Nicholson Baker: "Das Regenmobil"

Stereoaufnahmen als Offenbarung

Ein gelber Kunstkopf mit schwarzen Kopfhörern.
Lesen mit Playlist: Eine neue Kulturtechnik? © imago / JOKER
Von Jörg Magenau · 19.12.2015
In seinen Essays widmete er sich etwa der Farbe der Streifen der Zahnpasta. Die Romane wie "Die Fermate" und "Das Haus der Löcher" waren in ihrer Skurrilität brillant. Was das Regenmobil ist, dieser Frage geht Nicholson Baker in seinem neuen Roman nach.
Ob das, was er macht, am Ende tatsächlich einen Roman ergibt, weiß Nicholson Baker beziehungsweise sein Erzähler auch nicht so genau. Paul Chowder heißt diese Figur, ein Lyriker, der mit Titeln wie "Kummermütze" nicht gerade erfolgreich ist und deshalb auf Songwriter umsattelt. Da schmieden sich die Reime von alleine, und den Rest verschmiert die Musik. Kostproben, die Chowder zum Besten gibt, sind wirklich schauderhaft.
Vorzugsweise sitzt er in seinem alten Auto auf Parkplätzen herum, raucht dicke Zigarren und spricht dabei in sein Diktiergerät. Dabei tut er so, als wäre er ein Radiomoderator, der ein imaginäres Publikum mit allem unterhält, was ihm durch den Kopf geht und was ihm im Lauf der Tage widerfährt zwischen Fitnesscenter, Quäkergottesdienst, Wohnzimmer und Krankenhaus, wo seiner Ex-Freundin der Uterus herausoperiert wird.
Es geht um Belanglosigkeiten aller Art, den Geschmack eines Crackers, die Breite eines Sattelschleppers, eine einstürzende Scheune und um das "Regenmobil", ein hubschrauberhaftes, eher sinnloses Gerät zur Rasenbewässerung. Und immer wieder geht es um amerikanische Lyrik und sehr viel um Musik – von Debussys "Versunkener Kathedrale" über "Take me to the River" von den Talking Heads bis zu Erinnerungen an das leider allzu früh verkaufte Fagott – neben der Tatsache, keine Kinder gezeugt zu haben, das Dümmste, was Paul Chowder je gemacht hat.
Die Songfülle führt dazu, dass man dieses Buch unbedingt youtube- und wikipediagestützt lesen sollte. Lesen als permanentes Googeln, Lesen mit Soundtrack: Das ist vielleicht eine neue Kulturtechnik, vielleicht aber auch bloß der Niedergang der Literatur, weil es zu lesen nicht mehr viel gibt. Warum man diesen endlosen Sermon eines Dauerschwätzers lesen sollte, bleibt eine offene Frage.

Demonstrierte Kunst- und Bedeutungslosigkeit

Bakers literarischer Trick, das Hohe (die Liebe, den Glauben, die Hoffnung) und die Kunst (Gedichte von Mary Oliver, Robert Hass oder Keats zum Beispiel) neben die Trivialitäten des Alltags zu stellen, ist vielfach erprobt. Seine Essays, in denen er sich etwa der Farbe der Streifen der Zahnpasta widmete, waren brillant, Romane wie "Die Fermate" und zuletzt vielleicht auch noch "Das Haus der Löcher" waren in ihrer Skurrilität brillant, ein Werk aber kann nicht entstehen, wenn schließlich bloß noch dahergelabert wird.
Falls "Das Regenmobil" überhaupt von etwas handelt, dann von der Vernichtung der Kunst in ihrer Überwucherung durch den Alltag und von ihrer Abschaffung in der maschinellen Produktion. Als werdender Songwriter kauft sich Paul Chowder allerlei Equipment, Kompositionssoftware, Rhythmusmaschinen, Mikrofon, Mischpult und so weiter. Alle nur denkbaren Klänge werden damit synthetisch erzeugt, alle möglichen Harmonien rechnerisch entworfen. Dazu bietet Baker einige sehr schöne, aufschlussreiche Beobachtungen zu Kompositionsprinzipien und dem, was Töne eigentlich sind.
Stereoaufnahmen sind für ihn "die größte Offenbarung seines Lebens, größer als jedes Gedicht". Aber dann verfertigt er seine niederschmetternd schlechten Songtexte ebenso maschinell und in Serie, jeder flüchtige Anlass ist schon der fertige Vers. Das wirkt so, als habe Baker sich vorgenommen, von Kunst auch wirklich gar nichts mehr übrig zu lassen. Das ist ihm leider sehr gut gelungen. "Das Regenmobil" ist demonstrierte Kunst- und Bedeutungslosigkeit. Paul Chowders Frage, ob ein Roman draus werden könne, muss also abschlägig beschieden werden.

Nicholson Baker: "Das Regenmobil"
Aus dem Amerikanischen von Eike Schönfeld
Rowohlt Verlag, Reinbek 2016
298 Seiten, 19,95 Euro

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