NGOs unter Legitimationsdruck

Die Guten zu sein, reicht nicht mehr!

29:02 Minuten
Campact-Aktivisten lassen ein mit Gas gefülltes SUV-Model abheben (2019).
Ob mit oder ohne Gemeinnützigkeit: Campact bleibt aktiv mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen. © picture alliance/ Wolfgang Minich
Von Peter Kessen · 08.06.2020
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Attac und Campact haben den Status der Gemeinnützigkeit schon verloren. Manche Politiker prangern einen zu großen Einfluss von Nichtregierungsorganisationen an - und vergleichen sie sogar mit Industrielobbyisten. Wie berechtigt ist diese Kritik?
Das Frankfurter Bahnhofsviertel. Seit 120 Jahren lockt hier das "Moseleck". 22 Stunden am Tag läuft hier, wenn nicht gerade Pandemie ist, der Zapfhahn. Trotz des Aufschwungs, das heißt des Einzugs von gehobener Gastronomie und Hipster Bars, gibt es sie noch: Die typische Mischung von Gosse und Geld, von Laufhäusern, harter Drogenszene und der Finanzwirtschaft zwischen den berühmten Türmen.
An einem schmucklosen braunen Bürobau aus den 80er-Jahren befinden sich große Klingelschilder. Direkt über der "Frankfurter Sozialstation" steht: "Attac".

Ist Attac gemeinnützig?

Attac wurde 1998 in Frankreich gegründet. Zwei Jahre später gab es einen deutschen Ableger. Das Kürzel Attac bedeutet: association pour la taxation des transactions financières et pour l'action citoyenne - Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der Bürgerinnen und Bürger. Eine Nichtregierungsorganisation, die sich dem Protest gegen die Macht der Finanzindustrie verschrieben hat.
Attac ist in rund 50 Ländern aktiv und hat weltweit rund 90.000 Mitglieder – die meisten in Europa. Im Frankfurter Bahnhofsviertel hat die Organisation zwei Etagen gemietet. An den Wänden hängen Transparente und Demo Aufrufe: "Stoppt den Raubzug der G8. Demokratisches Sperrgebiet. Kein Zugang für Konzerne!"
Viele Nichtregierungsorganisationen residieren in der deutschen Hauptstadt, wo sich direkt Einfluss auf Regierung und Verwaltung nehmen lässt. Attac hat seine Zentrale bewusst ins Frankfurter Bahnhofsviertel verlegt, erklärt Pressesprecherin Frauke Distelrath.

"Wir wollen Aufklärung von unten betreiben"

"Es war auch immer klar, dass Attac nicht in Berlin sein will, dass wir uns nicht verstehen als eine Lobbyorganisation, die ganz nah an diesem Politbetrieb dran sein will", sagt sie. "Wir wollen Aufklärung betreiben von unten, also die ökonomische Alphabetisierung. Und uns geht es immer darum, Menschen selber zu aktiveren. Und nicht in erster Linie mit Politikerinnen und Politikern zu sprechen, und Druck auf die auszuüben, dass sie das in die Gesetze schreiben, was wir wollen."
Demonstranten mit Fahnen ziehen am Straßenrand entlang.
Demonstranten mit Attac-Fahne: Es gehe darum, Menschen zu aktivieren, sagt Frauke Distelrath.© imago / Sven Simon
Und so hat das globalisierungskritische Netzwerk in seinen 20 Jahren durchaus beeindruckende Erfolge gefeiert. Schlagzeilen machten die einfallsreichen Proteste gegen das Regierungstreffen der G8 in Heiligendamm. Erfolgreich waren auch die Initiativen gegen Privatisierungsvorhaben, beispielsweise bei der Deutschen Bahn oder der Frankfurter U-Bahn.
Aktuell ist es um Attac etwas stiller geworden, die Mitglieder sind in die Jahre gekommen, das junge Bündnis Fridays for Future dominiert die Protestszene. Ganz aus den Schlagzeilen ist das Netzwerk aber nicht gefallen. Im Oktober 2014 begann ein Rechtsstreit, in dessen Folge Attac vom Bundesfinanzhof das Kriterium der Gemeinnützigkeit abgesprochen wurde. Damit können zum Beispiel Spenden nicht mehr steuerlich abgesetzt werden.
Für Frauke Distelrath von Attac gehören diese Prozesse zu einer Kampagne gegen Nichtregierungsorganisationen: "Das ist einfach der Versuch, kritische Stimmen mundtot zu machen , zum Verschwinden zu bringen, und das ist ganz klar im Interesse, in einem bestimmten Interesse : Wir treten ein fürs Gemeinwohl, und diese Kampagne gegen zivilgesellschaftliche Organisationen findet ganz eindeutig im Interesse wirtschaftlich starker Unternehmen und Konzerne statt."

Die steile Karriere der NGOs

Nichtregierungsorganisationen – Non Governmental Organisations - NGOs sind zunächst einmal negativ definiert: Eben Organisationen jenseits der Regierung, Interessenverbände, die nicht vom Staat organisiert sind. Obwohl das natürlich auch für Gewerkschaften, Kirchen und das Rote Kreuz gilt, zielt der nicht sehr trennscharfe Begriff eher auf neuere Akteure, die ihre Wurzeln in der Bürgerrechts-, Umwelt- oder Frauenbewegung haben und Vertreter der Zivilgesellschaft sind.
Als NGOs gelten somit Organisationen, die unabhängig vom Staat sind, ohne Gewinnorientierung, eigenständig verwaltet, und zumindest anteilsweise von freiwilligem Engagement und Spenden getragen.
Als die Protestszene der 70er in den Institutionen ankam, machten auch die NGOs Karriere. Greenpeace, Amnesty, BUND. Sie waren die Guten, sie vertraten die vielen, die Armen, die Schwachen und sie waren erfolgreich. Ablesbar etwa daran, dass an der Konferenz der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung im Jahr 1992 in Rio de Janeiro 2400 Mitglieder von Nichtregierungsorganisationen teilnahmen.
Und dies soll jetzt zurückgedrängt werden? Zwei Tendenzen lassen sich zunächst erkennen.

CDU/CSU, FDP und AfD gegen die NGOs

Zum einen wurde neben Attac auch anderen Organisationen von Finanzämtern und Gerichten die Gemeinnützigkeit abgesprochen - zuletzt im Oktober 2019 dem Netzwerk Campact. Zum anderen stehen Nichtregierungsorganisationen, etwa die Deutsche Umwelthilfe, stärker unter parlamentarischer und medialer Kritik als früher. Vor allem die Unionsparteien, die FDP und AFD wenden sich deutlicher als früher gegen die ihrer Meinung nach zu große Macht der NGOs.
Dieter Plehwe, Politikwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin: "Wir beobachten sehr genau in Deutschland in der jüngeren Vergangenheit starke Angriffe gegen NGOs, etwa gegen Attac oder gegen Foodwatch, gegen alle möglichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in den letzten, zehn, 20 Jahren durchaus erfolgreich, durchaus öffentlich wahrnehmbar gearbeitet haben."

Staatliche Finanzierung von NGOs in der Kritik

"Mein Name ist Clemens Schneider. Ich bin der Direktor und Mitgründer von Prometheus, das Freiheitsinstitut, und wir sind hier in unserem Büro in Berlin Mulackstraße, in Mitte."
Das Prometheus Institut ist ein Thinktank, der sich ganz klar liberalen Werten verschrieben hat.
"Und diese Werte, das ist eine Art Do-it-yourself-Ethos", sagt Clemens Schneider. "Wir sind davon überzeugt, dass Menschen viele Dinge gut selber in den Griff bekommen können. Und natürlich gibt es Menschen, denen man auch helfen muss, aber die meisten Menschen können selber gut klarkommen. Und wir wollen ein Klima schaffen, wo das wieder ein Wert ist. Wo wir nicht immer sofort nach staatlichen Hilfen, Unterstützung, staatlicher Regulierung rufen, sondern gucken, dass wir unser Leben selbst in die Hand bekommen."
Das Internetportal Lobbypedia der Organisation LobbyControl bescheinigt dem Institut einen Glauben an die "schrankenlose unternehmerische Freiheit".
"Also, marktradikal finde ich noch nicht problematisch, denn das Radikale bedeutet eben, dass man dem Markt etwas zutraut. Und der Markt ist für mich, wo sich Menschen freiwillig miteinander austauschen", sagt Clemens Schneider. "Und das ist für mich etwas Superpositives. Ich habe mal von einer Ökonomin diese wunderschöne Formulierung gehört: Der Markt ist der Ort des doppelten Dankeschöns. Der Verkäufer, genauso wie der Käufer, sagen beide Danke bei einer Transaktion. Und das ist prinzipiell für alle Seiten ein wohltätiges Instrument. Schwierig wird es erst dann, wenn sich Leute einmischen, und Marktmacht entsteht natürlich."

Die Nichtregierungsorganisationen im Visier

Ein Arbeitsschwerpunkt des Instituts ist die Analyse von Nichtregierungsorganisationen.
"Wie finanzieren sich Vereine? Welche Struktur haben sie? Welche Personen sind daran beteiligt? Und dann eben Kritik, die bestätigt wurde, durch Medien Recherchen, zum Beispiel, das wollten wir zusammensuchen, damit man sich da informieren kann", sagt Clemens Schneider.
Diese Informationen finden sich auf der Webseite von Prometheus unter dem Banner "NGO Watch", einer Art kritisches Verzeichnis von Nichtregierungsorganisationen.
"Also, es gibt eine ganze Reihe von NGOs, das erkennen wir mit großem Respekt an, die sich komplett privat finanzieren", sagt Clemens Schneider. "Also beispielsweise Greenpeace, Campact, Foodwatch, die nehmen absolut keine staatlichen Gelder und das finden wir super. Es gibt aber eine ganze Reihe von anderen Organisationen, die zum Teil große Teile ihres Budgets aus staatlichen Fördermitteln beziehen."
Aktivisten von Greenpeace projektieren bei einer Protestaktion vor dem Gelände des Kohlekraftwerks Datteln 4 den Schriftzug: "Klimakrise - Made in Germany" auf den Kühlturm. 
Aktion gegen die Inbetriebnahme von Datteln 4: Greenpeace agiert - wie auch andere NGOs - ohne staatliche Gelder.© dpa-news / Guido Kirchner
Im Mai des Jahres 2019 recherchierte die Tageszeitung "Die Welt", dass die Bundesregierung allein im Jahr 2018 verschiedenste Nichtregierungsorganisationen mit rund 15,5 Milliarden Euro unterstützte. Darunter findet sich beispielsweise auch die evangelische Organisation "Brot für die Welt" mit ihren Entwicklungsprojekten.
Clemens Schneider fordert, dass NGOs sich nur aus Spenden finanzieren sollten: "Es ist letztlich fast eine Bankrotterklärung für NGOs, wenn man als NGO sagt, wir können die Leute von unseren Ideen nicht überzeugen, deswegen holen wir uns das Geld woanders."

Weed - Protestbewegung und Dienstleister?

"Ja, willkommen hier in unseren Büroräumen bei Weed, Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung, in Berlin Friedrichshain", sagt Markus Henn. "Wir sind hier in einem Plattenbau, der auch gerade leider rausgekündigt wird. Wir haben nicht mehr so lange zu bleiben. Und arbeiten hier mit fünf Leuten, gerade."
Markus Henn, 39 Jahre alt, arbeitet als Referent für Finanzmärkte bei Weed, einer 1990 gegründeten NGO, die stark von staatlicher Förderung abhängig ist.
"Also, bei Weed müssten es ungefähr momentan vielleicht zwei Drittel sein, die aus verschiedenen staatlichen Stellen kommen", sagt er. "Wir haben einen Haushalt von ungefähr 300.000 Euro in den letzten Jahren gehabt. Davon fünf bis zehn Prozent aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden."
Die Nichtregierungsorganisation Weed wäre also ohne Geld aus der Staatskasse nicht denkbar. Was passiert nun mit dem Geld? "Man sieht hier unseren Raum mit den ganzen Broschüren", erklärt Markus Henn. "Wir stellen viel Material, Broschüren für die Fachwelt, aber auch viel für die Öffentlichkeit oder für Schulen. Wir haben viel spezielles Bildungsmaterial oder Unterrichtsmaterial."

Förderung an konkrete Projekte gebunden

Weed darf seine Gelder nicht frei verwenden, es ist an konkrete Projekte gebunden, etwa an Bildungsarbeit an Schulen zum Thema "globale Wirtschaft". Eigentlich könnten dies auch die klassischen Bildungsanbieter und die Lehrerschaft realisieren. Die Kultusministerien greifen aber gerne auf die Expertise von Organisationen wie Weed zurück. Und sparen somit eigenen Aufwand, wie die Ausbildung von geeigneten Lehrkräften.
Die fünf Beschäftigten von Weed erarbeiten für den Staat auch Kriterien für nachhaltigen Einkauf, beispielsweise von Computern. Dieter Plehwe vom Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung überrascht es nicht, dass Organisationen wie Weed von liberaler Seite kritisiert werden.
"Das Prometheus Institut steht sicherlich mit vielen Verbündeten, eben interessanterweise für eine sehr aggressive NGO-Kritik", sagt er. "Insbesondere dann, wenn es diesen NGOs an vielen Stellen um eine Regulierungsperspektive geht: Sei es Umweltregulierung, sei es Regulierung der Lebensmittelproduktion, oder der Landwirtschaft."

"Die Finanzierung spielt schon eine Rolle"

Trotz gegensätzlicher Interessen, Markus Henn findet die Kritik des Prometheus Instituts eigentlich recht plausibel.
"Also, die reine Mittelherkunft kann man natürlich erstmal thematisieren" sagt er. "Man kann auch sagen, es hat irgendeine Wirkung. Und wir selber als Organisation verwenden auch immer wieder diesen berühmten Spruch: ‚Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.‘ Das heißt, die Finanzierung spielt schon eine Rolle, wir kritisieren oft schon auch im Lobby-Bereich, wenn da Gelder fließen von Unternehmen für Studien, sagen wir, das ist ein Problem."
Praktiziert eine NGO wie Weed also Wohlverhalten, um den ständigen Geldzufluss durch Staatsprojekte zu garantieren?
"Ich will nicht leugnen, dass man da auch gewisse Scheren im Kopf haben könnte oder auch hat", sagt Markus Henn. "Vielleicht wird man ein bisschen zahmer in seinen Aktionsformen, wenn man sagt, ich bekomme ja keine militante Aktion gefördert. Man macht eine Sache, man ist dann schon in dem Zwang immer neue Gelder zu akquirieren. Also, in der Hinsicht, finde ich manche Kritik aus dem libertären Eck - ‚das wird zum Geschäft‘ - nicht so völlig falsch."

"Wir dürfen keine Gewinne machen"

Einen wichtigen Punkt, glaubt Markus Henn, erwähnen die Kritiker von Prometheus nicht. Es darf den NGOs nicht um Profite gehen: Weed ist laut Paragraf 3 der eigenen Satzung ein gemeinnütziger Verein, die Organisation ist somit "selbstlos tätig" und verfolgt "nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke". Zudem darf keine Person durch "unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden".
Diese Grundsätze unterscheiden die NGO elementar von einem Unternehmen, mit dem man es dann eben auch nicht gleichsetzen dürfe.
"Wir bekommen für das was wir machen unsere Gehälter rein und Verwaltungskosten", sagt Markus Henn. "Wir dürfen keine Gewinne machen, wir dürfen auch nichts rauszahlen. Die normale NGO ist ein gemeinnütziger Verein, die ist laut Finanzamt nicht berechtigt, irgendwie Gewinne abzuführen, er ist nicht berechtigt Rücklagen in größerem Maße aufzubauen, das ist stark gedeckelt."

BUND verzichtet auf Unternehmenskooperationen

"Wir hatten in den 1990er-Jahren verschiedene sehr intensive Kooperationen", sagt Olaf Bandt. "Zum Beispiel mit dem Warenhauskonzern Hertie damals, mit der Kosmetikkette Bodyshop. Das waren alles erstmal inhaltlich fachlich gute Projekte, weil es ging um Müllvermeidung, um wiederverwendbare Verpackungen also. Von der Idee her gute und richtige Dinge. Wir haben einfach gemerkt, dass es uns selber als Organisation in Konflikte bringt. Dass wir, wenn wir mit einem Unternehmen kooperieren, dass man merkt: Wir kritisieren vielleicht andere Dinge, die wir in dieser Kooperation mit dem Unternehmen gerade machen, nicht mehr so intensiv, wie wir das tun würden, wenn wir vollkommen frei wären."
Olaf Bandt ist Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, BUND, gegründet im Jahr 1975.
"Und das hat dazu geführt, dass wir diese Kooperation quasi komplett abgestellt haben, wir als BUND machen das nicht mehr, und da sind schon mehrere 100.000 Euro pro Jahr an Einnahmen dadurch weggefallen."

Umwelthilfe, Greenpeace und Brot für die Welt erklären sich

"Wir haben jahrelang mit Toyota zusammengearbeitet", sagt Sascha Müller-Kraenner. "Toyota hat uns für eine Reihe von verkehrspolitischen Projekten regelmäßig Spenden im fünfstelligen Bereich, das ist nicht so unendlich viel, gespendet. Und nach über einem Jahrzehnt hat Toyota die Zusammenarbeit eingestellt. Das waren nicht wir, das war Toyota. Ich denke das lag daran, dass unsere Kampagnen für saubere Luft und auch gegen die Betrugsdiesel, auch gegen die Modelle, die Toyota selbst anbietet, das doch dazu geführt hat, man möchte mit der deutschen Umwelthilfe nicht mehr zusammenarbeiten."
Sascha Müller-Kraenner ist Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, 1975 als Umwelt und Verbraucherschutzorganisation gegründet.
Aktivisten der Nichtregierungsorganisationen Deutsche Umwelthilfe stehen vor dem Bundeskanzleramt, um gegen den Kurs der Unionsfraktion in der Energiepolitik zu demonstrieren.
Aktivisten der Deutschen Umwelthilfe vor dem Kanzleramt in Berlin© picture alliance / dap / Gregor Fischer
"Ja, wir sind da schon lange sehr eindeutig, schon immer sehr eindeutig", sagt Michael Hopf. "Wir nehmen kein Geld aus Politik und Wirtschaft. Wir finanzieren unsere Arbeit nur mit den Spenden und Beiträgen von Fördermitgliedern oder einmaligen Spenderinnen und Spendern, das ist für uns ein Weg, um unabhängig zu sein. Und nicht auf andere Stimmen zu hören übermäßig. Und das ist unsere Überzeugung, dass wir so am besten arbeiten können."
Michael Hopf ist Pressesprecher von Greenpeace, 1971 gegründet.
"Mit der ganz klaren Verpflichtung auf Transparenzrichtlinien, auf Integritätsrichtlinien beim Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen der mittlerweile 140 NGOs umfasst, wurde frühzeitig ein Codex verabschiedet, der ganz klare Prinzipien und Standards in den Bereichen Organisationsführung, Kommunikation, Betriebsführung festlegt", so Klaus Seitz. "Es gibt die Initiative Transparente Zivilgesellschaft, die bestimmte Berichtspflichten festgelegt, was NGOs berichten sollen, der Öffentlichkeit gegenüber. Es gibt Leitlinien darüber, wie Organisationen aufgestellt werden sollten, zum Beispiel die klare Trennung von Leitung und Aufsichtsorganen."
Klaus Seitz ist Leiter der Abteilung für Politik bei Brot für die Welt, 1959 als Hilfswerk der evangelischen Kirche für Entwicklungsarbeit gegründet.

Transparente Auskünfte aller Akteure gefordert

Viele NGOs geben Auskünfte über Einnahmen, Förderer und Abhängigkeiten. Müssen tun sie es nicht, wie Dieter Plehwe vom Wissenschaftszentrum Berlin beklagt.
"Es gibt zwar Best Practice Strategien in dem Bereich", sagt er. "Das ist aber Selbstregulierung, das heißt die Organisationen können dann ihre Haushalte, ihre Wirtschaftsdaten jährlich veröffentlichen. Aber es wird in dem Sinne auch nicht kontrolliert. Viele machen es eben nicht. Und von daher glaube ich, dass hier, wie in vielen Bereichen, Selbstregulierung nicht genug ist, sondern es eigentlich dringend nötig ist, dass wir als Bürgerinnen und Bürger aber auch als Wissenschaftlerinnen einfach leichter recherchieren können, wer in welchem Zusammenhang, welche Dinge tut."
Plehwe kennt die Szene der NGOs aus eigener Erfahrung, war er doch Gründungsmitglied und 13 Jahre lang ehrenamtlicher Vorstand von LobbyControl. Er fordert bindende und transparente Auskünfte aller Akteure. In anderen Ländern sei man da viel weiter.

Regeln in den USA als Vorbild

"In den USA, wo einfach das Nutzen von zivilgesellschaftlichen Organisationen auch für die Lobbyarbeit von Unternehmen sehr viel verbreitet ist, da haben wir längst ein Lobbyregister, ein strafbewehrtes Lobbyregister", sagt er. "Und auch ganz andere Finanzoffenlegungspflichten für NGOs, da müssen die Gehälter von dem Vorsitzenden, von Vereinen, von Thinktanks auch offengelegt werde. Wofür, für welche Programme, für welche Arbeiten, die Mittel genutzt werden, muss ein Stück weit transparent werden."
In Deutschland existiert kein verpflichtendes Lobbyregister. Seit 1972 gibt es lediglich eine öffentliche Liste von Lobbyorganisationen mit spärlichen freiwilligen Angaben. Mittlerweile fordern alle Bundestagsparteien, außer der CDU/CSU, ein Verzeichnis mit Meldepflicht.

Allianz für ein Lobbyregister

Im Sommer 2019 formte sich eine außergewöhnliche Allianz, die in einem gemeinsamen Papier ein Lobbyregister forderte. Dazu gehören der Bundesverband der Deutschen Industrie, der Verband der Chemischen Industrie sowie der Verband "Die Familienunternehmer". Auf Seiten der Zivilgesellschaft sind der Naturschutzbund Deutschland, die Verbraucherzentrale Bundesverband und Transparency International dabei. Auch die FDP unterstützt die Initiative, die Unternehmenslobbyisten und kritische NGOs in einem Register erfassen möchte.
Dazu der FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker: "Denn eine solche Organisation, muss ja genau aufpassen, ob sie tatsächlich sich beschränkt, was sie wirklich tun soll: Nämlich Inhalte, politische, zu transportieren, und damit auch tatsächlich die Grenze definiert, wann sie beginnt, ein Unternehmen zu werden. Und aus dieser Lobbyarbeit, politischen oder Interessenvertretung zu einem Konzern wird, wo es darum geht, möglich viele Spendeneinnahmen zu generieren."

Skepsis beim BUND

Olaf Bandt, Vorsitzender des Bundes für Umwelt und Naturschutz, ist skeptisch gegenüber dem Vorstoß.
"Wir waren ja auch angefragt zur Unterstützung dieser Initiative", sagt er, "haben uns das lange überlegt. "Wir haben es abgelehnt, weil wir genau diese Gleichstellung von NGOs und Wirtschaft nicht richtig fanden. NGOs vertreten ja immer laut Satzung, aber auch laut Gemeinnützigkeitsstatus, gesellschaftliche Interessen, Gemeinwohlinteressen. Das ist bei Unternehmen ganz anders. Und wir sind der Meinung, dass man gesellschaftliche Gemeinwohlinteressen nicht in einen Topf werfen darf mit einseitigen Unternehmensinteressen. Und deswegen haben wir das so nicht unterstützt."
Derzeit ist nicht klar, ob und wann sich das Patt auflöst. Unterdessen können die Lobbyisten der Unternehmen weiterwirken, und auch das Geschäftsgebaren vieler NGOs bleibt unklar. Manche von ihnen, etwa Attac, stehen allerdings unter juristischem Feuer.
"Wir sehen es hier in Deutschland", sagt Frauke Distelrath. "Ein Beispiel: Wir selber sind betroffen an der Auseinandersetzung um gemeinnützige Vereine. Attac Deutschland war von Beginn an als gemeinnütziger Verein anerkannt. Im Jahr 2014 hat das Finanzamt Frankfurt uns die Gemeinnützigkeit abgesprochen, mit der Begründung, das muss man sich jetzt auf der Zunge zergehen lassen, Attac sei zu politisch. So, also der Einsatz für eine gerechte Globalisierung, der Einsatz für eine Finanztransaktionssteuer, der Einsatz für ökologische Gerechtigkeit, Klimagerechtigkeit, all das sei nicht gemeinnützig."

Wer und was ist gemeinnützig?

Als gemeinnützig gilt eine Körperschaft laut Abgabenordnung, "wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern."
Und weil Attac eben zu allgemein politisch orientiert sei, decke sich das nicht mehr mit den 13 Förderungszwecken der Abgabenordnung, darunter auch Bildung und Erziehung.
Die zentrale Frage lautet somit, wie politisch dürfen NGOs sein, um gemeinnützig zu sein und steuerlich gefördert zu werden? Bisher haben die Gerichte gerade den im Selbstverständnis vieler NGOs zentralen Zweck der Volksbildung eher eng ausgelegt. Zwar steht eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechtes im Koalitionsvertrag, doch auf konkrete Schritte haben sich SPD und CDU noch nicht einigen können.
Attac wurde im Februar 2020 in einer Revision vor dem hessischen Finanzgericht erneut die Gemeinnützigkeit abgesprochen – der Fall wird vermutlich in Karlsruhe landen. Für die Aktivisten ist das Teil einer generellen politisch motivierten Offensive.

"Das ist ein Angriff auf die Zivilgesellschaft"

"In der Folge von dieser Aberkennung der Gemeinnützigkeit, sind vielen anderen Organisationen, Vereinen in Deutschland auch die Gemeinnützigkeit aberkannt worden", sagt Frauke Distelrath. "Wir haben von Anfang an gesagt, das ist ein Angriff auf die Zivilgesellschaft, und das hat sich auch bestätigt im Verlauf – zuletzt dem Kampagnennetzwerk Campact, dem demokratischen Zentrum Ludwigsburg auch, der VVN BdA mit einer etwas anderes Begründung. Aber es reiht sich ein in die Kette sozusagen der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die offenbar so unbequem sind, dass ihnen die Gemeinnützigkeit entzogen werden soll."
Besonders ärgerlich sei das, wenn man dann noch vergleiche, wer und was hingegen weiterhin als gemeinnützig gelten darf: "Wenn man sich anschaut, wer gemeinnützig ist und wer nicht, dann wird schon die ganze Absurdität ganz offenkundig, Attac und die anderen Organisationen, kritischen zivilgesellschaftlichen Organisationen die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Auf der anderen Seite, Vereine wie die Stiftung Familienunternehmen: Die ganz klar eine politische motivierte Kampagne im Interesse der Konzerne, keineswegs der Familienunternehmen, sondern von großen Konzernen gegen die Erbschaftssteuer gemacht hat, die als gemeinnützig gilt."
Unerwartete Unterstützung bekommt Attac vom Prometheus Institut, dem marktradikalen Thinktank. Direktor Clemens Schneider hält die Urteile für falsch. Zwar kritisiert Schneider vieles an den NGOs, darunter die staatliche Finanzierung. Dennoch glaubt er, dass die NGOs gegenüber den Parteien benachteiligt werden.

"Wir wollen keine Parteiendemokratie"

"Und ich finde das sehr problematisch, dass die politische Willensbildung nur auf Parteien beschränkt ist, die da eine Art Kartell haben, ein Oligopol, und die ja wahnsinnig viel Geld bekommen", kritisiert er. "Sie bekommen sehr viel staatliche Förderung, Spenden an Parteien sind zum Teil steuerabzugsfähig, das heißt, die werden wirklich zugeballert mit Geld, während andere politische Akteure, die eine wichtige Rolle auch spielen können, die für den Diskurs entscheidend sein können, jetzt das Problem haben, dass ihnen zum Teil die Gemeinnützigkeit aberkannt wird. Das ist absolut unfair und verschiebt das Gewicht zusätzlich zu den Partien hin. Und das kann ja nicht sein, was wir wollen. Wir wollen keine Parteiendemokratie, sondern wir wollen eine lebendige Zivilgesellschaft, die sich auch in Parteien äußert, aber nicht von Parteien komplett dominiert wird."
Auch der Zivilgesellschaftsforscher Dieter Plehwe fordert eine deutliche Reform der Gemeinnützigkeit
"Aber man sieht da, dass es gar nicht alleine ums Geld geht", sagt er, "sondern es geht auch um Legitimität, welche Art von politischer Arbeit im Rahmen von NGO im Rahmen von zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen, wie das als gemeinnützig anerkannt wird, welche nicht. Also, es gibt sehr viele zivilgesellschaftliche Organisationen, die den Kriterien des Gemeinnützigkeitsrechts genügen, die etwa Golfplätze für Wirtschaftsgespräche zwischen Businessleuten zur Verfügung stellen, die dann steuerbegünstigt arbeiten dürfen. Dagegen, darf jetzt Attac, das sich für die Finanztransaktionskostensteuer einsetzt, darf das nicht mehr. Das ist sehr interessant, dass die juristischen Kriterien, nach denen ein bestimmtes Aktivitätenspektrum von NGOs einsortiert wird, dass die nicht unbedingt gesellschaftspolitisch besonders vernünftig und rational sind. Und da gibt es auf jeden Fall Überarbeitungsbedarf."

Ein Kampf von David gegen Goliath?

Dass die angekündigte Gemeinnützigkeitsreform im Koalitionsstreit stecken geblieben ist, deutet darauf hin, dass unbequeme NGOs durchaus mit mehr Widerstand rechnen müssen. So stört sich der FDP-Bundestagsabgeordnete Gero Hocker vor allem an der Deutschen Umwelthilfe, die den Dieselskandal thematisierte und Fahrverbote durchsetzte. Aus seiner Perspektive gibt es kein Machtungleichgewicht mehr zwischen NGOs und Lobbyorganisationen der Wirtschaft.
"Dieses Ungleichgewicht, wie es da gezeichnet wird, das sehe ich so nicht", sagt er. "Wenn ich mir anschaue, wie viele Mitglieder gerade auch Umweltorganisationen verbunden sind. Gerade das Vorgehen der DUH, zeigt ja sehr deutlich, wie eine wahrscheinlich finanziell doch im Vergleich zur Autoindustrie schwächer aufgestellte Organisation, bei aller auch Unterstützung durch den Gesetzgeber, und auch durch Steuermittel, aber finanziell schwächer aufgestellte Organisation, dann doch durch geschickte juristische Winkelzüge, vielleicht auch durch ein geschicktes Marketing, sehr wohl eine ganze Industrie in Deutschland lahmlegen kann. Deswegen würde ich es nicht teilen, dass es ein Kampf David gegen Goliath ist. Die einen sind vielleicht finanziell besser ausgestattet, die anderen haben mehr Mitglieder."
Schätzungsweise 25.000 Lobbyisten mit einem Jahresbudget von 1,5 Milliarden Euro nehmen laut LobbyControl in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Etwa 70 Prozent von ihnen arbeiten für Unternehmen und Wirtschaftsverbände. In Berlin dürfte es nicht viel anders sein.
Die Zahlen sprechen was die David-Goliath-Vergleiche angeht, immer noch eine eindeutige Sprache, auch wenn David den Umgang mit der Schleuder inzwischen weiter geübt hat und größer wirkt als früher.

Autor: Peter Kessen
Es sprechen: Ilka Teichmüller, Thomas Holländer
Ton: Peter Seyfert
Regie: Frank Merfort
Redaktion: Martin Hartwig

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