NSU-Untersuchungsausschuss geht in Aktenflut unter

Sebastian Edathy im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 10.10.2012
Thüringen hat alle Akten bezüglich Rechtsextremismus an den NSU-Untersuchungsausschuss weitergeleitet. Dessen Vorsitzender Sebastian Edathy (SPD) begrüßt zwar das Bemühen um mehr Transparenz, möchte letztlich die Informationsflut auf die für den Untersuchungsauftrag relevanten Daten beschränken.
Korbinian Frenzel: Bald ein Jahr ist es her, dass aus einer leise wachsende Ahnung schreckliche Gewissheit wurde. Zehn Menschen wurden umgebracht aus rechtsextremem Hass heraus - die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes. Warum konnte das geschehen, warum haben Polizei und Verfassungsschutz über diesen langen Zeitraum nichts gemerkt? Das sind Fragen, die alleine schon das Zeug haben, den Glauben in unsere Behörden zu erschüttern – aber wenn es nun mal das gewesen wäre. Seitdem versucht wird, genau aufzuklären, passiert eine Panne nach der anderen: Akten, die vernichtet werden, Akten, deren Existenz verschwiegen wird. Verfassungsschützer in Bund und Ländern – man muss das so sagen – haben versagt.

Thüringen zieht daraus Konsequenzen, der Innenminister hat alle Akten seines Landesamtes zum Rechtsextremismus ungeschwärzt nach Berlin geschickt zum NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages. Und mit dem Vorsitzenden dieses Gremiums bin ich nun zum Interview verbunden, mit Sebastian Edathy von der SPD, guten Morgen!

Sebastian Edathy: Guten Morgen, Herr Frenzel!

Frenzel: Thüringens Innenminister Geibert hat damit den Zorn seiner Innenministerkollegen auf sich gezogen, von Geheimnisverrat ist die Rede. Kriegt er von Ihnen Lob?

Edathy: Ich habe prinzipiell Herrn Geibert nicht zu kritisieren. Ich finde das gut, dass Thüringen, nachdem man auch dort monatelang auf Akten warten musste, uns signalisiert hatte, man wolle jetzt vollständige Transparenz üben. Offenkundig hat das aber dazu geführt, dass man jetzt einfach auch den Keller leergeräumt hat in Erfurt und uns 1.500 Aktenordner schickt. Das ist mehr, als wir bisher im Gesamtbestand gehabt haben, deswegen müssen wir schauen, wie gehen wir damit um.

Und da gibt es zwei Sachen zu beachten: Wir können nicht als Abgeordnete selber 1.500 Aktenordner jetzt noch auf die Schnelle lesen, wir brauchen da schon einen weiteren Ermittlungsbeauftragten, der das mit seinem Team im Auftrag des Ausschusses macht.

Und das Zweite ist, es gibt in der Tat von 15 anderen Bundesländern und auch vom Bundesinnenministerium Bedenken wegen des Vorgehens von Thüringen, weil die sagen, wir haben Thüringen zugeliefert, da sind zum Teil schützenswerte Daten enthalten, die nicht benötigt werden für den Untersuchungsauftrag des Untersuchungsausschusses, und wir werden darüber nächste Woche intern im Ausschuss sprechen und dann auch mit den Vertretern der Exekutive.

Frenzel: Daraus spricht auch ein bisschen der Zweifel, ob geheime Akten bei Abgeordneten in guten Händen sind. Sind sie das?

Edathy: Ja, selbstverständlich, das ist doch gar keine Frage! Aber was wir brauchen, ist natürlich: Gab es Kontakte von Sicherheitsbehörden zum Umfeld des Terrortrios oder zum Trio selber, wir brauchen jetzt nicht massenhaft aus allen anderen Zusammenhängen in Sachen Rechtsextremismus zum Beispiel Klarnamen von V-Leuten oder Klarnamen von V-Mann-Führern. In beiden Fällen, wenn es denn doch mal passieren sollte, dass was an die Öffentlichkeit kommt, besteht Gefahr für Leib und Leben, das ist schon ein ernst zu nehmender Hinweis, und deswegen haben wir gesagt, wir sind bereit, mit den Ländern und auch mit dem Bund darüber zu sprechen, wie wir da vernünftig vorgehen.

Klar ist jedenfalls, wir brauchen die Informationen, die nötig werden für den Untersuchungsauftrag, und wir brauchen darüber hinaus gehende Informationen eher nicht.

Frenzel: Wollen Sie denn aus den anderen Bundesländern auch so viele Akten bekommen? Ich habe gerade ein bisschen herausgehört, das ist Ihnen fast ein bisschen viel, oder?

Edathy: Na ja, also sehen Sie, ich kriege dann aus Thüringen die Nachricht, man hätte selber gar nicht die Gelegenheit gehabt, aus Personalmangel, die eigenen Akten vorzusichten. Und wir sind seit Anfang des Jahres bei der Arbeit im Untersuchungsausschuss, das ist jetzt ungefähr ein Dreivierteljahr. Und dann sagt mir ein Bundesland wie Thüringen, sie schicken uns mal alles, was sie überhaupt haben zum Thema Rechtsextremismus – also buchstäblich alles.

Frenzel: Aber das kann ja vielleicht auch eine gute Sache sein, denn wir haben ja gesehen, dass die Landesämter nicht besonders gut damit umgegangen sind, nicht einen besonders guten Blick hatten – das Bundesamt und auch die Landesämter – beim Blick auf die Akten. Ist es nicht vielleicht besser, wenn Sie wirklich darauf schauen, damit nichts untergeht?

Edathy: Ja, aber sehen Sie, ich bin natürlich auch als Parlamentarier – und wir im Ausschuss insgesamt – darauf angewiesen, dass es eine gute Kooperation gibt, auch mit den Vertretern der Länder und auch mit den Vertretern der Bundesregierung. Und das heißt schon, dass ,wenn man guten Willens ist, man natürlich mal schauen kann, was hat nun überhaupt nichts zu tun mit dem Thema NSU und dem Umfeld. Das ist eigentlich dann schon eine Aufgabe auch der Länder, denn wenn jetzt mal weitergedacht wirklich alle Länder so verfahren würden wie Thüringen – ich meine, mir ist es natürlich lieber, wir kriegen Akten als wir kriegen keine Akten, das ist ja gar kein Thema –, aber dann werden wir so zugeschmissen mit Unterlagen, dass wir unserem Auftrag gar nicht nachkommen können.

Und deswegen überlegen wir ja auch in Sachen Thüringen, da wirklich einen externen Ermittlungsbeauftragten zu bestellen mit fünf, sechs Leuten, die ihm zuarbeiten, dass der mal einen ersten Blick in die Akten wirft und uns dann mitteilt, was ist davon wirklich für uns relevant.

Frenzel: Haben Sie denn nach den Pannen, nach jetzt einem Dreivierteljahr Arbeit im Untersuchungsausschuss den Eindruck, dass es einen echten Aufklärungswillen bei den Sicherheitsbehörden in Deutschland gibt?

Edathy: Ich habe jedenfalls den Eindruck, dass zunehmend diejenigen, die bei der Aufklärung nicht so mitarbeiten, wie wir uns das vorstellen, öffentlichen Druck bekommen und das ist auch völlig richtig so. Es geht darum, dass wir in diesem Ausschuss die wichtige Aufgabe haben, ein Stück weit das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Rechtsstaates zu restaurieren. Und da müssen wir alle ein Interesse daran haben, Regierungsvertreter und die Parlamente auf Landesebene und des Bundestages natürlich auch.

Und das Schlimmste wäre, wenn jetzt öffentlich der Eindruck entsteht nach den massiven Fehlern, die bei der Fahndung nach den drei untergetauchten Terroristen begangen worden sind, schließt sich jetzt ein Mauern bei der Aufklärung an, das darf nicht sein.

Frenzel: Die Rolle der V-Männer, die ist ja immer wieder ein Thema, dies auch diese Woche wieder in den Vordergrund gerückt. Wir wissen ja, seitdem das NPD-Verbotsverfahren genau deswegen gescheitert ist, dass es nämlich sehr viele in den rechten Strukturen gab, dass es sie gibt, aber wir sehen auch, sie helfen nichts. Warum ist das eigentlich so, sind Verfassungsschützer auf dem rechten Auge blind?

Edathy: Ich habe nicht den Eindruck. Ich haben mir die Akten angeschaut, da gab es eine konstatierte Aktion von zwei Verfassungsschutzämtern und des Nachrichtendienstes der Bundeswehr in Thüringen in den 90er-Jahren. Man wusste sehr genau, was in der Szene eigentlich los ist, und hat mit den Informationen aber nicht vernünftig gearbeitet, man hat es zum Teil nicht weitergeleitet.

Sehen Sie, wir haben verschiedene Probleme: Es gibt keine einheitlichen Richtlinien für den Einsatz von V-Leuten, in Thüringen gab es in den 90er-Jahren offenkundig gar keine, man informiert sich wechselseitig nicht, welche V-Leute man hat – also wir finden dann in den Akten aus Thüringen vom Bundesamt V-Leute des Bundes, die über V-Leute des Landes berichtet haben, seitenweise, weil die V-Leute des Bundes nicht wussten, dass das V-Leute des Landes sind, und die V-Mann-Führer und die Spitze der Behörde auch nicht. Das ist natürlich das Gegenteil von effizientem Rechtsstaat.

Aber grundsätzlich finde ich es im Sinne einer wehrhaften Demokratie völlig legitim, dass wir den Versuch unternehmen, aus extremistischen Zusammenhängen interne Informationen zu erheben, und da kann das Nutzen von V-Leuten ein guter Ansatz sein, weil es ungleich schwieriger ist, nehmen wir das Beispiel Rechtsextremismus, die organisieren sich zunehmend lose in sogenannten Kameradschaften, nicht mehr weitgehend in Parteien. Es ist zunehmend schwieriger, dort hauptamtliche, sozusagen beamtete Mitarbeiter einzuschleusen undercover. Wenn es funktioniert, dann dauert das Jahre, da ist es deutlich opportuner, zu sagen, wenn wir da Leute haben, die zwar überzeugte Rechtsextremisten sind, aber bereit sind, Wissen gegen Geld an den Staat zu verkaufen, dann greifen wir darauf zurück, aber die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass das rechtsstaatlich abläuft und das auch kontrolliert wird.

Frenzel: Das sagt Sebastian Edathy, der Vorsitzende des Bundestagsuntersuchungsausschusses, zu den NSU-Morden. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Edathy: Ja, gerne!

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