Neue Medikamente

Hoffnung für Tuberkulose-Kranke

08:46 Minuten
Eine Computerillustration zeigt den Tuberkulose-Erreger und das davon betroffene Lungengewebe.
Eine befallene Lunge: Etwa 400.000 Menschen leiden an einer resistenten Variante des Tuberkulose-Erregers. © imago / Science Photo Library
Von Volkart Wildermuth · 26.03.2020
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Fast anderthalb Millionen Menschen sterben jährlich an Tuberkulose. An sich ist die Krankheit behandelbar, doch bilden sich resistente Varianten. Belarus ist besonders betroffen. Neue Behandlungswege stehen bereit - bleibt die Finanzierungsfrage.
Die Atemmaske aufzusetzen ist gar nicht so einfach. Gummibänder über den Kopf, dann den Metallbügel fest an die Nase drücken. Kräftig ausatmen. Wenn die Brille noch beschlägt, nachjustieren. Dann geht es durch eine Schleuse. Infektionsschutz hat im Republikanisch wissenschaftliche Forschungs- und Behandlungszentrum für Lungenheilkunde und Tuberkulose in der belarussischen Hauptstadt Minsk höchste Priorität.

Die neuen Mittel wirken langsam

Im Behandlungszimmer nebenan wird der ehemalige Fliesenleger Vadim untersucht: Der 37-jährige leidet an der extrem resistenten Tuberkulose, der sogenannten XDR-Tuberkulose. Seine einzige Hoffnung auf Heilung liegt in den neuen Medikamenten Delamanid und Bedaquiline:
"Ich wurde behandelt, aber mit was, das weiß ich nicht mehr, ist zu lange her. 2003 war das. Aber es hat nicht geholfen. Ich bekam Schmerzen in den Beinen, meine Augen wurden immer schlechter. Dank 'Ärzte ohne Grenzen' bin ich jetzt hier. Die Namen der Medikamente kenne ich nicht. Aber es sind die neuesten und die einzigen, die mir helfen können.
Auf dem Flur reiht sich Vadim ein, in die lange Schlange der Patienten. Einer nach dem anderen tritt zu einem mit Medikamentenschachteln überhäuften Tisch. Dort sitzt eine Krankenschwester, die nachdem sie die Patientenakten geprüft hat, Pillen in einen Plastikbecher gibt. Viele Pillen. Alle müssen geschluckt werden. Denn die kleinste Behandlungslücke führt zu einer Resistenz – einer Wirkungslosigkeit der Mittel.
Ihm gehe es nun "viel besser", sagt er. "Die ständigen Verdauungsschmerzen sind fast weg, ich fühle eine echte Veränderung."
Das bestätigt auch sein Arzt. Die neuen Medikamente helfen auch gegen Vadims multiresistente Tuberkulose-Bazillen. Aber sie wirken langsam. Der 37-Jährige wird diese Pillen über zwei Jahre konsequent einnehmen müssen. Das bedeutet weitere lange Monate in dem kahlen Zimmer des Krankenhauses mit seinen vier Metallbetten.

Auch Psychotherapie verspricht Linderung

Im Umkleideraum zurrt gerade eine junge Frau ihre eigene Maske fest. Die Psychologin Lana Kulikova ist Patientenberaterin bei "Ärzte ohne Grenzen" in Minsk. Jeden Tag kommt sie in die Tuberkuloseklinik. Für viele der Kranken ist sie der einzige Kontakt nach draußen:
"Ich habe mit ihm über das Wetter gesprochen, über neue Filme und natürlich über seine TB. Und irgendwann hat er sich verändert. Er freute sich auf mich, hat mir durch das Fenster zugewinkt und dann war er bereit für eine Psychotherapie. Das hat mich gefreut, denn das ist in unserer Kultur noch ziemlich ungewöhnlich."
In der Psychotherapie geht um Krisenbewältigung, Alkoholmissbrauch, Stressreduktion. Oft ermuntert Lana Kulikova ihre Patienten zu Pinsel oder Stift zu greifen. Ein Mann hat ein Bild seiner Familie gemalt:
"Anfangs war er traurig, sagte: 'Ich vermisse meine Familie so sehr'. Aber als er malte und dabei seine Gefühle beschrieb, lächelte er. 'Das Bild hat mich an meine wunderschöne Frau erinnert. Es soll mich daran erinnern, warum ich meine TB behandle. Ich will gesund werden und in mein altes Leben zurück.'"
Wirksame Tabletten allein reichen aber nicht aus, um die Tuberkulose zu heilen. Ohne die psychologische Unterstützung von Lana Kulikova wäre es für die Patienten sehr schwer, die zwei Jahre lange Behandlungszeit durchzustehen. Einige brechen die Therapie gegen ihre multiresistente Tuberkulose auch ab. Was dann wiederum zu einer weiteren Verbreitung der Resistenzen in Belarus führt.

Neue Studie bietet Anlass zur Hoffnung

Deshalb erprobt "Ärzte ohne Grenzen" jetzt auch neue Behandlungsansätze. Animesh Sinah leitet die TB Practecal Studie hier in Minsk. Mit den neuen Medikamenten, einem ausgeklügelten Therapieschema und einer umfassenden psychologischen Unterstützung, hofft der indische Arzt, auch die multiresistente Tuberkulose in nur sechs Monaten heilen zu können:
"Unter unseren ersten Patienten ist ein junges Paar. Sie wollen eine Familie gründen, wollen ihr Leben nicht einfach zwei Jahre anhalten. Sie nehmen an der Studie teil, damit sie die Tuberkulose-Behandlung schnell hinter sich haben und wieder ein normales Leben führen können."
Die Behandlung sei erfolgreich gewesen, sagt Animseh Sinah. "Ihre Behandlung wurde erfolgreich abgeschlossen, sie sind in der Nachbeobachtung und es geht ihnen gut. Ich bin optimistisch."
Die TB-Practecal-Studie läuft nicht nur in Belarus, sondern auch in Südafrika und Usbekistan. Erste Ergebnisse sollen schon bald vorliegen. Sind sie positiv, könnte das die Behandlung der multiresistenten Tuberkulose deutlich erleichtern. Das zumindest hoffen alle.

Es fehlen finanzielle Strukturen

Aber es gibt auch Hürden. Die neuen Medikamente sind teuer. Zu teuer für Belarus. Im Moment hilft hier noch der Global Fund. Aber der zieht sich aus Ländern mit größerer Wirtschaftskraft langsam zurück, erklärt Matthew MacGregor. Er ist beim Global Fund zuständig für Finanzierungsfragen.
"Um so viel wie möglich zu erreichen, konzentrieren wir unsere Investitionen auf die Orte mit der höchsten Krankheitslast und den wenigsten Ressourcen. Je mehr Länder wirtschaftlich wachsen, desto mehr sollten sie auch den nationalen Kampf gegen Krankheiten übernehmen, ihre Ausgaben erhöhen und langsam eine allgemeine Gesundheitsabsicherung etablieren."
"Das sollte man auch fordern", erklärt auch Sebastian Dietrich von "Ärzte ohne Grenzen". "Aber das entspricht nicht der Realität. Und die Gefahr ist jetzt, bei einem schnellen Rückzug, dass vieles zusammenbricht, plötzlich keine Medikamente mehr da sind."
Und dann entstehen wieder neue Resistenzen, befürchtet Sebastian Dietrich. Belarus ist zwar bereit, Geld zu investieren. Doch noch fehlen Strukturen, schnell und effektiv Medikamente einzukaufen und zu verteilen. Das Land ist nach wie vor auf den Global Fund angewiesen.

Tabletteneinnahme vor der Video-App

Eine, die von der internationalen Unterstützung profitiert, ist Natascha.
"'Ärzte ohne Grenzen' haben mich gerettet. Ich habe Bedaquiline und Delamanid bekommen. Vorher verlor ich Gewicht, war sehr mager, litt unter Stimmungsschwankungen. Dank der neuen Medikamente fühle ich mich besser, vielleicht etwas kurzatmig, aber ich nehme wieder zu. Nach sechs Monaten wurde ich entlassen und ging jeden Tag in die Klinik, um die Medikamente zu bekommen. Aber ich habe ein Kind, meine Arbeit. 'Ärzte ohne Grenzen' haben mir geholfen, in das Programm für Video-überwachte-Tabletteneinnahme zu kommen. Zu Hause filme ich mich mit dem Smartphone, sage 'Hallo', schlucke die Tabletten und schick das Video in die Klinik. Bisher gab es keine Probleme. Ich nehme die Tabletten jeden Tag. Ich will gesund werden, glücklich, mein Kind aufwachsen sehen.

Der Kampf gegen Tuberkulose geht weiter

Dass wollen auch die anderen der weltweit 400.000 Patienten, die unter einer resistenten Tuberkulose leiden. Die neuen Medikamente und neue Strategien versprechen ihnen endlich Hoffnung. Aber nur, wenn es der Welt gelingt, auch das Geld für den Kampf gegen die tödlichste Infektionskrankheit bereitzustellen.
Erst dann werden sich die Türen der Infektionsstation in Minsk wie auch überall in der Welt für geheilte Tuberkulosepatienten öffnen können.
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