Nida-Rümelin: Mensch und Tier bei Schmerzempfinden gleich behandeln

Julian Nida-Rümelin in Gespräch mit Susanne Führer · 04.12.2008
Der Philosophieprofessor Julian Nida-Rümelin hat eine mangelnde Sensibilität im Umgang mit Tieren beklagt. Menschen neigten dazu, Tiere, die ihnen sympathisch seien, wie Hunde und Katzen, besonders gegen Forschung zu verteidigen, während sie bei Mäusen und Ratten unempfindlich seien.
Susanne Führer: An der Universität Bremen machte Hirnforscher Andreas Kreiter Versuche an Affen, an Makaken, seit 1998 bereits. Seitdem sind sie umstritten, nun hat die Bremer Gesundheitsbehörde die Genehmigung für die Versuche nicht mehr verlängert gegen den Willen der Universität. Eine Auseinandersetzung, die nun vor Gericht ausgetragen und bundesweit aufmerksam verfolgt wird.

Welche Versuche dürfen Menschen mit welchen Tieren vornehmen? Dürfen sie das überhaupt? Kurz, haben Tiere Rechte, und wenn ja, welche? Und warum erregen wir uns eigentlich nur über Tierversuche, aber nicht die massenhafte Tötung von Schlachtvieh? Diesen Fragen gehen wir im "Radiofeuilleton" in einer Reihe von Gesprächen nach, heute mit Prof. Julian Nida-Rümelin. Er hat den Lehrstuhl für politische Theorie und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Guten Tag, Herr Nida-Rümelin.

Julian Nida-Rümelin: Ja, guten Tag!

Führer: Haben Tiere Rechte?

Nida-Rümelin: Das hängt, das muss man als Philosoph leider sagen, vom Begriff der Rechte ab. Wir haben eine Tradition, diesen Begriff zu verwenden, die im Wesentlichen auf den Akteur, auf die Autorschaft, auf das Handeln Wert legt. Wenn Sie ein Recht haben auf etwas, dann heißt das, dass andere die Pflicht haben, nicht zu intervenieren, sodass Sie dieses Recht auch wahrnehmen können. Zu dem Rechtsbegriff gehört in der Regel auch, dass Sie auf die Wahrnehmung der Rechte verzichten können. Sie können sagen, ich habe zwar das Recht auf dieses Grundstück, aber ich verzichte auf dieses Grundstück.

Dies alles ist natürlich nicht übertragbar auf Tiere, weil Tiere, jedenfalls so weit man das beurteilen kann, nicht in unserem Sinne handeln. Sie haben keine Gründe für das, was sie tun, sie können sie nicht geltend machen. Sie können gar kein Verständnis entwickeln für Rechte, die sie individuell haben. Aber es gibt einen umfassenderen Rechtsbegriff, übrigens auch in der Juristerei, der zum Beispiel einem Neugeborenen Rechte zuschreibt. Auch der Neugeborene kann sie nicht erkennen, er kann sie nicht einfordern, er kann sie nicht begründen. Dann spricht von advokatorischer Wahrnehmung. Das heißt, das kann dann ein Anwalt zum Beispiel tun oder die Eltern können diese Rechte einfordern. Und in diesem weiteren Sinne kann man Tieren Rechte zuschreiben.

Führer: Und welche Rechte haben sie?

Nida-Rümelin: Mein Ansatz ist im Kern der folgende: Überall dort, wo Tiere sich nicht unterscheiden von Menschen, müssen sie im Hinblick auf diese Merkmale, auf diese Eigenschaften auch gleich behandelt werden. Das heißt, wenn wir Schmerzzufügung bei Menschen nicht zulassen und anerkennen, dass Tiere Schmerzempfindungen haben, dann sollten wir im Hinblick auf Schmerzzufügung Tiere und Menschen gleich behandeln.

Wir schreiben Tieren allerdings viele Eigenschaften nicht zu, die wir Menschen zuschreiben, zum Beispiel schon das Besprochene, Autorschaft des eigenen Lebens, Präferenzen, die in die ferne Zukunft gerichtet sind, Projekte, die meinem Leben Sinn und Bedeutung geben. All das können wir bei Tieren nicht annehmen, auch bei hochentwickelten Tieren nicht annehmen. Infolgedessen ist dieser Charakter der moralischen Person, die der Mensch ist und damit eine spezifische Würde hat, nicht übertragbar in meinen Augen auf Tiere.

Führer: Aber der Satz, dass Tiere Schmerz empfinden, kann ja auch schon zu weitreichenden Schlussfolgerungen führen. Wir haben über diese Frage, welche Rechte haben, auch mit dem Tierethiker Helmut F. Kaplan gesprochen.

Nida-Rümelin: Ja.

Führer: Und ich spiele Ihnen mal einen O-Ton vor, was er bei uns im Deutschlandradio Kultur gesagt hat.

Helmut F. Kaplan: Alle Lebewesen, die leidensfähig sind, beziehungsweise die Interessen haben, die haben ein Recht darauf, dass diese Interessen, die sie haben, moralisch ähnlich bewertet und behandelt werden, wie wir das bei vergleichbaren Interessen bei Menschen machen. Insofern gibt es überhaupt keine Grenze. Es hängt davon ab, welche Interessen Wesen haben. Und wenn ein Wesen leidensfähig ist, dann hat es ein Recht darauf, nicht zu leiden. Wenn es autonom ist, dann hat es ein Recht, ein autonomes Leben führen zu können. Wenn es ein Interesse daran hat, in Freiheit zu leben, dann hat es ein Recht darauf, in Freiheit zu leben.

Führer: Soweit Helmut F. Kaplan, Herr Nida-Rümelin. Überzeugt Sie diese Argumentation?

Nida-Rümelin: Na ja, das ist ja ziemlich nahe an meiner Argumentation von vorhin. Es gibt einen Unterschied. Ich würde das nicht alles über den Begriff des Interesses machen. Der Interessenbegriff ist ein eigener, schwieriger Begriff. Die Frage ist, ob wir den Interessenbegriff Tieren so fraglos einfach zuschreiben können. Man kann annehmen, dass hoch entwickelte Säugetiere in der Tat eine Art Interesse haben, dagegen niedrigere Säugetiere, um jetzt beim Säugetierbereich zu bleiben, die haben zwar immer noch Schmerzempfinden, aber von Interessen zu sprechen, wir sprechen auch nicht von Interessen von Bäumen etwa, obwohl es ein gute Entwicklung von Bäumen gibt und eine schlechte Entwicklung gibt, eine gedeihliche Entwicklung gibt und eine weniger gedeihliche Entwicklung. Aber der Interessenbegriff ist problematisch. Aber ansonsten ist das nahe beieinander, ja.

Führer: Aber wenn ein Wesen leidensfähig ist, dann hat es ein Recht darauf, nicht zu leiden, sagt Herr Kaplan. Das heißt, Tierversuche sind verboten, Schlachtung ist verboten, alles, was Tieren Schaden zufügt, Schmerzen zufügt, ist verboten.

Nida-Rümelin: Nein, das ist ein Trugschluss, schon beim Menschen gilt das nicht. Menschen haben Schmerzempfindung, trotzdem ist es keineswegs so, dass es unter allen Umständen verboten ist, Menschen Schmerzen zuzufügen. Menschen wird Schmerz und Leid zugefügt, täglich im Autoverkehr bei Unfällen und anderem. Wir gehen diese Risiken ein, dass Menschen leiden müssen im Falle der medizinischen Behandlung, schon bei jedem Zahnarztbesuch und bei jedem zweiten und der Schmerz ist hier verbunden.

Führer: Aber der zentrale Unterschied ist doch, dass wir darin einwilligen können?

Nida-Rümelin: Ja, das können eben Tiere nicht.

Führer: Eben.

Nida-Rümelin: Aber daraus können wir nicht schließen, das wäre ein weiterer logischer Trugschluss, dass Tiere generell die Einwilligung verweigern würden, wenn sie könnten. Das heißt, wir müssen eben genau in Analogie prüfen. Mein Kriterium war ja Gleichbehandlung im Hinblick auf gleiche Eigenschaften. Wenn Tiere Schmerzempfindungen haben, sollten wir die Kriterien und Standards beim Umgang mit Schmerzen, die wir beim Menschen für selbstverständlich halten, auch auf Tiere in dem gleichen Umfang übertragen.

Führer: Aber wir machen doch immer eine Kostennutzenrechnung zu unseren Gunsten auf? Die Affenversuche an der Bremer Universität, ohne jetzt auf die im Einzelnen eingehen zu wollen, werden ja nicht im Interesse der Affen gemacht, sondern im Interesse der Menschen?

Nida-Rümelin: Jaja, genau. Da ist ja genau die Problematik. Und deswegen hat das Tierschutzgesetz relativ strenge Kriterien formuliert, das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt Schmerzzufügung nur dann, wenn es keine Alternativen gibt und wenn in der Abwägung der Güter das Gut, was es hier zu realisieren gilt, eben ein entsprechendes Gewicht hat, einen entsprechend zwingenden Grund darstellt.

Es muss aufgezeigt werden, ich bin kein Jurist, aber ich habe mich damit beschäftigt, auch als Sachverständiger des Deutschen Bundestages, dass es keine alternativen Forschungsmethoden gibt. In dem Fall geht es ja um ein Forschungsprojekt, das ohne Schmerzzufügung dieselben Resultate erreichen könnte. Und es muss aufgezeigt werden, dass diese Forschung so wesentlich ist, dass sie tatsächlich diese Schmerzzufügung oder die Beschädigung, Beschädigung von Tieren auch ohne Schmerzzufügung ist ebenfalls zunächst einmal rechtfertigungsbedürftig, auch zulässt.

Führer: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit im "Radiofeuilleton" mit dem Philosophen Julian Nida-Rümelin über die Frage, welche Rechte Tiere haben. Sie haben das Tierschutzgesetz erwähnt. Der Grundsatz des deutschen Tierschutzgesetzes lautet ja, niemand darf an dem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen leiden oder Schaden zufügen.

Nida-Rümelin: Ja, genau.

Führer: Was ist denn nun ein vernünftiger Grund? Mal ein Appetit auf Schnitzel?

Nida-Rümelin: Nein.

Führer: Na?

Nida-Rümelin: Wir haben eine merkwürdige Asymmetrie in unserer Beurteilung. Menschen neigen dazu, Tieren, die ihnen sympathisch sind, Tierarten, die ihnen vertraut sind, am meisten natürlich Hunde und Katzen, besonders gegen Forschung zu verteidigen. Sie sind ziemlich unempfindlich gegenüber dem Einsatz zum Beispiel von Mäusen und Ratten, eine sehr beliebte Tierart in der Forschung. Diese Tiere sind nach unserer Kenntnis hoch sensibel, hoch intelligent.

Führer: Ich war ja gerade bei den Schweinen.

Nida-Rümelin: Moment. Und wir sind auf der anderen Seite bereit, bei Nahrung überhaupt keine Bedenken zu haben. Das heißt, die massenhafte Tierhaltung, die unter tierquälerischen Bedingungen erfolgt, das Schlachten von Tieren, was besonders bei hoch intelligenten wie Schweinen, Schweine sind weit intelligenter als Pferde oder auch Kühe, offensichtlich auch zu psychischem Stress führt, das alle erschüttert die meisten Menschen weit weniger.

Führer: Aber laut Tierschutzgesetz wäre das eigentlich illegal, oder?

Nida-Rümelin: Da gibt es ein Problem. Das besteht darin, dass die unterschiedlichen Rechtsnormen nicht kohärent sind. Sie sind in sich nicht stimmig. Ein Beispiel ist zum Beispiel die Testung von neuen Arzneimitteln und auch von Kosmetika durch den LD50-Test. Das ist ein Test, bei dem dieses Mittel angewandt wird bis zu einer Höhe, dass 50 Prozent der Tiere sterben der jeweiligen Versuchstiere.

Das ist vorgeschrieben in anderen Gesetzesnormen und wird nicht vom Tierschutzgesetz in der gleichen Weise dann abgedeckt. Das heißt, wir haben hier einen Widerspruch innerhalb der Rechtsordnung. Das ist übrigens typisch, das gibt es offenbar in allen Rechtssystemen, wie einem Juristen erläutern. Ich habe mich deswegen dafür eingesetzt, dass kohärenter zu machen und den Tierschutz im Grundgesetz so zu verankern, dass der Gesetzgeber gezwungen ist, diese Abwägung konsequent zu Ende zu durchdenken.

Führer: Nun haben wir seit 2002 den Tierschutz im Grundgesetz verankert. Sie haben vorhin Kinder erwähnt, Herr Nida-Rümelin, denen hat man vor gar nicht allzu langer Zeit auch keine besonderen eigenen Rechte zugesprochen, weil man ihnen eben jegliche Vernunft abgesprochen hat und in der Folge sie eben auch keine eigenen Rechtspersonen sein konnten. Nun ist der Tierschutz ja immer mehr in der Diskussion, wir haben es schon jetzt an dem Grundgesetz gesehen. Haben Sie vielleicht die Vermutung, dass unsere Haltung zu Tieren sich auch weiter so entwickeln wird?

Nida-Rümelin: Ich habe den Eindruck, dass die Sensibilität zunimmt, aber leider bislang überwiegend im Bereich der Forschung mit Tieren, der Versuche, die Tiere schädigen oder ihnen Schmerzen zufügen, da ist die Sensibilität sehr groß und da sind die Proteste groß. Es ist erstaunlich, wie schwach die Proteste ausfallen im Bereich der Landwirtschaft. Da mag man vermuten, dass das mit den Essgewohnheiten und den menschlichen Interessen zusammenhängt oder auch damit, dass man sich daran einfach gewöhnt hat. Das ist halt Teil unserer Kultur. Da wird es noch einen langen Weg geben, bis da auch entsprechend sensibilisiert wird.

Führer: Prof. Julian Nida-Rümelin, Inhaber des Lehrstuhls für politische Theorie und Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Vielen Dank, Herr Nida-Rümelin!

Nida-Rümelin: Nichts zu danken.