"Notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht durchfechten"

Markus Beckedahl im Gespräch mit Ulrike Timm · 05.02.2009
Der Betreiber des Internet-Blogs <papaya:link href="http://www.netzpolitik.org" text="netzpolitik.org" title="Webseite von netzpolitik.org" target="_blank" />, Markus Beckedahl, will notfalls vor dem Bundesverfassungsgericht klären lassen, ob interne Unternehmens-Dokumente von Dritten im Internet veröffentlicht werden dürfen. Beckedahl, der einen internen Bericht der Deutschen Bahn zum Datenskandal ins Netz gestellt hatte, sagte, er könne schlimmstenfalls wegen des Verrats von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen verurteilt werden.
Ulrike Timm: Markus Beckedahl von netzpolitik.org ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

Markus Beckedahl: Guten Morgen!

Timm: Haben Sie dem Journalismus einen Dienst erweisen wollen oder wollten Sie der Bahn einfach mal mächtig eins auswischen?

Beckedahl: Also der Bahn wollte ich jetzt nicht unbedingt mächtig eins auswischen, ich fahr gern mit der Bahn und bin da eigentlich auch sehr treu. Mir ging es darum, dass dieses Papier, was mir zugespielt wurde, zwar in verschiedensten Medien thematisiert wurde, aber die Informationen waren da alle sehr vorgefiltert von Journalisten. Und ich finde, dass sich eigentlich jeder selbst ein Bild von der Realität machen sollte und möglichst viele solche Papiere zu Gesicht bekommen sollte. Also eine Gesellschaft sollte das eigentlich unterstützen.

Timm: Aber Sie haben schon ein Tabu gebrochen, indem Sie so ein geheimes Dokument vollständig öffentlich gemacht haben?

Beckedahl: Ja, das kann gut sein, dass das ein Tabu war. Für mich ist das eigentlich selbstverständlich. Früher kursierten solche Papiere halt nur durch die Medien. Das heißt, einige wenige waren in der Lage, die Informationen vorzufiltern und uns als Öffentlichkeit diese Informationen vorgefiltert wiederzugeben. Und jetzt kann eigentlich jeder Teil einer informierten Öffentlichkeit sein durch das Internet. Also da ist ja genug Platz drin, da passt noch genug rein.

Timm: Eines hat die Bahn ja mit Sicherheit erreicht: So viel Aufmerksamkeit, wie Sie seit gestern für Ihr Internetportal netzpolitik.org haben, haben Sie noch niemals gehabt.

Beckedahl: Das ist richtig. Die Zugriffszahlen haben sich verdreifacht, und allein diesen Bericht, den, als ich Samstag reinstellte, bis Dienstag vielleicht 2000, 3000 Menschen gelesen haben, den haben mittlerweile fast 50.000 Menschen zu Gesicht bekommen. Und das sind nur die Zugriffe auf meiner Seite auf den Bericht.

Timm: Der Schuss ist also sozusagen nach hinten losgegangen. Hat die Vehemenz der Bahn-Reaktion Sie überrascht?

Beckedahl: Meinen Sie jetzt die Abmahnung?

Timm: Die Abmahnung, man hat Ihnen presserechtliche Konsequenzen angedroht, also dieses große Geschütz, was aufgefahren wurde.

Beckedahl: Das hat mich tatsächlich ein klein wenig überrascht. Ich habe da weniger Reaktion erwartet, zumal halt die meisten Informationen aus dem Bericht schon in den Medien für alle lesbar waren.

Timm: Eben. Also Sie haben eigentlich nur was verbreitet, was man nachlesen kann in Gänze, was aber eigentlich sowieso bekannt war. Nun ist es ja so, die Reaktion der Bahn ist heftig, Abmahnung, Unterlassungserklärung, was kann Ihnen denn schlimmstenfalls blühen?

Beckedahl: Im schlimmsten Fall kann mir blühen, dass mich ein Gericht wegen, ja, dem Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen schuldig spricht. Mir sind strafrechtliche Sachen angedroht worden von der Deutschen Bahn, und das kann natürlich auch zu einer höheren Geldstrafe führen. Aber meine Anwälte sind der Meinung, dass ich gute Chancen habe, und ich werde das notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht durchfechten, weil ich finde, das ist eine wichtige gesellschaftliche Frage, ob so was erlaubt sein soll oder nicht. Und ich bin der Meinung, das sollte erlaubt sein.

Timm: Das Ding funktioniert ja auch wie ein Schneeballsystem. Inzwischen ist dieses Dokument ja nicht nur bei Ihnen, sondern in verschiedensten Web-Seiten abrufbar mit – das habe ich heute Morgen noch mal nachgeschaut – mit der Bitte um Weiterverbreitung. Heißt das, das Netz erweitert das journalistische Spektrum und damit auch die Kontrollinstanz der Medien aus Ihrer Sicht?

Beckedahl: Das auf jeden Fall. Also wir sehen hier den sogenannten Streisand-Effekt. Es gab mal Bestrebungen der Schauspielerin Barbara Streisand, Bilder von sich aus dem Netz rauszubekommen. Die wurden ganz schnell, ganz viel publiziert. Und auch in meinem Fall war es so, dass kaum habe ich die Abmahnung online gestellt in meinem Blog, fingen die Menschen an, das überall zu spiegeln. Das ist im Moment möglich und das ist eigentlich auch sehr gut, dass wir diese Möglichkeiten haben. Das ist aber gleichzeitig eine Sache, da sollten wir uns nicht drauf verlassen, technische Maßnahmen wie Internet-Filterung oder Zensurmaßnahmen können das umgehen. Aber für eine Demokratie sind diese Möglichkeiten erst mal prima.

Timm: Markus Beckedahl, Sie haben aber auch ein bisschen den Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix in die Bredouille gebracht. Haben Sie ihm schon eine kleine entschuldigende Mail geschickt? Denn das Dokument war ein Gespräch zwischen Bahn-Mitarbeitern und dem Berliner Datenschutzbeauftragten.

Beckedahl: Habe ich noch keine Mail geschickt, aber soweit ich das mittlerweile überblicken kann, durch viel Feedback und Gespräche, kursierte das Papier schon durch die halbe Berliner Politik, also sowohl Landes- als auch Bundespolitik.

Timm: Herr Beckedahl, vom 25. Stock des Bahn-Towers aus, da sieht die Welt sehr spielzeugartig aus. Man kann ihr schon mal entrücken, das scheint Hartmut Mehdorn ja in diesem Fall passiert zu sein: Inzwischen findet er die Rasterabfrage selbst übereifrig und sein Stuhl wackelt mächtig. Was ist denn für Sie der eigentliche Skandal, die Routineabfrage, die offenbar entgleist ist, oder die Verteidigungsstrategie der Bahn?

Beckedahl: Eigentlich alles. Also ich finde es eigentlich ein bisschen beschämend, dass ein Staatsbetrieb, also mehr oder weniger ein Betrieb, der uns allen noch gehört, so mit seinen Mitarbeitern umgeht, so eklatante Arbeitnehmerdatenschutzrechte verletzt und, ja, da sind ja noch ein paar Sachen vorgefallen. Also diese Firma Network Deutschland GmbH, die hat ohne Ausschreibung 800.000 Euro bekommen, und das ist ja auch noch eine andere gefährliche Sache – um Korruptionsbekämpfung zu begehen, macht man da eigentlich mehr oder weniger so eine halbe Korruption. Das ist also die eine Sache. Die andere Sache ist, die Bahn ist halt der Meinung, oder die Rechtsabteilung, dass ihre Position auf meinem Blog nicht wirklich gewürdigt ist, dass das eine einseitige Darstellung des Landesdatenschützers ist. Hier kann ich nur ganz klar sagen: Hätte die Bahn mich ohne Abmahnung vorher kontaktiert und hätte sie gesagt, na ja, das ist eine Einseitigkeit, sie hätten da gerne noch ihre Position untergebracht, dann hätte man mit mir reden können und ich hätte das vielleicht eingesehen, dass das sinnvoll ist, dass man sich beide Seiten der Realität anschauen kann. Aber so hat man sofort die Abmahnkeule gezogen und fährt schweres Geschütz auf, und ja, das finde ich eigentlich schade.

Timm: Das heißt, wenn Herr Mehdorn Ihnen heute eine Gegendarstellung schickt, dann lesen wir die auch bei Ihnen auf netzpolitik.org?

Beckedahl: Ich weiß nicht, ob das jetzt, jetzt könnte es ein bisschen zu spät sein. Jetzt bin ich ein bisschen sauer.

Timm: Nun sagen andererseits Experten, unter anderem auch der von uns gestern befragte Journalist Hans Leyendecker, die Brisanz der Bahn-Recherche sei auch hysterisch hochgespielt worden, da stecke viel Luft im vermeintlichen Skandal. Wie sehen Sie das, sind Sie da auch ein bisschen auf den Wagen aufgesprungen?

Beckedahl: Nein, ich behandele das Thema Datenschutz schon seit bald sieben Jahren in meinem Webblog. Und dieses Papier, was ich online gestellt habe, fand ich für relevant im öffentlichen Diskurs rund um die ganze Bahn-Affäre. Also ich bin da nicht draufgesprungen, sondern ich begleite die Bahn-Affäre, also die datenschutzrechtlichen Aspekte, genauso wie Telekom-Affäre oder Lidl-Affäre, ja, schon konsequent in meinem Blog.

Timm: Markus Beckedahl, haben Sie eigentlich schon offizielle Post von der Bahn? So eine Abmahnung per Mail, die ist doch wahrscheinlich nicht wirksam?

Beckedahl: Das frage ich mich auch. Also bisher, vorgestern Mittag oder Nachmittag kam die Abmahnung per PDF an. Bisher hat mich noch nichts per Post erreicht, aber sie ist echt, und bei der Bahn ist man auch der Meinung jetzt laut Presseberichten, das Ganze durchzuziehen. Aber ich warte halt tatsächlich auf die Abmahnung per Post.

Timm: Die Bahn will verhindern, dass ein geheimes Memo, ein Gespräch zwischen Bahn-Mitarbeitern und dem Berliner Datenschutzbeauftragten im Web bleibt. Markus Beckedahl von netzpolitik.org hat das als Erster hineingestellt und ist jetzt der Abgemahnte. Vielen Dank fürs Gespräch!

Beckedahl: Danke auch!


Das vollständige Gespräch mit Markus Beckedahl können Sie bis zum 5.7.2009 als
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