Neues Album von Ryley Walker

"Ich will nicht so todernst sein"

Ryley Walker auf einem Konzert im Jahr 2017
"Das einzige, gegen das ich protestiere, bin ich selbst", sagt Ryley Walker. © imago/Müller-Stauffenberg
Von Jutta Petermann · 16.05.2018
Kindheitstrauma im Theater, die Selbstverwirklichung in der Musik und der Protest gegen sich selbst: Der Folkmusiker Ryley Walker hat mit "Deafman Glance" ein teils schräges und düsteres, aber auch witziges Post-Rock-Album vorgelegt.
"Ich war immer schon anfällig für Sucht und Depressionen. Meine Texte handeln daher von Ängsten und persönlichen Traumata, die ich selbst verursache. Aber um besser damit klar zu kommen, versuche ich damit witzig umzugehen, ich will nicht so todernst sein und es ist nicht das Ende Welt. Es ist nur mein Gehirn, das nicht richtig arbeitet. Das ist typisch für den mittleren Westen, dieser sich-selbst-veräppelnde, ironische Humor."
Man könnte auch sagen, da versteckt einer seine Sensibilität hinter Sarkasmus im Bezug auf sich selbst. Nicht nur in den Texten. Auf seinen Instagram Fotos gibt Ryley Walker das schräge Funny-Face, mit dicken Backen, im Mund viel zu große Burger und Sandwiches. Über seinen fatalen Hang zum Fast-Food singt Walker ebenfalls auf "Deafman Glance" und über die Unmöglichkeit bei einem umtriebigen Leben als Musiker auf Tour feste Beziehungen zu leben. Auch die diffuse Verworrenheit der politischen Zustände seit der Wahl Trumps ist Thema, doch politische Ansichten finden sich bei Walker nur als vage, irritierend schräge Zwischentöne.

Protest gegen sich selbst

"Ich betrachte es nicht als Protestmusik. Das einzige, gegen das ich protestiere, bin ich selbst und dagegen was für ein blöder Idiot ich manchmal sein kann."
Ryley Walker gehört wirklich nicht zu denen, die sich permanent selbst überhöhen. Die dunklen Haare sind aus dem ursprünglichen Kurzhaarschnitt schon lange ausgewachsen, die Spitzen zottelig, das verwaschene T-Shirt mit den ausgebleichten Rottönen sieht nachlässig aus - man könnte den 28-Jährigen leicht als Schluffi fehleinschätzen. Aber er entpuppt sich auf "Deafman Glance" als gradliniger, fest entschlossener und höchst kunstsinniger Komponist. Auf ein Postrockklangbett setzt er lieblich-wohlklingende Flötentöne gegen fast schon nervtötende Gitarrenriffs und dissonante Syntheziser-Stakkati - durch das gesamte Album hindurch lotet Walker aus, was sich zwischen diesem Kontrast abspielt.


"Ich habe einige schräge Elemente drin, wie den Synthesizer, der einen Ton reingibt, der nicht da sein sollte. Es geht darum den Raum zwischen Schönheit und Schmutz zu entdecken. Mein Leben ist voller Hindernisse, die ich mir selbst schaffe. In der Musik findet sich das wieder. Ich will, dass Elemente von Schönheit zu hören sind und da schleicht sich dann das Grauen ein. Die Songs werden von innen nach außen gekehrt und stellen die Hässlichkeit bloß, die darin ist und in mir selbst, denke ich."

Ängste, die zu Musik geworden sind

Die Abgründe, über die Walker in seinen Texten nur witzelt, in der Musik auf "Deafman Glance" zeigen sie sich. Der verwegene Soundmix und die tiefschürfenden Atmosphären lassen einen jungen Mann erahnen, der schwer mit sich kämpft. Das Jetzt, sein Leben in Chicago im Sound einfangen und um Himmels willen nichts machen, was von Tradition durchtränkt ist - das war die selbstgestellte Mission. Das erwähnte Grauen ist Auslöser für den Albumtitel. Das Erlebnis dazu liegt lange zurück. Es war ein Kurzfilm über Robert Wilsons Theaterstück "Deafman Glance".
"Als ich ein Kind war, nahm meine Mutter mich und meine Schwester mit ins Museum für Zeitgenössische Kunst in Chicago, wo der Kurzfilm gezeigt wurde. Ich war sechs oder sieben Jahre alt. Er handelte von verstörenden Dingen, eine Frau erstach ein Kind. Sehr angsteinflößend, nichts für Kinder eigentlich. Ich fragte mich lange, wie dieser Film hieß, der mich zu Tode erschreckt hatte."
Auch das Album "Deafman Glance" ist nicht gerade leicht konsumierbar - Ängste, die zu Musik geworden sind. Doch Ryley Walkers Komponistengehirn funktioniert so gut, dass er das Drama ausbalanciert mit ungeheurer Schönheit. Seinem Kindheitstrauma gewinnt er heute sogar Galgenhumor ab. Denn Mama Walker erinnert sich nicht mehr an das Horror-Filmerlebnis - ihr gefällt der Albumtitel - und das ist fast ein bisschen gruselig.
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