Nicht ganz koscher?

"Vaterjuden" in Deutschland

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Die Probe eines Bar-Mitzwa-Gottesdienstes in der jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München. © picture alliance / dpa / Andreas Gebert
Von Stefanie Oswalt · 12.05.2017
Jüdisch ist, wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum konvertiert ist. So schreibt es die Halacha, das jüdische Gesetz, vor. Was ist aber mit einer Person, die keine jüdische Mutter, aber einen jüdischen Vater hat? Nur das Reformjudentum in den USA erkennt solche Kinder als jüdisch an. Wie fühlen sich die Betroffenen damit?
"Ich fühle mich immer als dieser jüdische Mischmasch, der ich bin. Egal, wohin ich mich wende. Wenn Sie mich vor 20 Jahren gefragt hätten, hätte ich vielleicht gesagt, ich fühle mich gegenüber den Nichtjuden immer als Jüdin und gegenüber den Juden immer als Nichtjüdisch, aber das stimmte damals schon nicht. Also ich fühle mich irgendwie sehr jüdisch, ich kann das nicht ändern. Es ist einfach so."
Das Zitat stammt aus einem der elf Interviews, die die Soziologin Ruth Zeifert für ihre qualitative Studie über Vaterjuden – Kinder eines jüdischen Vaters und einer nicht-jüdischen Mutter - in Deutschland geführt hat. Und es ist so typisch, dass Zeifert es auf den Klappentext ihres Buchs gestellt hat. Auch sie selbst findet sich darin wieder.
"Das Thema beschäftigt mich mein ganzes Leben, natürlich. Was mich daran beschäftigt, ist, dass ich keine Jüdin bin, obwohl ich in einer jüdischen Familie lebe. Und das in Deutschland."
Zeiferts Vater ist Israeli. Seine Eltern flohen vor den Nationalsozialisten nach Palästina. Er verliebte sich in den 1960er Jahren im Land der Täter in eine nicht-jüdische Deutsche und gründete in einem kleinen hessischen Ort eine Familie. Durch das Schicksal ihres Vaters fühlt sich Zeifert jüdischen Deutschen näher als nicht-jüdischen - und damit isoliert in der deutschen Provinz, wo sie keine Juden trifft. Isoliert aber auch in der jüdischen Gemeinschaft, die sie nicht als Jüdin anerkennt. Während einer Studienreise nach Israel beschließt Zeifert 2007, ihren Job als Marketing-Spezialistin aufzugeben und sich wissenschaftlich mit dem patrilinearen Judentum zu befassen.
"Mir ging es in meiner Forschung um die vielen Menschen, die es ja doch in Deutschland gibt, die aus so einer Konstellation kommen und die sich alle für Einzelschicksale halten. Die denken: Ich bin der einzige, der einen jüdischen Vater hat und der aber nicht akzeptiert ist und sich ja trotzdem in Deutschland irgendwie jüdisch fühlt."
Für ihre Dissertation hat sie Gespräche mit elf Vaterjuden aus verschiedenen Generationen geführt und ausgewertet: Menschen, die von den Nationalsozialisten als sogenannte "Halbjuden" oder "Mischlinge ersten Grades" verfolgt wurden, Menschen, die in der Nachkriegszeit geboren wurden, schließlich auch Angehörige der Dritten Generation.
"Was sich sehr schön gezeigt hat, diese Kriegsgeneration hat tatsächlich eher ein protestantisches Selbstverständnis. Es war so: Wenn der jüdische Mann geheiratet hat, hat er die Religion der Frau angenommen, und die Kinder wurden in diesem Sinne erzogen. Alle meine Partner gingen von einem christlichen Selbstverständnis aus, bis der Nationalsozialismus kam und sie zu Halbjuden gemacht hat. Und in dem Jargon redeten sie dann auch im Interview noch über sich – dass sie Halbjuden sind! Sie haben auch für sich kein jüdisches Selbstverständnis gehabt und das ändert sich aber in den Nachkriegsgenerationen."

Wie ist die Haltung zu Israel?

Zentral für eine jüdische Identifikation sei bei ihren Gesprächspartnern aus der Nachkriegsgeneration die Haltung zu Israel. Hier hat Zeifert übereinstimmende Muster festgestellt:
"Man kommt aus einer linken Tradition und möchte sich eher links verorten, hat dann aber eine Linke, die pro Palästina ist und man selbst sieht sich aber als Nachfahren der Verfolgten und hat vielleicht auch Familie in Israel und muss das ein bisschen dann auch in Schutz nehmen. Das ist einer der Punkte, der es für die Nachfolge-Generation es so schwierig macht, sich nicht-jüdisch zu identifizieren."
In der dritten Generation, so hat Zeifert herausgefunden, spiele dann die wiederkehrende Religiosität eine Rolle. Ihre Interviewpartner besuchten Synagogen und feierten den Schabbat oder Pessach. Außerdem berichtet sie, dass einige ihrer Gesprächspartner Antisemitismus als positive Bestätigung ihrer Identität empfunden hätten:
"Es ist, wenn man so abgelehnt ist von jüdischer Seite, ganz schön, wenn man Anerkennung erfährt und wenn's dann ist von einem Nazi, der einem hinterher ruft 'Blöde Judensau' und man das schön findet, endlich mal als Jude wahrgenommen zu sein. Das ist zwar absurd, aber es drückt eben aus, wie die Lebenswirklichkeit von diesen Patrilinearen ist."
Zeifert betont ausdrücklich, dass sie die jüdische Gemeinschaft nicht kritisieren oder gar zu einer Änderung ihrer Gesetze auffordern möchte. Aber sie will die Augen öffnen für Lebenswirklichkeit derer, die sich jüdisch fühlen, aber als solche nicht anerkannt werden. Menschen, die nicht konvertieren wollen, weil sie ihre Zugehörigkeit zum Judentum nicht religiös definieren.
"Das ist ja die Frage: Warum verbindet man sich mit dem Judentum und dem Jüdisch-sein? Eine der Thesen ist natürlich, dass einem in gewisser Weise ein Geist weiter gegeben wird, ein Teil des jüdischen Volkes zu sein in irgendeiner Form, und damit natürlich auch irgendwas Übersinnliches."
Durch ihre Forschung, sagt Zeifert, fühle sie sich heute nicht mehr so isoliert. Sie hat andere Kinder jüdischer Väter kennengelernt und langfristig hofft sie, werde auch die jüdische Gemeinschaft auf die patrilinearen Nachkommen zugehen. Erste Ansätze kann sie bereits erkennen.