Neues Album "Age of" von Oneohtrix Point Never

Subversion aus der Steckdose

Cover des Albums "Age of" von Oneohtrix Point Never vor dem Hintergrund eines Mischpults
Cover des Albums "Age of" von Oneohtrix Point Never vor dem Hintergrund eines Mischpults © Imago / Cover Warp Records
Von Christian Lehner  · 30.05.2018
Baseballkappe, Jeans, T-Shirt und Dreitagebart: Daniel Lopatin aus New York sieht aus wie ein gewöhnlicher Computer-Nerd. Das ist er auch. Allerdings macht er außerdem noch Computer-Nerd Musik, uns zwar elektronische Musik hervorgegangen aus der Noise-Szene Brooklyns: Oneohtrix Point Never.
Lopatin gilt als Pate des Hauntology-Sounds, einem Mikrogenre, das sich mit den Gedächtnisleistungen früher Computermusik auseinandersetzte. Mittlerweile arbeitet Lopatin mit Leuten wie Iggy Pop, David Byrne oder den Nine Inch Nails zusammen. 2017 gewann er beim Filmfestival in Cannes den Preis für den besten Soundtrack. Am Freitag erscheint sein neues Album "Age Of". Darauf versucht Oneohtrix Point Never dem Geheimnis der Zeit auf die Spur zu kommen.
Der Tod und die Zeit sind die großen Gleichmacher des Lebens. Das Magische an der Zeit ist, dass alle Menschen den selben Zeitpunkt zur selben Zeit erleben. Ob wir gerade geboren wurden, im Sterben liegen, ob wir schlafen, oder wach sind, die Zeit trägt uns in einem fort in die Zukunft. Dieser Grundsatz liegt im Herzen der Musik von Oneothrix Point Never.

"Die Zeit ist die DNA der Musik"

Daniel Lopatin: "Die Zeit ist die DNA der Musik. Man kann sagen, sie ist darin regelrecht gefangen. Das Arrangement ist eine Form, sie zu kontrollieren. Und doch ist Musik einer ständigen Veränderung unterworfen, weil die Zeit an ihr nagt. Ähnlich sehe ich die Geschichte der Menschheit: Je weiter wir von einem Ereignis wegdriften, desto mehr verändert sich die Wahrnehmung dieses Ereignisses."
Das Eröffnungsstück des neuen Albums "Age of" beginnt mit der Variation eines elektronischen Cembalos. Man denkt an gepuderte Perücken und von Wachs überzogene Kerzenständer. Aber Oneohtrix Point Never zerstört jede romantische Assoziation. Er bläht die Cembalo-Melodie auf, zerfasert sie, verwandelt sie in Lärm.
Daniel Lopatin: "Das Cembalo ist ein hartnäckiges Instrument. Egal, was man macht, es schlägt immer auf die selbe Art und Weise auf die Seite. Es klingt nobel. Doch diese Vorstellung ist dumm, denn diese Art von Erinnerung erzählt nur die Geschichte der damals Herrschenden. Sie erzählt nicht die Geschichte der Rechtlosen. Es ist ein Herrschaftsinstrument und deshalb möchte ich seinen Klang verändern."
Subversion aus der Steckdose. Das Prinzip Erinnerung wird bei Oneohtrix Point Never zur Machtfrage. Deshalb ist die Musik ständig in Bewegung, will nicht fassbar sein und betont Gegensätze. Billig klingende Midi-Sounds werden in orchestrale Arrangements eingebettet. New Age Musik trifft auf Störgeräusche und Verfremdungseffekte. Fernöstliche Instrumentierung wird mit modernem R'n'sdB gekreuzt. Jahrhunderte von Instrumenten und Spielweisen treffen sich in einem Takt.

"Ich mag die Idee des Ein-Mann-Orchesters"

Daniel Lopatin: "Jedes Instrument, das man auf der Platte hört, kommt vom Keyboard. Jeder Drum-Sound, jeder Basslauf. Alles ist ein Keyboard für mich. Das ist meine Schaltstelle. Wenn ich es nicht schaffe, das zu spielen, was ich im Kopf höre, gibt es eine Palette von magischen Tricks, mit denen ich arbeite. Ich mag die Idee des Ein-Mann-Orchesters."
Auf dem achten Oneothrix Point Never Album findet man auch richtigen Pop. So organisch und an traditionelle Songschemata angelehnt, hat man die Musik des 35-jährigen New Yorkers bisher noch nicht erlebt. Das sei den jüngsten Arbeiten mit Musikern wie Iggy Pop, Nine Inch Nails, Soundgarden und Anohni geschuldet, so Oneohtrix Point Never. Letztere ist als Gaststimme ebenso zu hören, wie der Post-Dubstep-Star James Blake.
Oneohtrix Point Never misstraut den modernen Plattformen des Pop. Nur selten gibt er Songs zum Streaming frei. Die Soundqualität sei miserabel, der für ihn wichtige visuelle Kontext, bestehend aus Grafik und Cover-Artwork, gehe vollkommen verloren. In der derzeitigen Form mangle es dem Streaming also an Möglichkeiten, sich intensiv mit der Musik auseinanderzusetzen.
"Spotify, Apple und all die anderen Streaming-Dienste zielen einzig darauf ab, dass du sie hörst. Details sind unwichtig. Du sollst den Song anklicken, das zählt. Quantität ist also wichtiger als Qualität. Es wäre durchaus interessant, sich mit den Bedingungen des Formats auseinanderzusetzen, weil jedes neue Format die Popmusik verändert hat. Aber dazu sind die Anreize zu gering. Wenn ich Musik mache, denke ich nie daran, ob sie kommerziell verwertbar ist, obwohl das sicher besser für meinen Kontostand wäre."
Das neue Album von Oneohtrix Point Never trägt den Titel "Age of", also "Das Zeitalter des …". Die Leerstelle bleibt unbeantwortet. So hat Oneothrix Point Never ein zeitloses Album geschaffen, das doch ganz Kind seiner Zeit ist. Eine Platte für lange, nächtliche Diskussionen im Schein der Handy-Taschenlampe.
Mehr zum Thema