Neue Krankheiten auf der WHO-Liste

Ein Spiegel gesellschaftlicher Veränderungen

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Ein kleiner Junge spielt Fortnite am Computer.
Video- und Online-Spielsucht wird ab sofort von der WHO als Krankheit geführt. Besonders Kinder- und Jugendliche sind davon betroffen. © imago/Ritzau Scanpix
Alena Buyx im Gespräch mit Nicole Dittmer · 20.05.2019
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Auch Online-Spielsucht und Sexsucht werden von der Weltgesundheitsorganisation nun als Krankheiten eingestuft. Die Überarbeitung der Liste sei längst überfällig, meint die Medizinerin Alena Buyx. Denn sie dokumentiere auch gesellschaftliche Entwicklungen.
Erstmals seit fast 30 Jahren wird der weltweit gültige Katalog der Gesundheitsstörungen grundlegend überarbeitet. Künftig sollen unter anderem auch zwanghaftes Sexualverhalten und Video- oder Online-Spielsucht auf die Liste der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Andere, wie etwa Transsexualität, sind dagegen von der Liste gestrichen worden.
Wenn also der Haus- oder Facharzt in der Patientenakte oder auf einem anderen Dokument die Codes "6C51" und "6C72" vermerkt, ist der Betroffene unter Umständen ein krankhafter Zocker oder sexsüchtig. Damit können präzisere Statistiken erstellt und Gesundheitstrends besser dokumentiert werden.
Der Katalog soll bei der derzeit in Genf stattfindenden 72. Jahresversammlung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) formal beschlossen werden. Aufgelistet werden rund 55.000 Krankheiten, Symptome und Verletzungsursachen.

Krankheit ist mehr als nur Naturwissenschaft

Nach Meinung der Medizinerin Alena Buyx, Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der TU München, ist die Überarbeitung längst überfällig, denn zum Zeitpunkt der letzten Aktualisierung seien Phänomene wie etwa die Video- und Online-Spielsucht noch unbekannt gewesen. Krankheitszuschreibung sei nicht nur eine naturwissenschaftliche Angelegenheit, sondern – "seit der Zeit des Hippokrates" – immer auch eine soziale.
"Natürlich ist es so, dass so ein Klassifikationssystem in der Hinsicht einen normierenden Charakter hat. Und wenn dieses Klassifikationssystem sagt, Homosexualität ist eine Krankheit, dann sagt das etwas aus über das Denken in der Gesellschaft. Und wenn das nicht mehr der Fall ist, sagt das ja auch etwas über die Entwicklung in einer Gesellschaft aus."

Negative Effekte auf Lebensqualität

Somit spiegele die WHO-Liste auch Veränderungen in der Gesellschaft wider. Buyx sagte weiter: Sie könne jedoch nachvollziehen, warum die Aufnahme von Video- und Online-Spielsucht durchaus auch umstritten war. "Es ist bei psychischen Erkrankungen so, dass man durchaus Sorge hat, dass eine solche Setzung als Krankheit normale Phänomene über Gebühr medikalisiert." Allerdings sei durch viele Beobachtungen und Untersuchungen inzwischen nachgewiesen, dass es bei extremer Spielsucht starke negative Effekte auf die Lebensqualität gebe.
(mkn)
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