USA auch häufig sehr indirekt."

Das Interview im Wortlaut:

Nana Brink: In dieser Woche, kurz vor den beiden großen Parteitagen, den Conventions, in diesem Monat, da werden ja die Präsidentschaftskandidaten gekürt, also Hillary Clinton und Donald Trump, da ziehen wir noch mal Bilanz in den USA, und es ist ja eine Ironie des Schicksals, dass ausgerechnet der erste schwarze Präsident heute zu einer Trauerfeier nach Dallas reisen muss, um seine Landsleute aufzurichten, zu ermahnen, keine weiteren Fronten aufzubauen zwischen den Ethnien.
Überhaupt mag es bitter für ihn sein, der mit so viel Hope und Change 2008 ja gestartet ist, zu sehen, was nach acht Jahren davon übrig geblieben ist, denn Barack Obama, der intellektuelle Präsident – und das ist ja in den USA nicht unbedingt immer ein Lob –, der wollte auch in der Kulturpolitik einiges ändern, wobei er da ähnlich wie bei der Krankenversicherung an uramerikanischen Überzeugungen kratzen musste, die da heißen, der Staat möge sich nicht zu viel einmischen in private Belange, und dazu zählt natürlich auch die Kunst. Sabine Sielke ist Professorin für Literatur und Kultur Nordamerikas und Leiterin des Nordamerika-Studienprogramms der Universität Bonn. Schönen guten Morgen, Frau Sielke!
Sabine Sielke: Guten Morgen, Frau Brink!
Brink: Weil wir so genauer hingucken in die USA – und da beschäftigen uns natürlich die gewalttätigen Ereignisse der letzten Tage, es ist ja nicht das erste Mal, dass Obama sozusagen als oberster Tröster der Nation unterwegs ist, und das ist er zusammen auch mit seinem Vorgänger, George W. Bush, beide sind heute in Dallas bei der Trauerfeier. Wie wird das aufgenommen, auch in der intellektuellen Diskussion in Amerika? Ist das so ein Zeichen einer Versöhnung?
Sielke: Ja, das ist sicherlich ein Zeichen, das da gesetzt werden soll, denn letztendlich ist Amerika, denke ich, doch viel weniger polarisiert, als es die Medien oftmals darstellen. Amerika ist letztendlich höchst kulturell vielstimmig. Es gibt ganz viele unterschiedliche Positionen, die eben gar nicht zum Tragen kommen in der Medienberichterstattung, die notwendigerweise natürlich Dinge zuspitzen muss, die im wahrsten Sinne des Wortes auch Schwarz-Weiß-Malerei betreiben muss, das heißt also, Medien gehen selektiv vor, und sie sehen eben doch vieles nicht. Es ist nicht interessant, zu schauen, wie sich Afroamerikaner und Weiße eben an vielen Orten des Landes sehr gut verstehen und zusammenarbeiten.

Kunst und Kultur als besondere Freiräume

Brink: Kommen wir auf die Kulturpolitik der USA zu sprechen, die ist ja mit der unsrigen kaum vergleichbar. Also in den USA sieht man es jetzt nicht als Aufgabe des Staates an, Kultur, Kunst, Literatur, auch Bildung staatlich zu fördern. Was hat das für historische Ursachen?
Sielke: Amerikaner sind bekanntermaßen sehr auf ihre Unabhängigkeit und Freiheit bedacht, und Kunst und Kultur gelten natürlich als ganz besondere Freiräume, die auch durch die Freiheit der Rede geschützt sind. Gleichzeitig zahlt man in den USA ungern Steuern für Dinge, über die sich wenig Einigung erzielen lässt, und das reicht von der gesetzlichen Krankenversicherung bis zur staatlich verordneten Kulturförderung. Diese Einstellung, sich Kultur nicht vom Staat verordnen zu lassen, hat eine ebenso lange Tradition wie die Kulturförderung durch engagierte, vermögende Bürger und Stiftungen, und da kommen einem im 18. und 19. Jahrhundert Namen wie Benjamin Franklin in den Kopf, aber auch die Rockefeller Foundation oder Oprah Winfrey.
Bildung, denke ich, ist wieder eine ganz andere Geschichte. Es gibt in den USA sehr gute staatliche Universitäten, und es gibt auch gute Schulen, und da hat auch Obama sehr viele seiner Wahlversprechen umsetzen können. Also es gibt Schulen, die vielleicht nicht so gut sind, aber wo er sich bemüht hat, die Bedingungen für Schüler zu verändern. Ich glaube, wir müssen Bildung und Kultur da noch einmal trennen.
Brink: Die Hoffnung vieler Kulturschaffender war ja groß, Obama hat sie in seinem Wahlkampf vor seiner ersten Präsidentschaft ja auch geschürt, er hat versprochen, die Kunstförderung von staatlicher Seite aufzustocken, er hat sogar davon gesprochen, eine flächendeckende Gesundheitsfürsorge für Künstler zu organisieren. Konnte er davon etwas einlösen?

Kunstförderung auf 147 Millionen Dollar aufgestockt

Sielke: Obama hat im Grunde schon die Kunstförderung aufgestockt. Das Budget des National Endowment of the Arts, das ist eine staatliche Stiftung zur Förderung von Kunst und Kultur, hat 2004, also im Jahr der Wiederwahl von George W. Bush, einen Etat von 120 Millionen gehabt, jetzt liegt der Etat bei 147 Millionen. Also das ist jetzt nicht gigantisch viel mehr, aber er hat aufgestockt, und er hat sozusagen auch die Tendenz zurück zu einer hohen Finanzierung, wie sie noch in den 90er-Jahren möglich war, aufgezeigt.
Und man kann sagen, dass in der Tat Künstler, Schauspieler und Musiker von Obamacare und dem Affordable Care Act – das sind also die Labels, unter denen die Reform der Krankenversicherung in den USA gehandelt wird –, dass Künstler, Schauspieler und Musiker immens profitiert haben von dieser Gesetzgebung. Und so bleibt es unbenommen, dass dies der sicher wichtigste innenpolitische Erfolg Obamas war.
Brink: Er hat ja auch mal einen Kulturminister schaffen wollen. Also ich könnte mir vorstellen, das ist eine schöne, aber ziemlich absurde Idee, ich meine, das haben ja nicht mal wir.
Sielke: Ich weiß nicht, ob er es selber wollte. Es gab einige Kulturschaffende wie den Musiker Quincy Jones, der eben angeregt hatte, dass es auch eine Secretary of the Arts geben sollte. Kulturpolitik ist aber eben nicht Sache der präsidialen Administration, sondern findet zumeist auf der Ebene der Bundesstaaten und regional statt. Es gibt natürlich einige Förderungen auf der Bundesebene, die NEH und die NEA habe ich schon erwähnt.
In der Tat, wir haben in Deutschland eine Beauftragte für Kultur und Medien oder auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters, ansonsten ist Kultur zumeist auch bei uns Ländersache. Warum sollten wir von den USA etwas verlangen, was wir selber nicht für richtig halten. Ich denke, auch ohne einen Secretary of the Arts ist die US-amerikanische Kultur global höchst einflussreich, denken wir zum Beispiel nur an Jazz und Hip-Hop – und es gibt ganz viele Beispiele. Also ich denke, ein Secretary of the Arts hätte da auch nicht viel bewegen können, nicht viel mehr bewegen können.

Obamas Immigrations- und Geschlechterpolitik

Brink: Weil Sie gerade Jazz und Hip-Hop ansprechen, das ist ja auch so eine Leidenschaft von Obama. Er rappt ja gerne, hat er letztens auch in der Tonight Showh gemacht bei Jimmy Fallon. Die Obamas haben ja auch eine Gratwanderung versucht, also sie haben Poetry Slam und Jazzkonzerte im Weißen Haus veranstaltet, auf der anderen Seite sich aber dann auch intellektuell mit Äußerungen zurückgehalten. Ging nicht mehr?
Sielke: Ich denke, Musik, Literatur und Kunst gehörten bei allen demokratischen oder bei vielen demokratischen Präsidenten zur präsidentialen Selbstinszenierung. Das war bei Kennedy schon so, von da an gab es auch bei der Inauguration immer einen Dichter oder eine Dichterin, die ein Gedicht verfasst und gelesen hat. Aber wie gesagt, Kulturpolitik ist nicht die primäre Aufgabe des Commander in Chief, und gleichzeitig müssen wir eben auch bedenken, dass der Begriff von Kultur in den USA wesentlich breiter ist.
Bei uns heißt Kultur häufig Hochkultur, in den USA wird da viel weniger zwischen Hoch- und Popkultur getrennt, und oft geht es nicht zuletzt dabei auch um kulturelle Identität. Also man muss überlegen, dass auch Obamas Immigrationspolitik, die jungen Einwanderern unter bestimmten Voraussetzungen die Bürgerrechte gewähren will, oder seine liberale Geschlechterpolitik, Stichwort Gay Marriage, darunter fallen und eben doch sehr einflussreich sind. Ich denke, Kulturpolitik wirkt in den USA auch häufig sehr indirekt.
Brink: Vielen Dank, Sabine Sielke, Leiterin des Nordamerika-Studienprogramms der Universität in Bonn. Schönen Dank für das Gespräch, Frau Sielke!
Sielke: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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