Neue Wohnmodelle

Tür an Tür – wie wichtig ist Nachbarschaft?

Das GenerationenKult-Haus in Essen - hier ein Blick in die Ladengemeinschaft
Das GenerationenKult-Haus in Essen - hier ein Blick in die Ladengemeinschaft © imago/biky
Armin Kuphal und Wolfgang Nötzold im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 01.07.2017
Wenn es gut läuft, sind sie unerlässliche Helfer: Sie gießen die Blumen, nehmen Pakete an und passen auf die Kinder auf. Nachbarn können aber auch nerven und einem das Leben ganz schön schwer machen. Wie kann der Spagat aus Nähe und Distanz gelingen?
"Es gibt sehr feine Regeln, und wenn man sie übertritt, misslingt Nachbarschaft", sagt der Soziologe Armin Kuphal. "Nachbarn leben nah beieinander, aber sie sind gleichwohl separat. Und das Separate wird in vielen Sprichworten auch betont, wie zum Beispiel `Gute Nachbarn haben gute Grenzen´."
Wichtig sei, einen Schritt aufeinander zuzugehen, einen Kontakt anzubieten. Das passiere heutzutage viel zu selten. "Bei unserem Einzug haben wir Zettel in die Briefkästen verteilt: Wir sind die Neuen, wir kommen daher, mit Foto. Man hat zu einigen Nachbarn spontan und sofort ein gutes Verhältnis – und zu anderen nicht."
Aber das Angebot sei gemacht, die Anonymität durchbrochen.

Man muss sich kennenlernen

Armin Kuphal ist selbst in vielen sozialen Initiativen in Saarbrücken aktiv; für sein Engagement im Gemeinwesen hat er 2016 die Bürgermedaille der Stadt verliehen bekommen. Er bezieht Nachbarschaft auch auf das Zusammenleben mit Migranten und Flüchtlingen.
"Das Wohnen an einem gemeinsamen Ort bringt Menschen zunächst nur räumlich zusammen. Die Voraussetzung für die gegenseitige Anerkennung ist das Kennenlernen. Der `Trick´ der Gemeinwesenarbeit besteht darin, Menschen immer wieder eine Bühne zu bieten, auf der sie sich in ihrer jeweiligen Eigenart und ihren Stärken präsentieren können. Bei Veranstaltungen im Stadtteil, in der Stadtteilzeitung, wo sie mit Namen und Gesicht vorgestellt werden."

Ein innovatives Wohnprojekt aus Essen

"Unser großes Nachbarschaftsziel: Alt und Jung unterstützen sich gegenseitig", sagt Wolfgang Nötzold. Der ehemalige Lehrer lebt seit knapp sechs Jahren im "GenerationenKult-Haus", einem innovativen Wohnprojekt in der Essener Innenstadt. Dort leben und arbeiten Studenten, Jung-Manager und Senioren unter einem Dach.
Es gibt mehr als 30 Wohneinheiten: altengerechte Räume, aber auch WG-Zimmer, eine "CoWorking-Etage" mit Arbeitsplätzen für Freiberufler, große Gemeinschaftsflächen zum Kochen, einen Multimediaraum, Musikprobenräume – dazu eine Sauna und eine gemeinsame Dachterrasse. Das Projekt ist Teil des "Unperfekthauses", einem Kunst- und Kreativhaus in Essen.
"Es geht um die Gemeinschaft; man kümmert sich umeinander. Das älteste Ehepaar kauft für uns Obst, bringt das Altglas weg. Ich hatte einen üblen Virus auf meinem Computer und hatte binnen drei Stunden Hilfe aus unserer `CoWorking-Etage´ vom Jungvolk. Wir teilen Geräte, zum Beispiel in der Küche. Man ist nicht allein, man findet immer jemanden zum Schnacken, zum Sorgen teilen."

Wachsendes Maß an Individualisierung

Nötzold ist selbst in der Hausgemeinschaft aktiv und in dem Verein "Lokalfieber", der sich um Begegnungen im Stadtviertel bemüht.
"Weil wir ein wachsendes Maß an Individualisierung haben, im Alter wie bei den Jüngeren – in allen Generationen; um dem entgegenzuwirken. Es gehört zum Wohlfühlen dazu, wenn man über die Straße geht und man kann jemanden grüßen. Das ist ein Teil von zu Hause sein."
Tür an Tür – wie wichtig ist Nachbarschaft?

Darüber diskutiert Klaus Pokatzky heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit Armin Kuphal und Wolfgang Nötzold. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 2254 2254, per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de – sowie auf Facebook und Twitter.

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