Null Punkte für Deutschland

Welche Länder kommen besser durch die Pandemie?

53:31 Minuten
In einem Flur der Intensivstation in der Coronapatienten mit schweren Krankheitsverläufen behandelt werden hängt eine Mund-Nasen-Schutz-Maske.
Keine Strategie, um aus der Pandemie zu kommen: In Deutschland fehlt es an politischer Führung in der Corona-Krise. © picture alliance / dpa / Christophe Gateau
Moderation: Annette Riedel · 09.04.2021
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Wir sind noch im Rennen um Leben und Tod gegen das Virus, sagt US-Präsident Biden. Die USA und Großbritannien impfen im Rekordtempo. Anders in Deutschland: Letztes Jahr noch für die Anti-Corona-Strategie bewundert, hagelt es nun Kritik.
In Großbritannien und den USA wurde unter den populistischen Politikern Donald Trump und Boris Johnson die Gefährlichkeit der Coronapandemie lange geleugnet. Dass es sich nicht nur "um eine Grippe" handelte und zu spät reagiert wurde, kostete viele Menschen das Leben. Lockdowns und vor allem ein Turbo-Impfprogramm brachte die Wende. Joe Biden hat - ganz ohne Tweets, aber mit starker Führung und Vorgaben für die Bundesstaaten - einen gigantischen Erfolg im Kampf gegen Covid-19 erzielt.

Die Wette von Glücksritter Boris

"Boris Johnson ist ein Glücksritter, ein Spaßvogel. Er hat auf den Impfstoff gewettet und er hat gewonnen", sagt der renommierte britische Politologe Anthony Glees. Für ihn ist es eine Frage von nationaler Sicherheit, für die Gesundheit der Bevölkerung zu sorgen und zu verhindern, dass weiter Zehntausende an Covid-19 sterben.
Er selbst sei ein Gegner des Brexits, aber im Falle der Pandemiebekämpfung habe die EU-Kommission zu langsam und nicht kompetent gehandelt. Solidarität sei gut, so Glees, aber wenn sie darin bestehe, dass viele Menschen sterben, sei das "Euroquatsch".

Das große Portemonnaie der USA

Die deutsch-US-amerikanische Schriftstellerin Deborah Feldman sieht den Unterschied zwischen den USA und der Europäischen Union in der Pandemie darin, dass die Europäer gut durch die Krise kämen, aber nicht gut heraus.
In den Vereinigten Staaten sei es umgekehrt: Nach den hohen Infektions- und Sterberaten hätte das Land unter Biden "das große Portemonnaie herausgeholt" und mit den Muskeln gespielt nach dem Motto: "Wir kaufen uns da raus!" Die Krise selbst hätten die USA nicht so gut gemeistert.

Portugal als Musterschüler im Lockdown

Mónica Dias, Kulturwissenschaftlerin und Politologin von der Katholischen Universität in Lissabon, meint, dass es für die europäische Gesellschaft mit fast 500 Millionen Einwohnern in der EU bislang in der Pandemie gar nicht so schlecht gelaufen sei. Man dürfe die Flasche nicht immer "halb leer" sehen.
Ein positives Beispiel sei Portugal, das mit einem sehr strengen Lockdown innerhalb von nur sechs Wochen von Inzidenzzahlen von fast 900 auf 32 gekommen sei, weil sich alle daran gehalten hätten. Die Gesellschaft ziehe ebenso wie die Politik an einem Strang. Das Land eine die Angst vor dem Virus und das solidarische Ziel, das Gesundheitssystem zu schützen, damit viele Erkrankte überlebten.

Der deutsche Föderalismus – in der Pandemie ein Problem?

Allerdings habe in der Pandemie der deutsche Föderalismus, so die seit Langem in Berlin lebende französische Publizistin Pascale Hugues, seine Schwächen gezeigt und werde jetzt auch infrage gestellt. Die Vielzahl von Regeln habe Deutschland lächerlich gemacht, 20 Kilometer von zu Hause wisse man nicht mehr, was gelte – so extrem kompliziert sei das.
Umgekehrt bedeute das nicht, so die gebürtige Elsässerin, dass der Staat in der Krise zentral besser gesteuert werden könne. Für den französischen Präsident Emmanuel Macron sei es sehr schwierig. Im nächsten Jahr stehen Präsidentschaftswahlen an, wenn er die Coronakrise nicht löse, "dann verliert er die Wahlen".
Ohnehin sei das Lager der Impfgegner sehr stark. Mehr als die Hälfte der Franzosen will sich nicht gegen das Coronavirus impfen lassen.
Während in Deutschland die Grünen von der Krise profitierten, sei es in Frankreich der rechtsextreme Rassemblement National, vormals Front National. Die Partei warte darauf, an die Macht zu kommen, so Hugues.

Vorwurf an Merkel: Es fehlt an politischer Führung

Auf die Frage, warum Deutschland derzeit mit den Anti-Corona-Maßnahmen keinen großen Erfolg habe, wurde vor allem fehlende politische Führung als Ursache genannt. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel anfänglich als Naturwissenschaftlerin stark auf die Expertise der Wissenschaft gesetzt hatte, sei das jetzt anders, so der Politologe Glees.
Merkel hätte klarer und entschiedener agieren müssen, so seine portugiesische Kollegin Dias. Ihr Mandat als Kanzlerin gehe zu Ende. Sie hätte daher mehr wagen und riskieren können. "Ihr Machtwort hat gefehlt."
Die Kanzlerin habe wieder versucht, ein Problem auszusitzen, aber in diesem Moment gehe es um eine "ganz starke Krise". "Jetzt hat sie versagt, wo sie klare Anweisungen hätte geben müssen", so Dias.

Deutschland – keine Lachnummer

Tatsächlich aber sei die Corona-Situation in Deutschland gar nicht so schlecht; das "Meckern" über Deutschland auch ein Stück ungerecht, so Pascale Hugues. "Wir haben in Deutschland eine paradiesische Situation, nicht so einen harten Lockdown wie in anderen Ländern." In Paris hätten Familien wochenlang in kleinen Wohnungen gesessen, während man in Berlin Fahrrad fahre, in den Park gehe oder zum Spazierengehen nach Brandenburg fahre.
Auch Deborah Feldman lobte bei aller Kritik an fehlenden politischen Konzepten über die Lockdownstrategie hinaus den – wenn auch langsamen – Fortgang der Impfkampagne. Sie habe bereits ihre Impftermine vom Berliner Senat erhalten. Sie freue sich über das Biontech-Vakzin und viele ihrer Freunde hätten ebenfalls bereits Termine.
Die Hilfe deutscher Ärzte in einer Klinik in Lissabon werde Deutschland hoch angerechnet, das deutsche Gesundheitssystem werde bewundert, so die in Remscheid aufgewachsene Mónica Dias. Dieses funktioniere sehr gut und man müsse hierzulande auch auf die positiven Dinge schauen.

Null Punkte für Deutschland?

Welche Punkte auf einer Skala von null bis 10 geben die Wortwechsel-Gäste Deutschland für seine Corona-Politik?
Mónica Dias – 7 Punkte
Deborah Feldman – 6,5 Punkte
Anthony Glees – 2 Punkte
Pascale Hugues – 7 Punkte
(bk)

Darüber diskutieren:
Mónica Dias, Politologin, Professorin an der Katholischen Universität Lissabon
Deborah Feldman, Schriftstellerin, Berlin
Anthony Glees, Politologe Prof. em. der Buckingham University, London
Pascale Hugues, Schriftstellerin, Publizistin, Berlin

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