NSU-Prozess

Das gewalttätige Schweigen der Beate Zschäpe

Die Angeklagte Beate Zschäpe betritt den Gerichtssaal im Oberlandesgericht in München.
Nichts sagen, nichts fühlen? Zschäpes Schweigen verhindert auch die seelische Aufarbeitung der NSU-Morde © picture alliance / dpa / Peter Kneffel
12.01.2015
Was auch immer beim NSU-Prozess vor Gericht gesagt wird, eine wird zur Aufklärung nichts beitragen: Beate Zschäpe. Der Psychologe Christian Kohlross wertet ihr Schweigen als einen Angriff auf die Angehörigen der Opfer.
Der Psychologe Christian Kohlross hat der Angeklagten im NSU-Prozess, Beate Zschäpe, vorgehalten, mit ihrem ununterbrochenen Schweigen die Angehörigen der Opfer ein weiteres Mal zu schädigen und diese zu missachten. Im Deutschlandradio Kultur sagte Kohlross, das Schweigen von Zschäpe sei mehr als eine Provokation. Es sei fast "so etwas wie eine zweite Tat", betonte der Psychologe. Zschäpe mache sich an den Angehörigen der Opfer "nochmals schuldig". "Sie ist gewalttätig gegenüber ihnen, weil sie ihnen ihr Recht verwehrt auf Aufklärung, auf Verstehen, was gerade für Opfer immer ganz, ganz entscheidend ist", sagte er. Das sei das einzige, was bei der Aufarbeitung eines schweren Traumas helfe: "Man will zumindest verstehen, auch wenn man es nicht mehr ändern kann. Das allein schafft Linderung."
Zugleich erklärte der Literaturwissenschaftler und psychologische Berater Zschäpes Verhalten aber. Sie habe nicht die Wahl, zu einigen Punkten zu schweigen und zu anderen nicht. Denn wenn sie das täte, könnten die Richter aus ihrem zeitweiligem Schweigen Rückschlüsse ziehen. Solange sie gar nichts sage, dürften die Richter das aus formaljuristischen Gründen nicht tun. Kohlross glaubt dennoch nicht, dass Zschäpe mit ihrer Strategie gut beraten ist. In der Öffentlichkeit werde generell vergessen, dass die Täter sich mit ihrer Tat auch selbst traumatisierten. Es könne sei, dass Zschäpe mit ihrer Strategie am Ende drei oder vier Jahre weniger Gefängnis bekomme. Nur ein Schuldbekenntnis biete aber die Chance für sie, ihre Tat auch durchzuarbeiten und zu bewältigen.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Paul Elmar Jöris über das Nagelbombenattentat von Köln, um das es heute beim NSU-Prozess in München gehen wird.
Was genau vor Gericht geschieht, das müssen wir abwarten. Sicherlich werden viele da heute reden, und fast genauso sicher ist es, dass eine es wieder nicht tun wird: die Angeklagte Beate Zschäpe nämlich. Über deren fortgesetztes Schweigen wollen wir jetzt mit Christian Kohlross reden. Der habilitierte Literaturwissenschaftler lebt und arbeitet als Coach und psychologischer Berater in Berlin und ist jetzt zur frühen Stunde zu mir gekommen. Schönen guten Morgen erst mal!
Christian Kohlross: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Beeindruckt Sie das Schweigen der Beate Zschäpe?
Kohlross: Ja, es beeindruckt mich, weil es so durchgehalten wird über eine so lange Zeit und so intensiv. Sie ist angegangen worden von einer Mutter eines Getöteten, und mit der Bitte – sie ist geradezu angefleht worden – endlich zu reden, und sie ist hart geblieben. Und ich glaube, dass diese Härte auch etwas bei ihr selbst hinterlässt, dass es eine Bürde ist, die sie sich selbst gewählt hat, dieses Schweigen, aber dass es hart ist für sie, das durchzuhalten.
Kassel: Das klingt jetzt fast nach einem Hauch von Respekt in diesem Detail, dass Sie sagen: Es ist eine Leistung, so lange zu schweigen?
Kohlross: Es ist eine Leistung, sich zu etwas zu entscheiden, warum auch immer, vielleicht, weil sie überzeugt worden ist, wahrscheinlich, weil sie überzeugt worden ist von ihren Anwälten, mit denen sie nicht immer ganz zufrieden war, und es dann in der Konsequenz durchzuhalten. Wenn man das als Leistung ansehen will, ist es eine Leistung. Aber die hat ja ihre andere Seite, über die wir wahrscheinlich gleich noch sprechen werden.
Kassel: Aber wo Sie die Anwälte erwähnen, da merkt man ja gerade bei diesen intensiven Gesprächen, die sie mit denen immer führt, wann auch immer es geht –man beobachtet das oft: Es kann ja bei ihr nicht darum gehen, dass sie nichts zu sagen hat.
Bei Zschäpe geht es offensichtlich nicht einfach um Schweigen, sondern um Verschweigen
Kohlross: Es ist offensichtlich, wenn es um das Schweigen der Beate Zschäpe geht, offensichtlich nicht einfach ein Schweigen, sondern ein Verschweigen von etwas, das sie weiß und das sie nicht sagen will.
Die Gründe dafür liegen vermutlich auf der Hand: Vermutlich sind es einfach die, dass sie sich so etwas wie eine Strafminderung dadurch erhofft, obwohl Beispiele wie Christian Klar zeigen, dass das schiefgehen kann. Christian Klar hat bis zum Ende des Prozesses geschwiegen und er ist bis zum Ende der lebenslangen Haftzeit, das (sind) in Deutschland immerhin 23, 24 Jahre, dann auch gesessen. Das kann auch schiefgehen.
Kassel: Der Kriminalpsychologe Thomas Müller hat gesagt, Schweigen sei die aggressivste Form der Kommunikation, und seit ich das gehört habe, denke ich darüber nach und bin mir nicht sicher, ob ich mit ihm übereinstimme. Sie sind da ja der Fachmann. Was bedeutet das? Ist Schweigen aggressiv?
Schon Kafka hat gezeigt, wie aggressiv Schweigen sein kann
Kohlross: Schweigen kann sehr aggressiv sein. Sie selbst und ich nehme an, viele Ihrer Hörer kennen „Das Schweigen der Sirenen" von Franz Kafka, und Franz Kafka spielt in diesem kleinen Prosastück den Gedanken durch, dass Odysseus angekettet und mit Wachs in den Ohren an den Sirenen vorüberfährt, die Sirenen aber tatsächlich nicht singen, nicht ihren verführerischen Gesang singen, sondern tatsächlich schweigen. Und Kafka bemerkt dazu, dass das die eigentliche Gewalt sei, nicht das Singen, sondern das Schweigen, die wir nicht ertragen können.
Und bei Kafka geht es dann darum: Weiß Odysseus, dass sie singen, oder weiß er es nicht, dass sie singen? Aber Kafka spielt am Schluss den Gedanken durch: Er weiß, dass sie (nicht) singen. Er muss sich gegen dieses Schweigen schützen, indem er sich ankettet. Und dann ist die Frage: Warum ist Schweigen eigentlich so sehr, so schwer zu ertragen?
Meine nicht sonderlich überzogene These lautet einfach: weil wir sinnproduzierende Tiere sind. Wir sind sinnproduzierende Tiere, unterscheiden uns von den Tieren eben dadurch, dass wir Sinn produzieren, mit dem Akuten, mit der Betonung auf dem Produzieren. Wir können es nicht ertragen, im Sinnlosen, in der Sinnlosigkeit, in der Erklärungsnot belassen zu werden.
Kassel: Ist das Schweigen von Beate Zschäpe in diesem Sinne auch eine Provokation?
Kohlross: In diesem Sinne scheint es mir eine ganz ... ja, mehr sogar als eine Provokation, nämlich fast so was wie eine zweite Tat oder eine dritte oder eine vierte oder eine wievielte Tat auch zu sein.
Zschäpe verwehrt den Opferfamilien das Recht auf Aufklärung
Sie macht sich nämlich schuldig an dem Wunsch der Opfer, das heißt, heute einfach der Opferfamilien und Angehörigen und der Mitleidenden im Wortsinne, sie macht sich an ihnen noch mal schuldig, sie ist gewalttätig gegenüber ihnen, weil sie ihnen ihr Recht verwehrt auf Aufklärung, auf Verstehen, was gerade für Opfer immer ganz, ganz entscheidend ist und bei jeder Aufarbeitung eines wie auch immer großen, und hier darf man davon ausgehen, eines sehr großen Traumas natürlich – sie haben einen Angehörigen verloren – hilft. Man will zumindest verstehen, auch, wenn man es nicht mehr ändern kann. Das allein schafft Linderung.
Kassel: Sie nimmt aber natürlich ihr eigenes Recht völlig korrekt wahr, sie hat als Angeklagte natürlich das Zeugnisverweigerungsrecht. Das ist ein Grundsatz unseres Rechtssystems. Aber geht es Ihnen nicht so wie manchen anderen Beobachtern, dass man manchmal bei diesem, ich bleibe mal bei diesem Ausdruck, aggressiven Schweigen, das wir da erleben, das Gefühl hat: Das kann so nicht rechtens sein? An sich müsste man sie irgendwie zwingen können?
Kohlross: Ja, ich verstehe, dass das der Fall ist, weil Schweigen macht noch etwas anderes, und das ist: Wer schweigt ... Jeder kennt die Situation, oder nicht jeder, aber manche kennen die Situation beim Psychoanalytiker: Der Analytiker schweigt. Und was passiert? Der Klient projiziert auf den Analytiker, er überträgt. Und das ist genau das, was wir auf Beate Zschäpe natürlich auch übertragen, das ist unsere eigene Wut, unsere eigene Aggression, die wir auf das selbst wiederum aggressive Verhalten von Beate Zschäpe auch projizieren.
Das ist glaube ich ganz, ganz entscheidend in diesem Zusammenhang. Und wir möchten ihr ganz gerne das Recht, das aber ein Grundrecht ist, auf Aussageverweigerung entziehen. Aber sie hat, um das noch anzumerken, sie hat nicht die Wahl, manches zu sagen und manches nicht zu sagen, denn wenn sie das täte, dann könnten die Richter aus ihrem Schweigen in diesem Fall Rückschlüsse ziehen. Wenn sie generell schweigt, und das ist das, was sie tut, dann dürfen die Richter formaljuristisch daraus keine Rückschlüsse ziehen.
Kassel: Ich empfinde dieses Schweigen – jetzt gehen wir weg von dieser Aggressivität, darüber haben wir gesprochen – auch noch als ein Zeichen, es ist natürlich alles Interpretation bei uns beiden, und sie, sie redet ja nicht, sie kann ja nicht sagen, wie es ist, aber noch als etwas anderes, nämlich als eine Verachtung, die sie ausdrückt für das Gericht, weil sie doch auch sagt, indem sie über ihre Anwälte ja ständig Einfluss übt, es ist ihr ja nicht alles egal, aber sagt, ich nehme aktiv eigentlich an diesem Prozess gar nicht teil, zeigt sie doch auch, mich interessiert auch euer Rechtssystem überhaupt nicht.
Kohlross: Ich weiß nicht, ob sie dieses Rechtssystem nicht interessiert, oder ob sie dieses Rechtssystem nicht eigentlich nur benutzt für ihre Zwecke. Und ich habe schon gesagt, das ist eine wiederholte Aggression, es ist eine Form der Missachtung der Opfer und der Opferangehörigen – das auf jeden Fall.
Kassel: Sie haben es auch schon mal erklärt: Allein schon aus formaljuristischen Gründen kann sie nicht im Einzelfall jetzt überlegen, sage ich mal was oder nicht, aber rechnen Sie denn damit – Sie haben ja schon gesagt, was für ein Druck auch auf ihr lastet, dieses Schweigen durchzuhalten – dass sie es durchhalten wird bis zum bitteren Ende?
Bei Gewalt und Mord werden auch die Täter traumatisiert
Kohlross: Ich weiß nicht ganz genau. Die Frage ist – und darüber können wir dann spekulieren – ob sie gut beraten wäre, das zu tun. Und ich glaube, was in der Öffentlichkeit generell vergessen wird, wenn es um Mord geht und um schwere Gewalttaten, ist, dass die entsprechenden Täter sich auch selbst traumatisieren, nicht nur ihre Opfer, nicht nur die Angehörigen, sondern sich auch selbst.
Und da ist die Frage, da ja juristische Prozesse mehr sind als nur formale Verfahren, sondern auch Aufarbeitungsprozesse, also Prozesse des Erinnerns, Wiederholens, Durcharbeitens von Schuld, ob sie wirklich gut beraten ist, wenn sie weiterhin schweigt. Denn was könnte dabei rauskommen?
Es kann sein, dass sie am Schluss zwei oder drei oder vier oder fünf Jahre weniger im Gefängnis sitzt, und wir könnten sagen: "So what?" Aber sie hätte die Möglichkeit, offensiv zu sagen, mea culpa, ich bin schuld, das ist meine Schuld, und das wäre auch für sie selbst eine Möglichkeit, das für sich zu ändern und erinnern, zu wiederholen und durchzuarbeiten.
Aber das scheint der Fall zu sein, dass sie das nicht will, dass sie lieber darauf spekuliert, lieber pokert, ein paar Jahre weniger im Gefängnis zu sitzen. Ich halte das nicht für die richtige Option.
Kassel: Sagt der psychologische Berater, Coach und auch habilitierte Literaturwissenschaftler Christian Kohlross. Danke für den Besuch im Studio!
Kohlross: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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