Niebel: Mehr Geld für zivilen Aufbau in Afghanistan

Dirk Niebel im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 13.02.2010
Dirk Niebel (FDP) will die finanzielle Unterstützung des zivilen Aufbaus in Afghanistan aufstocken. Bis 2013 werde sein Ministerium rund 250 Millionen Euro jährlich zur Verfügung stellen, sagte der Entwicklungshilfeminister.
Jan-Christoph Kitzler: Wenn von Afghanistan die Rede ist, dann geht es zurzeit oft um militärische Fragen, die richtige Strategie um den Kampf gegen die Taliban und darum, wie man das Land wieder unter Kontrolle bringt. Bei all diesen Sicherheitsfragen gerät der Wiederaufbau des Landes fast ein wenig in Vergessenheit. Doch die militärisch schwierige Lage in weiten Teilen des Landes macht den Entwicklungshelfern das Leben schwer.

Deutschland will mehr Geld für den Wiederaufbau ausgeben. Mehr als eine Milliarde Euro hat Deutschland schon für Afghanistan bezahlt, und in diesem Jahr sind alleine noch mal 430 Millionen Euro im Haushalt für den Wiederaufbau eingeplant. Darüber habe ich mit Entwicklungsminister Dirk Niebel gesprochen, und meine erste Frage an den FDP-Politiker war, ob mehr Geld denn die richtige Strategie ist für Afghanistan?

Dirk Niebel: Mehr Geld für den zivilen Aufbau ist mit Sicherheit die richtige Strategie für Afghanistan, weil wir hier dazu eine echte Friedensdividende schaffen können, und bisher ist ja der wesentliche Schwerpunkt auf Militärischem gewesen. Allein im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung werden Jahr für Jahr bis zum Jahr 2013 250 Millionen Euro für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen, das ist allein in meinem Ministerium eine Milliarde, also genau so viel, wie in der Zeit von 2002 bis 2009 insgesamt für den zivilen Bereich ausgegeben wurde.

Kitzler: In Afghanistan ist ja die Korruption ein riesiges Problem. Wie wollen Sie denn sicherstellen, dass die deutschen Gelder nicht in falsche Hände geraten, wie das schon öfter passiert ist?

Niebel: Nun, zunächst dadurch, dass wir die afghanische Regierung mehr in die Verantwortung nehmen. Bei der Londoner Konferenz hat der afghanische Präsident Karsai zugesichert, dass wir nachprüfbar besseres Regierungshandeln dieser Administration erwarten können und in verschiedenen Bereichen auch deutlich gemacht, wo er wann welche Ziele erreichen will.

Aber trotzdem ist auch hier das alte Sprichwort "Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser" immer noch angebracht. Wir werden auch, wie bisher, über unsere eigene Durchführungsorganisation Maßnahmen organisieren, abwickeln und auch abrechnen, sodass wir hier ein höchstmögliches Maß an Vermeidung von korruptivem Verhalten haben. Ganz ausschließen wird man es natürlich nie können.

Kitzler: Entwicklungshilfeorganisationen berichten darüber, dass es immer schwieriger wird, Partner vor Ort, Einheimische zu finden, mit denen man Projekte durchführen kann. Dann machen diese Projekte doch gar keinen Sinn, oder?

Niebel: Die Projekte machen doch Sinn, weil die Friedensdividende für die Menschen fühlbar wird. Es ist schwieriger geworden, das ist richtig, aber es gibt Partner vor Ort, es gibt übrigens auch Partner in Deutschland, die bereit sind, vor Ort derartige Maßnahmen durchzuführen, und wenn die Bürger in Afghanistan merken, dass das militärische Engagement ihnen körperliche, physische Sicherheit schafft und dass das zivile Engagement darüber hinaus die Lebensbedingungen verbessert, dann sind wir auf einem guten Weg.

Es ist hier bei uns in Deutschland ja weitgehend unbekannt, weil wir uns das auch gar nicht vorstellen können, dass eine Umfrage von verschiedenen Fernsehsendern, ABC, BBC und ARD, Anfang diesen Jahres ergeben hat, dass 70 Prozent der Afghanen das Gefühl haben, ihre Lebensbedingungen sind deutlich besser geworden als vor dem Engagement der westlichen Alliierten, und dass diese 70 Prozent auch positiv in die Zukunft gucken. Das können wir uns bei den Fernsehbildern, die wir Tag für Tag sehen müssen, zwar gar nicht vorstellen, aber wenn dieses subjektive Gefühl da ist, dann haben wir eine gute Basis.

Kitzler: Aber dennoch gibt es doch in den letzten Jahren ein Missverhältnis: Deutschland setzt immer mehr Geld ein, und gleichzeitig wird im Norden Afghanistans, da, wo die Deutschen sich vor allem engagieren, die Lage immer unsicherer. Die Taliban sind auf dem Vormarsch. Wie wollen Sie das Verhältnis wieder gerade rücken?

Niebel: Indem wir eine bessere Verzahnung unserer nationalen Maßnahmen hinbekommen. Überall da, wo unsere Streitkräfte Verantwortung für die Sicherheit tragen, muss ein abgestimmter Prozess dazu führen, dass möglichst schnell diese Friedensdividende für die Menschen spürbar wird.

In der Vergangenheit ist leider oftmals der Fehler gemacht worden, dass unsere Soldatinnen und Soldaten die Sicherheitsstruktur hinbekommen haben, dass dann aber lange nichts passiert ist und die Wünsche der örtlichen Dschirgas, der örtlichen Autoritäten vielleicht für ein Schulhaus, ein Brunnen oder was auch immer gerade gefehlt hat, dass die nicht unmittelbar umgesetzt werden konnten, und so ist Vertrauen verlorengegangen.

Kitzler: Viele Entwicklungshelfer beschweren sich darüber, dass sie immer mehr gezwungen sind, im Schatten der Militärs zu operieren. Muss man da nicht stärker den Aufbau des Landes vom militärischen Einsatz trennen?

Niebel: Niemand wird zu irgendeiner Maßnahme gezwungen, aber der Auftritt der Bundesrepublik in Afghanistan wird ein einheitlicher sein. Dieses zusätzliche Geld, das in meinem Ministerium für Aufbaumaßnahmen zur Verfügung gestellt wird, zahlt der Steuerzahler, und der hat einen Anspruch darauf, dass wir einen kohärenten Auftritt haben, das bedeutet, dass das Geld auch dort ausgegeben wird, wo unsere Soldaten für Sicherheit sorgen. Und wer in den Regionen keine Aufträge durchführen möchte, der muss das nicht, aber er kann dann auch nicht an diesem Geld partizipieren.

Kitzler: Heißt das, solange die Sicherheit nicht hergestellt ist, gibt es Entwicklungshilfe unter militärischem Kommando?

Niebel: Nein, es wird keine embedded Entwicklungshelfer geben, aber ohne Sicherheit können sie auch keine Entwicklungszusammenarbeit leisten.

Kitzler: Kann Entwicklungshilfe überhaupt, Ihrer Meinung nach, ein Instrument sein, um die Aufständischen zu vertreiben?

Niebel: Entwicklungszusammenarbeit kann ein Instrument sein, um Perspektiven zu schaffen, Perspektiven zu eröffnen. Deswegen ist ja auch ein Bestandteil der zusätzlichen Maßnahmen der Versuch, ich sage jetzt mal, die Wochenendtaliban zu motivieren, wieder in die normale Gesellschaft zurückzukehren.

Oftmals sind das Menschen ohne eine berufliche Perspektive, ohne die Chance auf einen Arbeitsplatz und einen gesicherten Lebensunterhalt. Und deswegen kann die Perspektive, eine berufliche Qualifikation zu erlangen, selbst durch andere Maßnahmen für seinen Lebensunterhalt und den der Familie zu sorgen, auch dazu führen, dass die Gewaltbereitschaft runtergeht.

Kitzler: Das heißt, diese Gelder, die sogenannte Abwrackprämie für Taliban, ist eine sinnvolle Sache in Ihren Augen?

Niebel: Ach, wer den Begriff geprägt hat, ist verantwortlich für die Schaffung der Auto-Abwrackprämie und sollte sich mal lieber Gedanken darüber machen, ob seine politischen Entscheidungen immer die richtigen waren. Fakt ist, dass nicht jeder, der bei den Taliban ist, ein durch und durch in der Rolle gefärbter Terrorist ist, sondern dass viele Lebensumstände dazu führen, dass man Einkunftsmöglichkeiten benötigt und dass man dann Familien findet, wo ein Sohn bei der Polizei ist und ein Sohn bei den Taliban ist, weil das die Chancen auf Ernährung sichert. Und deswegen ist es richtig, dass man im Zuge von vermehrter Sicherheit auch vermehrte Chancen für ein ziviles Leben organisiert, und deswegen gehört beides zusammen.

Kitzler: Sie machen sich stark für eine bessere Koordination der Entwicklungshilfe. Ist es da hilfreich, wenn allein in Deutschland vier Ministerien mit Afghanistan befasst sind?

Niebel: Die Aufgabenverteilung ist genau beschrieben, und man muss nur gucken, dass man die Schnittstellen nicht so beachtet, als wenn es irgendwelche Fallbeile wären, sondern dass man gleitende Übergänge organisiert. Und das wird jetzt in Zukunft mit Sicherheit besser möglich sein, als es in der Vergangenheit gewesen ist.

Kitzler: Dirk Niebel war das, Deutschlands Entwicklungsminister, über die Entwicklungshilfe in Afghanistan und die Perspektiven. Vielen Dank für das Gespräch!

Niebel: Gerne!