New York

Sperrige Welt

Von Andreas Robertz · 13.11.2013
Skulpturen, Gemälde, Fotos und Collagen - das New Yorker Museum of Modern Art zeigt die bislang größte Ausstellung der deutschen Künstlerin Isa Genzken. Die Schau umfasst rund 200 Werke - und macht Genzkens Liebe zu New York deutlich.
Wie ein Begrüßungskomitee stehen da Isa Genzkens „Schauspieler” am Eingang der Tisch Galerie im sechsten Stock des MoMA. Die lebensgroßen Schaufensterpuppen sind mit verschiedenen Kleidungsstücken bekleidet und mit Alltagsmaterialien, wie Baumarktutensilien, Absperrfolien und Masken dekoriert. Sie laden den Besucher ein, in ihnen Isa Genzkens Kosmos, die Künstlerin und vielleicht auch sich selbst zu sehen. Da stehen Cowboys in Lendenschürzen aus Plastik, ein Rocker mit Totenmaske und Kopfhörer, eine fast nackte Kinderpuppe mit einer gerüschten Augenbinde vor den Genitalien.
Und selbst wenn man noch nie von Isa Genzken gehört hat, bekommt man sogleich einen guten Eindruck über ihre Themen und ihren Humor. Urbane Objekte, Kunst als sozial-politische Reflexion, eine Faszination für Skulpturen und eine enorme Vielfalt in der Wahl ihrer Materialien - so könnte man diese Welt beschreiben. „Isa Genzken: Retrospective“ ist die größte bisher gezeigte Gesamtaustellung ihres Werkes und die erste Ausstellung dieses Kalibers in den Vereinigten Staaten. Dazu Kuratorin Sabine Breitwieser:
Insbesondere haben wir es hier mit einer Künstlerin zu tun, die sich in ihrer Arbeit über Moderne, über Modernismus abarbeitet, wenn man so will, die quasi eine Position, ich will nicht sagen eine Gegenposition, aber eine Antwort darauf entwickelt hat, in ihrer Arbeit gesucht hat. Und allein das ist schon einer der, würde ich sagen, wichtigsten Gründe, dieses Werk hier zu zeigen.
Synonym für ein kriegsbedrohendes Amerika
In sieben großen Sälen kann man Genzkens Schaffen von den Anfängen in den späten Siebzigern bis zu ihren aktuellen großen Arbeiten nachvollziehen, ihren Weg von der Beschäftigung mit Minimalismus und Konstruktivismus über ihre Faszination von Architektur und konkreten Skulpturen bis hin zu ihren höchst komplexen Collagen und Skulptur Assemblagen der letzten Jahre. Besonders schön sind die fassadenähnlichen Rahmen aus bernsteinfarbenen Kunstharz und Beton ihrer Arbeit „Fenster” von 1992 direkt unter dem Oberlicht der Gallerie ausgestellt.
Wie ein großes Tryptichon von leeren, urbanen Gemälderahmen stehen sie groß im Raum und über ihnen sieht man die Fassaden der Wolkenkratzer der 6th Avenue. Wolkenkratzer und urbane Architektur haben sie schon früh fasziniert. In „Fuck the Bauhaus” und „New buildings for Berlin” entwirft sie collageartige Hochhausskulpturen und in „Ground Zero” ihre ganz eigenen Vorschläge für ein neues World Trade Center, dessen Zerstörung sie selbst miterlebt hat. Die Skulpturen aus Maschendraht, Farbe und Plastikelementen sind Modelle für ein Parkhaus, eine Kirche, eine Diskothek mit dem schönen Namen „Disco Soon“ und dem „Osama Fashion Store”.
Isa Genzkens Arbeit wird zunehmend zu ganzen Rauminstallationen, wie zum Beispiel der „Amerikanische Raum”, wo sie mit Symbolen wie dem Adler und Dagobert Duck als Synonyme für ein kriegsdrohendes Amerika spielt. Im Zusammenhang mit dem 11. September entstehen die sehr komplexen Displays „Empire/Vampire”, in denen sie aus Schutt, kleinen Soldaten, Alltagsgegenständen und Verbandsmaterial Kriegsschauplätze schafft, die den Betrachter in ihre kleinen apokalyptischen Miniwelten saugen.
Bei all diesen Details wird Isa Genzken’s Liebe zur Stadt New York deutlich.
Immer wieder wird diese Stadt und ihr Straßenleben in Skulpturen und Fotografien eingefangen. In einer dieser Fotografien sieht man einen Mann auf Krücken durch eine Straße Manhattans laufen. Im Gegenlicht der Aufnahme scheinen seine Beine den Boden nicht zu berühren – ein eindrucksvoller Moment, der viel über die Stadt und wie Isa Genzken sie sieht aussagt.
Und dann steht man am Ende wieder vor den „Schauspielern”, als wären sie zu Menschen gewordenen Gebäude. Man sieht dabei nicht nur in der Wahl ihre Materialien das Moderne und Politische, das ihre gesamte Arbeit durchzieht, sondern auch in ihrer faszinierenden Detailgenauigkeit und ihrem kritischen Humor. Sabine Breitwieser fasst den Bogen der Ausstellung so zusammen:
Minimalismus hat eigentlich zum ersten Mal den Betrachter im Werk definiert, was in den frühen Arbeiten von Isa auch ganz klar herauskommt, und jetzt machen wir einen Sprung über 30, 40 Jahre und sind bei den Schauspielern, hier spiegelt man sich selbst plötzlich.
Man muss viel Zeit mitbringen, um einen Zugang zu dieser, auf den ersten Blick sperrigen Welt von Isa Genzken zu bekommen. Den Kuratoren war wichtig, diese große Künstlerin einem amerikanischen Publikum vorzustellen, dem sie weitgehend unbekannt ist. Man hat den Eindruck mit der Ausstellung ist Isa Genzken ein bisschen nach Hause gekommen - in ihre Lieblingsstadt.