Neue Veröffentlichtung zu Stuart Hall

Pop-Ikone mit Grips

Princess Margriet (R) of the Netherlands honores sociologist Stuart Hall during the ceremony of the Princess Margriet Award for Cultural Diversity, Tuesday 09 December 2008 in Brussels, Belgium. The award is a tribute to the work of Princess Margriet for the European Cultural Foundation (ECF) as old-president of the ECF. The price is for European artists and thinkers.
Stuart Hall bei einer Preisverleihung in den Niederlanden 2008 © dpa / Patrick van Katwijk
Von Simone Rosa Miller · 20.10.2015
Stuart Hall gilt als ­wichtigster Vertreter der britischen Cultural Studies. Auch die britische "New Left" hat der Marxist wie kaum ein zweiter geprägt. Ein neuer Sammelband soll den Hall'schen Einfluss darlegen und die Erinnerung an ihn wachhalten. Unsere Autorin war bei einer Release-Party in Berlin.
Wochentags in einer Berliner Kneipe, Begeisterung für Theorie:
"Mit Hall kriegt man sehr, sehr viele geile Ideen, die auch keine vorschnellen Lösungen sind."

Jannek Niggemann, Autor im kürzlich erschienen Sammelbändchen "Stuart Hall. Aktivismus, Pop und Politik" spricht zu einer gebannten Meute alternativer Mittdreißiger. Sie sind zum Book-Release gekommen.
"Es ist total wichtig zu wissen: Politik ist nicht nur, verbissen Interessen zu formulieren, sondern auch die Art und Weise, wie wir selbst sein wollen und wenn das humoristisch ist, dann gehört das mit da rein."

Nur wenigen Theoretikern gelingt es, für eine breitere Öffentlichkeit irgendwie sexy zu sein – Judith Butler und Slavoj Zizek gehören dazu. Und eben auch Stuart Hall. Schon ein Jahr nach seinem Tod ist er zum schillernden Klassiker aufgestiegen. Als "Pop-Ikone mit Grips" hat ihn Filmregisseur John Akomfrah einmal bezeichnet. Dabei nehmen die Veröffentlichungen zu Halls geistigem Vermächtnis gerade erst an Fahrt auf.
Hall hat den Kulturbegriff revolutioniert
Regal mit Beatles-CDs in London
Regal mit Beatles-CDs in London© picture alliance / dpa / Daniel Kalker
Nur warum? Film, Fernsehen, Fotografie, Musik und Kunst, Jugend- Alltags- und Subkulturen – der bescheiden auftretende Tausendsassa hat den Kulturbegriff revolutioniert.
"I always thought that culture was not an autonomous sphere of its own and that what cultural studies is trying to do is to understand the ensemble of relations between the economic, the political and the cultural, the ideological and the social."
Als Pionier eines weiten Kulturbegriffs hat er sich als einer der allerersten Akademiker intensiv mit Populärkultur beschäftigt – und ganz entgegen dem damaligen universitären Kanon und Habitus ihre Einfachheit nicht mit gesellschaftlicher Bedeutungslosigkeit verwechselt.
Im England der 60er-Jahre hat er so eine neue Disziplin mit aus der Taufe gehoben hat: die Kulturwissenschaften. Kultur wollte er nicht länger als in sich abgeschlossene Sphäre des Gesellschaft verstehen, sondern als fein verästeltes Netzwerk, das alle Bereiche der Gesellschaft durchzieht, sogar unsere Körper.
Bruch mit der damaligen Repräsentationstheorie
Ein Thema zieht sich dabei durch Halls Gedankenwelt wie ein roter Faden - die Frage nach Repräsentation.
"In the notion of representation is the idea of giving meaning, so the representation is the way in which meaning is somehow given to the things that are depicted through the images or whatever it is on screen, the words on a page stand for what we are talking about.”
Medien, ganz gleich welche, transportieren nicht die feststehende Bedeutung eines Gegenstands; Medien produzieren diese Bedeutung erst. Was heute "common sense" in der Kulturtheorie ist, war in den 70ern die damalige Repräsentationstheorie gewaltig gegen den Strich zu bürsten.
Halls Interesse für das Thema hat dabei auch eine biografische Dimension. 1932 im jamaikanischen Kingston geboren, kommt er mit 19 Jahren als Stipendiat nach Oxford. Bis zu seinem Lebensende bezeichnet er sich selbst als "Diaspora-Denker" und "bekannter Fremder". Der britische Umgang mit der eigenen Kolonialgeschichte und die Darstellung schwarzer Menschen im weißen England treiben ihn in seiner Arbeit um.
"To say that race is a discursive category recognizes that all the attempts to ground this concept scientifically to locate differences between the races on what one would call scientific, biological or genetic grounds have been largely shown to be untenable. We must therefore substitute a sociohistorical or cultural definition of race for the biological one.”
"Rasse"-Begiff als pseudowissenschaftlichen Unfug entlarvt
Autoschlange in Nairobi, Kenia, aufgenommen 2006
Schwarzer Passant überquert Straße in Nairobi, Kenia.© picture alliance / dpa / epa Stephen Morrison
Dafür, das Konzept der "biologischen Rasse" als pseudowissenschaftlichen Unfug herauszustellen, hat Hall in seiner akademischen Arbeit einen großen Beitrag geleistet. "Rasse" ist nach Stuart Hall eine sozial konstruierte, diskursive Kategorie.
"What trail through history is more literally marked by blood and violence, the horror of plantation’s servitude and the hanging tree? A signifier? A discourse? Yes, this is my argument."
Wie kein anderer prägt der Mitbegründer des Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) in Birmingham die Arbeit am schnell renommierten Institut. Anstatt für Ruhm und Ehre am CCCS entscheidet er sich 1979 aber für die Erwachsenenbildung an der Open University. Beinahe 20 weitere Jahre lang sollte er dort lehren, immer von der Motivation getragen, Menschen ohne akademische Ausbildung zu erreichen.
Gelungen ist ihm noch mehr: In den 90er-Jahren veröffentlicht der Argument-Verlag Sammelbände mit deutschen Übersetzungen. Im Handumdrehen wird Hall zu einem der wichtigsten Theoretiker im links-intellektuellen Spektrum Deutschlands.
Hall selbst hat sein Werk als "eingreifendes Denken" beschrieben – und genau das kann man auch heute noch von ihm lernen. Die Widersprüchlichkeiten zwischen den vielfältigen Lebensweisen in unserer Gesellschaft als Ansporn zu nehmen, die, Zitat Hall, "Dunkelheit des Offensichtlichen zu erhellen". Denn kulturell gesehen, befänden wir uns in einer Zeit permanenter Revolution.
"How can people live without some sense that there is an ultimate truth, an ultimate scale of values? I don’t know but I don’t any longer think that this is just a transitional phase and that we’re moving on to some other more settled period. I think culturally we’re in the kind of phase of permanent revolution.”
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