NPD-Verbotsverfahren

Der staatsfeindliche Wille muss sich nachweisen lassen

Peter Müller (l-r), Präsident Andreas Voßkuhle, Herbert Landau, Monika Hermanns und Doris König vom Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts bei der Fortsetzung der mündlichen Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über ein Verbot der rechtsextremen NPD.
Wie werden die Bundesverfassungsrichter in Sachen NPD entscheiden? © dpa-Bildfunk / Uwe Ansprach
Wolfgang Löwer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 04.03.2016
Das Bundesverfassungsgericht befasst sich erneut mit einem Verbot der rechtsradikalen NPD. Der Rechtswissenschaftler Wolfgang Löwer zeigt sich jedoch noch skeptisch: Die Verfassungsrichter könnten die Verhältnismäßigkeit eines Verbots in Zweifel ziehen.
Die NPD ist rassistisch und radikal, an ihrer Verfassungsfeindlichkeit besteht ebenfalls kein Zweifel. Dennoch zeigt sich der Rechtswissenschaftler und ehemalige Richter Wolfgang Löwer skeptisch, ob dies ausreicht, um das Bundesverfassungsgericht dazu zu bewegen, sich für ein Verbot der Partei auszusprechen.
Man sieht von links nach rechts die NPD-Parteifunktionäre Peter Richter, Ronny Zasowk, den Parteivorsitzenden Frank Franz und Klaus Beier an einem Tisch vor einer roten Fahne.
Die NPD-Parteifunktionäre Peter Richter, Ronny Zasowk, der Parteivorsitzende Frank Franz und Klaus Beier.© picture-alliance / dpa / Jan Peters

Aggressiv gegen die Grundordnung

Parteien, die aggressiv-kämpferisch gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vorgehen und den Bestand der Bundesrepublik gefährden, sind verfassungswidrig und können auf Antrag von Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Löwer, Prozessbevollmächtigter des Bundestages beim ersten, gescheiterten NPD-Verbotsverfahren, 2003, sagt jedoch:
"Der reine Kopfwille reicht nicht aus. Es muss sich in den Handlungen der Partei der Wille und das Daraufanlegen der Beeinträchtigung nachweisen lassen."

Gefährdet die NPD die Bundesrepublik?

Auch die Tatsache, dass die NPD in einigen Regionen Deutschlands, etwa in Mecklenburg-Vorpommern, in der kommunalen Politik stark vertreten ist und Einfluss auf sie nimmt, sei vermutlich kein hinreichendes Argument, da sich die Frage stelle:
"Gefährdet das im Ganzen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland?"
Gleichwohl sei die Gefährdung dieser Grundordnung durch die ideologische Nähe der NPD zum Nationalsozialismus nicht von der Hand zu weisen. Einem Verbot stehe jedoch auch die Europäische Menschenrechtskonvention entgegen. Die NPD-Vorsitzenden berufen sich darauf und drohen, im Falle eines Verbots vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen.
Zwar sei die Europäische Menschenrechtskonvention kein Maßstab für das Bundesverfassungsricht, weil es nur das Grundgesetz zugrunde zu legen hat. Doch fühle sich die Bundesrepublik auch an das Völkerrecht gebunden.

Das Interview im Wortlaut:
Liane von Billerbeck: Es ist 13 Jahre her, 2003, als der Versuch scheiterte, die NPD als verfassungsfeindlich zu verbieten. Wichtige Informationen über die rechtsextreme Partei waren von V-Leuten des Verfassungsschutzes gekommen. Die gestern zu Ende gegangenen dreitägigen Verhandlungen in Karlsruhe, im zweiten Versuch dieses Ziel zu erreichen, verfolgt einer sehr genau: Wolfgang Löwer, Professor für Öffentliches Recht an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er war Prozessbevollmächtigter des Bundestages im ersten Verbotsverfahren und ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
Wolfgang Löwer: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Nach drei Verhandlungen nun reichlich Mutmaßungen. Der "Tagesspiegel" schrieb, "Richter zweifeln an Gefährlichkeit der NPD", die "Süddeutsche Zeitung": "Richter zweifeln an ihrer Schlagkraft". Lässt sich daraus schließen, dass die Verfassungsrichter die Beweislage für ein Verbot möglicherweise als zu gering ansehen?
Löwer: Frau von Billerbeck, ich war nicht in Karlsruhe, ich hab das nicht beobachtet, aber ich höre natürlich bei vielen Beobachtern Skepsis, ob das Gericht gewissermaßen verbotsbereit ist, obwohl es an der verfassungsfeindlichen Ideologie der NPD offenbar und selbstverständlich keinen Zweifel hat. Das liegt daran, dass ein Wort, das 2003 noch gar nicht so eine große Rolle gespielt hat, neu in die Debatte eingeführt worden ist – die meisten Beobachter bringen das auf die Formel, ob die NPD denn hinreichend gefährlich ist, oder anders gesagt, lohnt es sich, auf einen Zwerg mit dem Parteiverbot einzuschlagen.
von Billerbeck: Bloß dieser Zwerg, der hat ja in bestimmten Bereichen dieses Landes – nehmen wir Mecklenburg-Vorpommern, von dort kommt ja ein großer Teil des Beweismaterials – durchaus Schlagkraft. Es gab ja Argumente der Präsidentin des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern, es wird auf die Beeinträchtigung der parlamentarischen Tätigkeit hingewiesen, es wird auf Ordnungswidrigkeiten hingewiesen, es wird darauf hingewiesen, dass die NPD in ganzen Landstrichen eine Art Hegemonie hat – reicht das nicht?
Löwer: Das wird das Gericht zu würdigen haben, ob diese Einschätzungen auch in der jetzt von Ihnen so zusammengefassten Intensität eigentlich wirklich vorliegen. Also nüchtern in Zahlen betrachtet, gibt es noch in Mecklenburg-Vorpommern ein paar Landtagsmandate und allerdings, das sollte man auch nicht geringschätzen, über 300 Mandate in Kommunalvertretungen.
Wenn man ein Tatbestandsmerkmal der Gefahr, der Gefährlichkeit einführt in Artikel 21 Grundgesetz, also in der Verbotsnorm steht davon nichts – ich komme gleich drauf, warum man das vielleicht einführen muss. Wenn man das einführt, dann ist das würdigungsmäßig nicht so einfach, ob man sagen kann, na ja, da oben im Nordosten, da gibt es ein paar Gegenden, wo die relativ wirkmächtig sind, aber sonst in der Republik nicht. Gefährdet das die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland …
von Billerbeck: Als Ganzes quasi.
Löwer: … nicht als Ganzes, weil das ist ja das Anliegen, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht gefährdet werden darf. Und ob also dann relativ diffuse Lagen in einzelnen Landstrichen ausreichen, das würde das Gericht zu würdigen haben.
von Billerbeck: Sie haben ja in der Vergangenheit in anderen Interviews gesagt, die Gründe für ein Verbot bestünden weiterhin. Was wäre denn an Beweisen, an handfesten Beweisen nötig, um dieses Verbot, um so ein Verbot zu untermauern?
Löwer: Also noch mal: Nach dem Grundgesetz – da steht nichts von Gefahren drin – wäre das relativ einfach zu begründen, denn danach brauche ich eine Partei, die darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Also der reine Kopfwille reicht nicht aus, es muss sich in den Handlungen der Partei der Wille des Darauf-Ausgehens der Beeinträchtigung nachweisen lassen. Und da sind die großen Latten von strafrechtlichen Verurteilungen, die man da aufzählen kann wegen Vorzeigen verfassungsfeindlicher Zeichen und so weiter natürlich ein gutes Indiz.
Wir haben damals – und das ist auch offenbar jetzt wieder der Fall – in den Anträgen sehr stark mit der Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus argumentiert, sodass, wenn man nur diese Sachbefunde nimmt, die Verbotsreife nicht fernliegend ist oder eher naheliegend ist, wenn eben nicht die europäische Menschenrechtskonvention wäre, die zwar nicht Maßstab für das Bundesverfassungsgericht ist, weil sie nicht das Grundgesetz ist, die aber auf die Auslegung des Grundgesetzes einwirkt.
von Billerbeck: Die NPD hat ja angekündigt im Falle eines Verbotes vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen, den gab es damals, 2003, noch nicht.
Löwer: Doch, doch, den gab's schon.
von Billerbeck: Den gab's schon, Entschuldigung. Welche Rolle spielt der?
Löwer: Ja, wie gesagt, die Europäische Menschenrechtskonvention ist natürlich nicht Maßstab des Bundesverfassungsgerichts, weil das Bundesverfassungsgericht nur das Grundgesetz zugrunde zu legen hat, aber wir haben eine offene, völkerrechtsfreundliche Rechtsordnung, und deshalb wird die EMRK und die Judikatur dazu vom Bundesverfassungsgericht beachtet. Also es versucht das Grundgesetz so auszulegen, dass kein Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention als völkerrechtliche Bindung entsteht. Und wenn man jetzt in die Judikatur des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte guckt, die nun auch nicht von letzter Klarheit in der Frage geprägt ist, dann findet man eben dort den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Prüfungsmaßstab, den Artikel 21 Absatz 2 als nationale Verbotsnorm gar nicht kennt.
Also das Verbot muss verhältnismäßig sein, man darf nicht – um es mit dem früheren Berliner Polizeipräsidenten der Weimarer Republik zu sagen –, man darf nicht mit einer Kanone auf einen Spatzen schießen. Und ob die NPD nur ein Spatz ist, das ist die Frage.
von Billerbeck: Wolfgang Löwer war das, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bonn, über die Schwierigkeit, die NPD als verfassungsfeindlich zu verbieten. Ich danke Ihnen für das Gespräch!
Löwer: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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