Neue Erkenntnisse über Sowjet-Terror

Jörg Baberowski im Gespräch mit Frank Meyer · 29.02.2012
Eine Studie des Berliner Historikers Jörg Baberowski zeigt, dass die systematische Ermordung sowjetischer Regimegegner seit den 30er Jahren unauflöslich mit der Person Josef Stalins verbunden war. Ohne ihn hätten die Verbrechen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht stattgefunden.
Das stalinistische System in der Sowjetunion hat Millionen Opfer gefordert: Erschossene, Verhungerte, im Gulag Gestorbene, bei sinnlosen Einsätzen an der Front Gefallene. War die kommunistische Ideologie schuld an diesen Millionen Toten, oder waren sie die Opfer einer Modernisierungsdiktatur, oder, dritte Möglichkeit, trägt der Diktator Stalin selbst die Hauptverantwortung für diese Millionen Toten?

Der Berliner Historiker Jörg Baberowski nimmt mit seinem neuen Buch "Verbrannte Erde – Stalins Herrschaft der Gewalt" zu dieser Frage eine neue Position ein. Der Experte für Osteuropa-Wissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin kommt zu dem Schluss, dass die Verbrechen ohne die krankhafte Persönlichkeit Stalins nicht möglich gewesen wären.

"Vor einigen Jahren war ich noch der Überzeugung, dass die großen Terrorexzesse des 20. Jahrhunderts aus den Ideen der Ordnung gekommen waren, und ich war beeinflusst und begeistert von den Ideen von Zygmunt Bauman, der behauptet hatte, dass die Mordexzesse der Nazis und der Stalinisten aus dem Bedürfnis kamen, die Welt zu homogenisieren, zu ordnen und die Wildnis in blühende und geordnete Landschaften zu verwandeln. Das alles schien mir später irgendwie als Unsinn, als ich zu der Überzeugung gekommen bin, dass Ideen eigentlich nicht töten können, dass Ideen überhaupt nicht erklären, warum Menschen die Schwelle überschreiten. Und das war es, was mich irgendwann interessierte, als ich mich durch Tausende Seiten von Akten durchgefressen habe und zu der Erkenntnis kam, dass diese Ideen keine Rolle dabei spielten, Menschen zu töten."

Zwar hätte auch die kommunistische Ideologie eine Rolle gespielt, doch eher bei der späteren Rechtfertigung der Verbrechen. Hauptsächlich sei es Stalin gewesen, der die Verantwortung für die millionenfachen Morde übernehmen müsse:

"Zunächst muss man vielleicht mal sagen, dass Ideen von modernen Gesellschaften und Ordnung auch andere im Kopf hatten, ohne dass es ihnen in den Sinn gekommen wäre, Millionen zu töten. Und deshalb, glaube ich, muss man sich einfach den kulturellen Ermöglichungskontexten und den Gewalträumen zuwenden, in denen so eine Gewalt überhaupt sich entfalten konnte. Und Stalin, um es vielleicht kurz zu sagen, Stalin war ein psychopathischer Gewalttäter, ein passionierter Gewalttäter, der in einem Kontext die Möglichkeit erhielt, Gewalt auszuüben, die andere Personen unter anderen Umständen nicht hätten wahrnehmen können."


Die vollständige Fassung des Interviews finden Sie in unserer Sendung "Radiofeuilleton"
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