Neujahrsfest "Rosh Hashanah"

Granatapfel für die Fruchtbarkeit

Ein Granatapfelbaum
Ein Granatapfelbaum © Imago / View Stock
Moderation: Mirjam Reusch-Helfrich · 11.09.2015
Granatapfel, Fischkopf und Hefezopf - die jüdischen Speiserituale sind vielfältig und nicht immer leicht zu entschlüsseln. Was steckt also hinter jenen, mit denen sich Juden zu "Rosh Hashanah" weltweit ein süßes, neues Jahr wünschen?
"Die schrillen Klänge des Schofar, des Widderhorns, das in der Synagoge geblasen wird, beginnend mit seufzenden klagenden Tönen, gefolgt von einer langen durchdringenden Note."
Viele jüdische Feste haben fest vorgeschriebene Speisetraditionen. Nicht so Rosch Haschana, das Neujahrsfest. Hier werden lediglich einige symbolische Speisen zubereitet.
"Zum Neujahrsfest isst man eigentlich traditionell Apfel mit Honig und man ist Challot, das Brot, ein rundes Brot, weil das Jahr ja rund sein soll. Was isst man noch zum Neujahr? Ja, das ist dann unterschiedlich: Leber und Fisch, Gefillte Fisch und Suppe und Hauptspeise, Nachspeise ... "
So wie bei Sigal Rosenbaum sieht es auf fast allen jüdischen Tafeln zu Rosch Haschana aus. Die guten Wünsche für das neue Jahr werden symbolisch durch Speisen dargestellt. Am auffälligsten ist die Challa, das Weißbrot, welches auch zum Schabbat gegessen wird. Zu Rosch Haschana ist es jedoch rund geflochten oder wie eine Schnecke zusammengerollt. Das soll ein rundes Jahr anzeigen: Kontinuität, Hoffnung und Harmonie.
Sigal Rosenbaums Freundin, Julia Goldberg, macht die Challot selber. Das Rezept ist einfach:
"Also ein Päckchen Hefe, ein Glas Wasser, zwei Esslöffel Zucker, 680 Gramm Mehl, dann nimmt man noch Salz, einen Teelöffel Salz mache ich dazu, zwei Eier und sechs Esslöffel Öl. Und daraus macht man eben einen Teig, lässt ihn stehen bis er schön gegangen ist und dann formt man diese runden Challot. Dann lasse ich sie meistens nochmal ein bisschen gehen und dann mit Ei beschmieren und entweder mit Zucker oben drauf oder einfach so lassen und dann in den Ofen für 35 Minuten."
Sigal Rosenbaum macht es sich lieber einfach. Sie delegiert die Arbeiten für das Fest an andere.
"Ich bin auch nicht so ein Kochwunder und ich habe auch nicht so einen Spaß in der Küche. Ich habe dann eher den Spaß mit der Familie und das Fest zu feiern. Den Gefillten Fisch kaufe ich mittlerweile, weil eigentlich macht mein Vater den am besten, aber der ist nicht da und den Apfel zerschneide ich und die Challot kaufe ich. Hier in Köln gibt es die Bäckerei Zimmermann, die hat koschere Challot. Da bestelle ich auch die runden Challot auch. Also die mache ich nicht selber. Warum eigentlich nicht? Vielleicht sollte ich sie dieses Jahr mal selber machen?!"
Die Kölner Adresse für koscheres Brot
Christa Zimmermann: "Wir backen die nur auf Vorbestellung, das wissen unsere Kunden. Die bestellen das vor. Das ist dann auch immer schon eine ganz schöne Menge."
Christa Zimmermann führt die Kölner Bäckerei Zimmermann in langer Familientradition. Seit 1875 wird hier nach alten Rezepten gebacken. Auch die Herstellung von koscherem Brot hat lange Tradition. Während des Dritten Reiches, erzählt sie, haben die Großeltern den Juden Brot im Hof verkauft. Das hätte die Gemeinde wohl nicht vergessen. Heute ist die Bäckerei Zimmermann die Adresse für koscheres Brot, natürlich mit Koscher-Zertifikat. Die Bäckerei Zimmermann beschäftigt einen Maschgiach, einen rabbinischen Kontrolleur, der darauf achtet, dass alles koscher ist, auch die runde Challot für das Neujahr.
"Und zu bestimmten Festen, da kriegen die auch teilweise dann diese runden Schnecken nennen wir die. Die Zöpfe werden geflochten. Zöpfe werden geflochten und Schnecken, da werden so Teigrollen gemacht und dann als Schnecke geformt."
Der biblischen Überlieferung nach wurde zu Rosch Haschana, dem 1. Tag im jüdischen Monat Tischrei, der Mensch, also Adam und Eva geschaffen. Durch das Pflücken des verbotenen Apfels wurden die beiden aus dem Paradies verbannt.
Leonid Golzmann ist orthodoxer Maschgiach in Berlin. Im Namen des Rabbiners überwacht er die Einhaltung des jüdischen Reinheitsgebotes. Gastronomische Betriebe erhalten dadurch einen Koscher-Stempel, ein lizenziertes Siegel wenn man so will.
Äpfel benötigen diesen Stempel jedoch nicht. Zu Rosch Haschana kommt es eben auf die Symbolik an. Das sieht auch sein Rabbiner, der Berliner Gemeinderabbiner Yitshak Ehrenberg so. Doch Symbole alleine reichen nicht aus.
"Es soll nicht nur bei Worten bleiben, bloße Worte. Wir sollen auch etwas tun, wenn wir zu G'tt sagen: 'G'tt, wir wollen ein gutes, süßes Jahr haben', nur mit Worten ist das wenig wirksam. Deswegen, wenn wir ein süßes Jahr haben wollen, dann nehmen wir einen süßen Apfel mit Honig, der süß ist, und sagen: 'G'tt siehst du, so süß wollen wir es haben!' Der Grund, warum wir das tun ist, weil wir Worte mit Taten verbinden wollen. Und in unseren Worten ist eine sehr starke Energie vorhanden. Aber eine Tat zählt noch mehr."
Bienen sind nicht koscher, Honig schon
Eine Faustregel im Judentum besagt: was von nichtkoscheren Tieren kommt, ist zwangsläufig nicht koscher. Ein Beispiel:
"Kühe sind koscher."
"Kuhmilch ist koscher."
"Schweine sind nicht koscher."
"Schweinemilch ist nicht koscher."
Aber warum sind Bienen nicht koscher, Honig jedoch koscher?
Dazu noch einmal Leonid Golzmann, der Maschgiach:
"Das ist eine ganz normale Frage, die ich öfter schon gehört habe, dass der Honig natürlich dann auch nicht koscher sein kann. Es gibt viele Prinzipien - wo fängt Kaschrut an? Kaschrut fängt beim schlucken an. Diese Sachen muss man wirklich den Rabbiner fragen. Das ist eine Sache, die schon in die tiefe Religion hineingeht, das kann ich nicht sagen. Der Maschgiach ist nur die rechte Hand und nicht der Kopf."
"Und die Antwort ist, dieser Honig kommt nicht vom Körper der Bienen. Die Bienen fungieren als Lastwagen. Die nehmen diesen süßen Stoff der Blumen und die haben im Mund ein Enzym, aber das passiert nicht im Körper, im Magen oder so. Das ist die Erklärung, warum der Honig nicht vom Körper der Bienen stammt. Die Tora selbst hat das Land Israel gelobt: 'Erez sawat chalav udwasch', ein Land in dem Honig fließt, heißt auch, dass Honig erlaubt ist."
Ein weiteres Symbol:
"Wir nehmen einen Kopf vom Fisch und sagen: 'Wir sollen immer an der Spitze sein' oben am Kopf und nicht am Schwanz sollen wir sein!"
"Karpfen gehört zu den koscheren Tieren. Das kann man überall kaufen. Koscherer Karpfen ... also bei uns sind die Meerestiere, die Schuppen und Flossen haben, immer koscher, egal woher sie kommen. Und bei Karpfen, da braucht man sich keine Gedanken zu machen, der ist immer koscher."
Im großen Feinkostgeschäft Rogacki in Berlin-Charlottenburg hat man sich über die Jahre auf die jüdische Kundschaft eingestellt. Zwischen großen, gläsernen Fischbecken und Räucherofen erklärt Ralf Teichelmann, der Leiter der Fischabteilung, was einen jüdischen Karpfen ausmacht.
"Der muss unbedingt Schuppen haben und Flossen. Und mit der Frische ist es so: Die Karpfen, die leben - also frischer geht es nicht. Wir haben eben auch die Erfahrung jahrelang, also ich persönlich mache das seit 23 Jahre hier in der Firma und da hat man eben so die Tricks und Kniffe raus, wie das gemacht wird und das kann nicht jeder. Wir verraten das nicht. Das ist unser Geheimnis. Hauptsache zum Schluss ist das so, wie es eben sein muss und deswegen kommen die Kunden eben zu uns, weil das eben perfekt gemacht wird."
Ralf Teichelmann weiß was zu machen ist, wenn Juden ihren Karpfen bei ihm kaufen:
"Da muss der Karpfen so geschlachtet werden, dass der Bauch im Prinzip geschlossen bleibt, so dass den ganzen Karpfen füllen kann. Ja, das ist dann eben die 'jüdische Art'!"
In New York gibt es das ganze Jahr Matzeknödel
So ähnlich sieht es übrigens auch in New York aus. Joyce Weinberg, ist Kulinarikexpertin. Sie organisiert professionelle Food Tours durch New York und kennt sich dementsprechend mit dem Angebot im Big Apple aus.
"Wir essen Gefillte Fisch, Matzeknödel, also Hühnerbrühe mit Matzeknödel! Wir essen Äpfel und Challa mit Honig, geräuchten Brustspitz, den wir Brisket nennen. Wir essen Zimmes aus Karotten, überhaupt gibt es Karotten und Süßkartoffeln und Äpfel und Honig ... "
Matzeknödel werden von Juden in Deutschland lediglich zu Pessach gegessen. In den USA findet man sie jedoch auch über das Jahr hinweg in nicht-jüdischen Küchen. In New York, wo es an die zwei Millionen Juden gibt, ist das jüdische Angebot nur bei weitem größer.
"In New York können wir uns glücklich schätzen. Falls man einmal nicht kochen möchte, findet man sogar in den italienischen Läden traumhaften Gefillten Fisch mit frisch zubereitetem Meerrettich, frische Challa - runde Challa mit Rosinen, extra für die Feiertage! In Brooklyn gibt es das Restaurant "Shalom Japan", eine typische New Yorker Mischung: jüdisch-osteuropäisches Essen trifft dort auf japanische Spezialitäten - und das machen sie wirklich gut. Und sie bieten sogar ein Rosch-Haschana-Menü für den Abend an!"
Im Grunde sind die Symbole des Neujahrsfestes eine spielerische Sache. Hier wird auch mit der Sprache gespielt. Das jiddische Wort für Karotten ähnelt sehr dem Wort Möhren, nämlich "Mehren". Also isst man sie als Zimmes gedünstet, damit man sich viel "vermehren" soll. Bei den Granatäpfeln, die auch zu Rosch Haschana gegessen werden, sind das Wichtige die Kerne. Auch bei den Damen in Köln.
"Granatapfelkerne, die sind dafür da, dass man so viele Gebote wie Verbote hat, dass man sich vermehren soll, die sind ja, die stehen ja für ganz viel Fruchtbarkeit und für einfach auch süß."
"Ja, Granatapfel. Natürlich, Rimonim! Isst man das auch zu Rosch Haschana? Stimmt. Ja, klar. Meine Mama kommt ja und ich denke, dass sie dann die Kernchen da herauspult. Man muss einfach nur verteilen, dann geht das schon. Es ist doch ein Familienfest."
Rosch Haschana wird vor allem süß gefeiert. Es werden Trockenobst, Weintrauben, und Honig gereicht. Außerdem gibt es den lebkuchenartigen "Zickerkichen", damit auch ja klar bliebt, was man sich zum neuen Jahr wünscht. Schana Towa Umetuka - ein süßes neues Jahr.