Niedersachsens SPD-Chef: Kein Endlager in Gorleben

Moderation: André Hatting · 11.07.2012
Anlässlich der Gespräche der Bund-Länder-Arbeitsgruppe fordert der SPD-Vorsitzende in Niedersachsen, Gorleben von vornherein von der Liste möglicher Standorte für ein Atommüllendlager zu streichen. Es sei an der Zeit, "die Bücher zu schließen", sagt Stephan Weil.
André Hatting: Seit ein paar Tagen wird wieder emsig über ein Endlagersuchgesetz diskutiert. Bundesumweltminister Altmaier setzt dabei auf vertrauensbildende Maßnahmen: Mittagessen im privaten Kreis mit Regierungsmitgliedern und der Opposition, heute sind Gespräche mit seinen Länderkollegen geplant, wir haben darüber berichtet. Auch über Gorleben: Zwar ist der große Durchbruch bislang ausgeblieben, aber zumindest Regierungskreise glauben, es kann nicht mehr lange dauern. Vielleicht noch ein weiteres Mittagessen?

Bei den Kriterien für die Standortsuche sind sich die Parteien in Berlin angeblich einig: ergebnisoffene Suche, die sogenannte weiße Landkarte. Die SPD in Niedersachsen schießt quer: Sie besteht darauf, dass im Endlagersuchgesetz Gorleben nicht mehr vorkommt. Stephan Weil ist Oberbürgermeister von Hannover und Chef der Sozialdemokraten in Niedersachsen und jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Weil!

Stephan Weil: Guten Morgen!

Hatting: Warum darf Gorleben nicht auf die weiße Landkarte?

Weil: Na ja, Stichwort weiße Landkarte: Nach den Vorstellungen, die ich im Moment kenne, handelt es sich um eine weiße Landkarte mit einem Punkt, und dieser Punkt heißt Gorleben. Das heißt, Gorleben ist vor die Klammer gezogen worden als Standort. Das halte ich nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben mit Gorleben, für ganz und gar falsch. Wir diskutieren über Gorleben jetzt sage und schreibe 40 Jahre. Das muss man sich einmal vorstellen! Gewissermaßen so lange, wie ich mich überhaupt für Politik interessiere, kenne ich schon das Wort Gorleben.

Und der entscheidende Punkt ist: Man ist nicht vorangekommen, im Gegenteil, die geologischen Zweifel an der Eignung von Gorleben als Endlager, die sind heute größer als vor zehn, 20 oder 30 Jahren. Ich habe das nicht zu entscheiden, ich bin kein Geologe, aber ich glaube, ein Endlagerstandort muss am Ende über jeden Zweifel erhaben sein. Hier geht es wirklich, im wahrsten Sinne des Wortes, um eine Jahrtausendfrage und nach allem, was wir hier wissen, gibt es bezogen auf Gorleben heute unverändert gravierende Zweifel.

Hatting: Aber Herr Weil, dann haben Sie doch nichts zu befürchten! Denn der Kompromiss sieht ja so aus: Gorleben wird erst einmal nicht weiter untersucht, bis ein anderer Standort gefunden ist, und dann wird dieser mit Gorleben verglichen. Nach dem, was Sie gerade ausgeführt haben, hat Gorleben ja dann nichts zu befürchten?

Weil: Nun, ich sagte ja: Es gibt 40 Jahre Erfahrung mit dieser Diskussion und das Vertrauen, dass tatsächlich die Kraft dazu da ist zu sagen ja, wir haben eben über Jahrzehnte hinweg am falschen Standort investiert, dieses Vertrauen ist nicht da, insbesondere nicht in der Region, die ja ebenfalls schon unendlich lange Zeit einmal im Jahr gewissermaßen bürgerkriegsähnliche Zustände erlebt, wenn die Castor-Transporte anrollen. Ich glaube, nach einer so langen Zeit ist es an der Zeit, die Bücher zu schließen. Der jetzt vorgesehene Prozess zur Findung eines Endlagers und zur Realisierung ist ja wiederum auf 35 Jahre, 40 Jahre konzipiert. Da wären wir ja dann, wenn es denn so käme, bei einer Gesamtdebatte von 70, 80 Jahren über Gorleben!

Hatting: Man könnte derweil das Argument aber auch umdrehen: Man kann sagen, eben weil seit 40 Jahren über Gorleben diskutiert wird und weil seit 35 Jahren Gorleben jetzt erforscht wird so gründlich wie kein anderer Standort, warum sollte man das jetzt aufgeben?

Weil: Weil die Zweifel nicht kleiner geworden sind. Am Ende darf das ja keine politische Frage, sondern muss in erster Linie eine geologische Frage sein. Da geht es ja wirklich um Kernfragen von Sicherheit. Und da tut Politik sehr gut daran, genau hinzuhorchen, was die Fachleute sagen. Die sind bezogen auf Gorleben außerordentlich unterschiedlicher Auffassung. Und das sollte uns alle sehr skeptisch stimmen bezogen auf diesen Standort.

Hatting: Die Stromkonzerne haben bislang etwa 1,6 Milliarden Euro für Gorleben ausgegeben. Wenn Gorleben nicht auf diese Landkarte kommt, wenn Gorleben, wie Sie fordern, von vornherein herausgenommen wird aus einer Standortendlagersuche, dann würde das bedeuten, das zahlt am Ende der Steuerzahler?

Weil: Ja, umgekehrt kann es aber nicht sein, dass, weil am falschen Standort investiert worden ist, dieser falsche Standort weiter im Rennen bleibt und am Ende womöglich tatsächlich das Endlager wird, an dem viele Geologen zweifeln. Ich sage noch einmal: Das ist hier eine Frage, die ist von sehr, sehr grundsätzlicher Bedeutung, die im Grunde auch unseren persönlichen Horizont überschreitet, wenn man sich diese Halbwertszeiten anschaut. Das sind ja Zeiträume, die übersteigen unsere Fantasie. Da muss tatsächlich das Stichwort Sicherheit, geologische Eignung absolut vorrangig sein und alle anderen Gesichtspunkte müssen dahinter zurücktreten, auch wenn es einem um das gute Geld wirklich leidtun muss.

Hatting: Wie finden Sie das, dass Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg und Politiker der Grünen, gesagt hat, ja, wir können uns eine Standortsuche in meinem Bundesland vorstellen?

Weil: Das finde ich gut. Herr Kretschmann hat wirklich einen ganz wesentlichen Beitrag zu der neuen Endlagerdebatte geleistet, indem er meines Wissens mit der erste prominente süddeutsche Politiker gewesen ist, der gesagt hat, ja, lasst uns noch mal neu auf die Suche gehen. Ich will das übrigens ausdrücklich auch für Niedersachsen sagen. Wenn es in Niedersachsen geologisch geeignete Standorte gibt, dann wird sich auch Niedersachsen aus dieser Diskussion und aus diesem Findungsprozess nicht heraushalten können, damit das auch klargestellt ist!

Hatting: Es gibt ja abgesehen von dem Salzstock Gorleben zum Beispiel andere Möglichkeiten eines Endlagers. Ton ist im Gespräch, in Baden-Württemberg gibt es bei Ulm und auf der Schwäbischen Alb starke Tonvorkommen. Da kommen doch auch sofort die Gegner und die sagen, da gibt es eine Studie von 2007 des Bundeswirtschaftsministeriums, die sagt, viel zu dünne Tonschichten. Herr Weil, stimmen Sie mir zu, dass es das perfekte Endlager in Deutschland nicht gibt?

Weil: Das kann ich Ihnen nicht bestätigen, weil ich kein Geologe bin. Deswegen bin ich da außerordentlich vorsichtig mit persönlichen Urteilen. Jedenfalls muss es ein Standort sein, von dem die Experten wirklich guten Gewissens sagen können, dort ist dieser Atommüll sicher aufgehoben, und zwar für eine unendlich lange Zeit. Nach dem, was ich höre, ist Ton jedenfalls das bessere Wirtgestein als ein Salzstock. Aber auch das muss ich mit dem Vorbehalt sagen, dass ich ein gelernter Jurist bin und kein gelernter Geologe.

Hatting: 450 Tonnen hochradioaktiver Müll entstehen jährlich in Deutschland. Wenn sich Deutschland nicht als geeigneter Standort erweist, wenn in allen Bundesländern gesucht wird und es gibt einfach nicht das optimale Endlager, wo soll der Müll dann hin? Nach Afrika, wie unser Elektroschrott auch, oder ins Weltall?

Weil: Nein, das wäre ganz und gar unverantwortlich. Wir haben ja leider die Situation, dass wir über Jahrzehnte hinweg uns auf Gorleben kapriziert haben als Standort für ein atomares Endlager. Und deswegen sind wir längst noch nicht so weit, tatsächlich uns mit der Frage befassen zu müssen, was denn wäre, gäbe es in Deutschland keinen geeigneten Standort. Ich denke, wir müssen schon am Ende für unseren Müll selbst verantwortlich sein.

Hatting: Wollen wir mal schauen, ob das klappt! Das war Stephan Weil, er ist Oberbürgermeister von Hannover und Vorsitzender der SPD in Niedersachsen. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Weil!

Weil: Herzlichen Dank, tschüss!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr zum Thema bei dradio.de:
Mehr zum Thema