NSA-Spähaffäre

Schriftsteller zensieren sich selbst

Moderation: Katrin Heise · 11.12.2013
Einige Autoren in den USA geben zu, ihr Verhalten der Massenüberwachung angepasst zu haben. "Die individuelle Freiheit ist zu Ende, wenn wir so weiter machen", sagt die Schriftstellerin Janne Teller und warnt ihre Kollegen vor Selbstzensur.
Katrin Heise: 560 Schriftsteller aus aller Welt gehörten zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gegen Massenüberwachung. Auch die in New York und in Berlin lebende dänische Schriftstellerin Janne Teller gehörte zu den Initiatorinnen. Sie mutet in ihren Büchern den Lesern immer wieder eine Auseinandersetzung mit der harten Wirklichkeit zu, also war es für Janne Teller ganz klar, dass sie da mitmacht. Ich konnte vor der Sendung mit ihr über die Stimmung in den USA sprechen.
In Deutschland wird immer wieder verwundert festgestellt, und die Initiatoren des Aufrufs, die Schriftstellerin Juli Zeh und Ilija Trojanow haben gestern das auch noch mal bestätigt, seit einem halben Jahr liegen Tag für Tag mehr Snowden-Enthüllungen über Massenüberwachung auf dem Tisch, und was geschieht in der Bevölkerung? Nichts. Aus Amerika hört man, dass Snowden nach wie vor von Teilen als Verräter gesehen wird. Und ich fragte Janne Teller, wie sie das in den USA wahrnimmt.
Janne Teller: Ich glaube, dass das unglücklicherweise die Art und Weise der amerikanischen Regierung ist, Individuen darzustellen, die sich als Whistleblower hervorgetan haben. Man versucht einfach, ihre Glaubwürdigkeit zu unterminieren, und ich glaube auch, dass sich in 30 Jahren ein ganz anderes Bild dieser Situation zeigen wird. Wenn man jetzt zum Beispiel die Feiern zum Tod von Nelson Mandela betrachtet, wie dieser Mann jetzt gefeiert wird als Held, und wie er früher, als er noch gegen die Apartheid kämpfte, als Terrorist dargestellt wurde, selbst, als er schon im Gefängnis saß, haben viele westliche Regierungen ihn noch als Terroristen betrachtet.
Erst später, als man das Apartheidsystem als das gesehen hat, was es war, als man objektiver da herangegangen ist, hat sich gezeigt, dass er ein Kämpfer für die Freiheit war, und dieses Bild des Terroristen blieb nicht länger bestehen. Die Individuen, die gegen die Massenüberwachung kämpfen, kämpfen damit sozusagen gegen diejenigen, die diese Massenüberwachung aufrechterhalten, also gegen die Mächtigen zu diesem Zeitpunkt.
Und da muss man sehen, dass dies zurzeit eine Attacke, ein Angriff auf die individuellen Freiheiten der Menschen, der Bürger ist, der bisher ungekannt ist, der noch nicht so vorgekommen ist. Bis in die intimste Kommunikation wird alles überwacht, und das muss bekämpft werden. Es ist natürlich immer schwer, der erste Kämpfer zu sein, der erste, der etwas bekämpft. Und ich denke, Snowden zahlt da den höchsten Preis.
Jeder fünfte Autor hat Verhalten verändert
Heise: Sie haben eben gesagt, Frau Teller, der Einzelne darf nicht alleingelassen werden, also Snowden in diesem Fall. Umso wichtiger wäre es ja, eine breite Öffentlichkeit zu schaffen, und damit bin ich bei den Intellektuellen und Schriftstellern, auch gerade in Amerika. Der US-Pen-Club hat im November eine Umfge über Selbstzensur unter 520 amerikanischen Autoren veröffentlicht, an die hundert Prozent sind natürlich besorgt, 20 Prozent sagen, sie haben ihr Verhalten verändert, was soziale Medien und auch, was Recherche betrifft. Und es ging aber auch dann bis dahin, dass man diese Themen in seinem Werk vermeidet. Was sagen Sie dazu?
Teller: Es ist natürlich sehr traurig, wenn Menschen Selbstzensur ausüben, bevor sie sich daran machen, die Mächtigen zu bekämpfen, die diese Selbstzensur sozusagen fordern. Und bei der Massenüberwachung bedeutet das, dass wirklich alle überwacht werden. Alle Menschen. Das ist so, als ob man gestalkt wird – man ist zwar komplett unschuldig, aber man ändert trotzdem sein Verhalten, man versucht sich dem zu entziehen. Man versucht dahin zu gehen, wo der Stalker nicht ist, man versucht, das Telefon zu vermeiden oder all diese Dinge. Das ist wie bei der Überwachung.
Unser Verhalten, unsere Kommunikation wird überwacht und man wird so damit umgehen, man wird es so überdenken, dass es nicht gegen einen verwendet werden kann. So hat auch der Ostblock funktioniert, dass man wusste, dass die Behörden oder die Mächtigen immer etwas gegen einen in der Hand hatten, dass sie immer etwas von einem wussten, von dem man selber wollte, dass es geheim bleibt. Ich denke, jeder, der über zehn Jahre alt ist, hat irgendetwas, von dem er möchte, dass es nicht an die Öffentlichkeit gelangt. Und wir werden dadurch zu Sklaven derer, die wissen, was wir gerne geheim halten würden. Und das müssen nicht unbedingt die Mächtigen sein, das können auch andere Menschen sein, das kann ein Nachbar sein, ein Ex-Mann, der wütend auf uns ist oder irgendjemand, dem unsere Meinung nicht gefällt. Auch diese Menschen können selbst die kleinsten Details über uns erfahren.
Autoren-Aufruf in der FAZ.
In Deutschland veröffentlichte die FAZ den Aufruf der Autoren.© DLF/FAZ
Heise: Das heißt, die Einschüchterung hat schon total gewirkt Ihrer Meinung nach. Wenn die "Washington Post" und die "New York Times" den Aufruf nicht abdrucken wollen, was schließen Sie daraus? Ist das auch ein selbstverordneter Maulkorb, Selbstzensur?
Teller: Ich glaube nicht, das so sagen zu können. Ich habe inzwischen gelernt, dass man in den USA Manifeste und Aufrufe dieser Art einfach nicht druckt, das gilt dort als politische Aktivität, und das wird halt nicht gemacht. Natürlich hätte es uns gefallen, wenn es gedruckt worden wäre, aber ich denke, dass das auch noch im Nachrichtenteil auftauchen wird, diese Aktion. Aber dass es jetzt als Aufruf gedruckt wird, das wird nicht passieren. Aber man hat und in der Tat gefragt, zum Beispiel, ob wir einen Artikel für die „New York Times“ darüber schreiben wollen. Nur als Aufruf wird es halt nicht gedruckt.
T.C. Boyle: "Surfen Sie nicht im Internet"
Heise: Der chinesische Schriftsteller Liu Zhi Wu begründete seine Unterschrift folgendermaßen: "Im diktatorischen China habe ich mehr als die Hälfte meines Lebens unter Überwachung verbracht. Ich habe geglaubt, dass es im Westen keine Überwachung der alltäglichen Worte und Handlungen der Bürger gibt. Ich habe mich geirrt." Und sein US-amerikanische Autorenkollege, T. C. Boyle, rät: "Surfen Sie nicht im Internet, gehen Sie nicht hinaus auf die Straße, sprechen Sie die Drohnen nicht persönlich an. Zerstören Sie einfach das Telefon und den Computer."
In den beiden von mir genannten Zitaten zeigt sich ja so eine gewisse Verzweiflung. Man kann sich nicht vorstellen, dass das passiert, vor allem nicht in Demokratien, und man weiß auch überhaupt nicht, wie man sich zeitgemäß helfen kann. Teilen Sie diese Gefühle?
Teller: Ja, in der Tat. Das fällt plötzlich auf uns herab und ist auf einmal überall. Die NSA weiß plötzlich alles über uns, wo wir sind, was wir machen. Und da reicht schon ein ganz normales Handy, das sie dann über die Nummer finden können. Und die individuelle Freiheit ist zu Ende, wenn wir so weitermachen.
Heise: Wo sehen Sie, Frau Teller, jetzt eigentlich die Verantwortung für die nächsten Schritte? Bei der Politik oder bei jedem Einzelnen für sich ganz persönlich?
Teller: Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Bewegung als Anfang zu sehen, nicht als ein Ende. Hier hat eine Bewegung gerade erst angefangen, die sich weltweit ausweiten wird, der sich immer mehr Individuen anschließen werden. Und so lange, bis die Politik sie einfach nicht mehr übersehen kann und dadurch zum Handeln gezwungen wird. Es wäre uns natürlich lieber, wenn das früher als später passiert, aber wir werden weitermachen so lange, bis es passiert.
Heise: Warum setzen Sie sich für diesen Aufruf gegen Massenüberwachung ein? Tun Sie das als Privatperson oder verspüren Sie so eine Verantwortung als Autorin?
Teller: Eigentlich spüre ich als Autorin keine besondere Verantwortung, mich in diese Richtung zu äußern. Als Autorin habe ich die Verantwortung, gute Bücher zu schreiben. Aber als Individuum ist mir doch sehr daran gelegen. Ich habe lange Zeit auch UN-Demokratisierungsprozesse begleitet und habe dabei gelernt, dass eine Demokratie ohne Bürgerrechte nicht funktionieren kann. Dass so keine freie Entscheidungsfindung für die Bürger möglich ist.
Man muss in der Lage sein, seine Regierung zur Verantwortung zu ziehen, sonst kann eine Demokratie nicht funktionieren. Das war schon immer ein wichtiges Thema für mich. All diese Themen, über Menschenrechte, Verantwortung und Freiheit haben mich sehr lange Zeit begleitet.
Heise: Der Aufruf gegen Massenüberwachung. Nach den Schriftstellern ist jetzt also jeder Einzelne gefragt, ihn zu unterschreiben. Janne Teller, Schriftstellerin. Vielen Dank für dieses Gespräch, Frau Teller!
Teller: Danke Ihnen!
Heise: Bei der Übersetzung half uns Marei Amir.
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