Neue Alben

Zwischen Pop-Pathos und HipHop-Liebe

Andy Bell von Erasure steht mit ausgebreiteten Armen und einem glitzernden Hut auf der Bühne.
Andy Bell von Erasure bei einem Konzert in Austin, Texas. © imago/ZUMA Press
Von Carsten Rochow · 19.05.2017
Erasure sind eines der erfolgreichsten Pop-Duos, aber keins der innovativsten. Ihr neues Album "World Be Gone" klingt zwar organisch, aber hat viele Probleme. Spannender und experimenteller sind die neuen Alben von Nick Hakim und den She-Devils.

Erasure: "World Be Gone"

Vince Clark hab ich zuletzt in der wunderbaren Synthesizer-Doku "I Dream Of Wires" von 2014 gesehen. Darin führt der englische Musiker durch seine beachtliche Sammlung hauptsächlich analoger Klangmaschinen. Davon können Sie auch einiges auf dem neuen Album "World Be Gone" von seiner Band Erasure zu hören. Das ist das Gute daran.
Ärgerlich ist nur, dass sich die Musik zu oft vor der ermüdend pathetischen Stimme Andy Bells wegducken muss. Und das ist nicht das einzige Problem mit dem 17. Studioalbum von Erasure. Es hat zwar insgesamt einen organischen und deutlich weniger Dance-lastigen Sound als die letzte Platte, doch zu oft beschwören Melodien, Texte und Arrangements Vergleiche mit Pop-Schlager-Produktionen herauf.
Nach 30 Jahren im Geschäft gelten Erasure als eines der beständigsten und erfolgreichsten Pop-Duos, aber ganz sicher nicht mehr, als eines der innovativsten.

Nick Hakim: "Green Twins"

Dann müssen eben die jungen Wilden mit ihren innovativen Ideen ran. Wie der 26-jährige Nick Hakim aus Brooklyn. Auf dem Debütalbum "Green Twins" schüttelt er das Kaleidoskop des Soul und erhält fesselnde, düster-bunte Stimmungen. Sie wirken intensiv und entschleunigend gleichzeitig.
Der Titeltrack "Green Twins" etwa handelt von einem seltsamen, wiederkehrenden Traum, den der Musiker hatte. Er wurde von grünen Zwillingen verfolgt, bis ein Auto sie überfuhr und nur noch grüner, geleeartiger Matsch übrig blieb. Surreal wie dieser Traum klingt auch Nick Hakims Neo-Soul. Vernebelt, verschwommen, irgendwie fremd, aber extrem anziehend. Jeder Song erschleicht sich auf eigene Weise unsere Aufmerksamkeit. Mal mit Harmoniegesang, mal mit einem unfassbar lässigen Groove, mal lässt uns ein hysterisch verspieltes Saxophon-Solo oder eine Textpassage aufhorchen.

Nick Hakim denkt Soul, trägt Hiphop im Herzen und experimentiert aus dem Bauch heraus. Experiment gelungen. Kritiker staunt.

She-Devils: "She-Devils"

Musik mit einer stark visuellen Komponente lässt sich schwierig im Radio vermitteln. She-Devils bilden da eine seltene Ausnahme. Die Musik des Duos aus Montréal setzt sofort knallig bunte Farben im Kopf frei.
Tatsächlich sind Audrey Ann Boucher und Kyle Jukka von She-Devils stark von der Ästhetik Warholes, Tarantinos und der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama beeinflusst. Ähnlich bunte Elemente finden sich in ihren Songs wieder. Iggy Pops ungezügelter Punk, Madonnas Verspieltheit und der lolitahafte Charme der jungen Brigitte Bardot. Die auf Loops basierenden Songs schweben auf subtilen Gitarrenfeedbacks und verhallten Klangflächen. She-Devils rütteln auf dem gleichnamigen Debüt an der Zeitschiene des Pops.
Die Leichtigkeit mit der She-Devils zu Werke gehen, wirkt fast unverschämt. Im Universum des Duos lacht die Welt – und zwar dann, wenn wir es auch tun. Schön, dass es mal jemand sagt.
Mehr zum Thema