Neue Alben

Harte Realität künstlerisch angefasst

Die Band "The Rifles" spielt beim Konzert-Festival "Sally Sounds 2008" im Postbahnhof, Berlin.
Die Band "The Rifles" 2008 im Postbahnhof in Berlin © picture-alliance/ Andreas Lander
Von Jutta Petermann · 19.08.2016
Aus-dem-Bauch-heraus-IndiePop liefern The Rifles auf ihrem Doppelalbum "Big Life". Aus England erwartet uns hingegen ein musikalisches Meisterstück von Blood Orange. Ihr Album "Freetown Sound" vereint Realität und einen Klang, der garantiert die Herzen öffnet.

Blood Orange - Freetown Sound

Botschaft schlägt Struktur. Freetown Sound von Dev Hyne alias Blood Orange ist anders. Trotz seiner Geschmeidigkeit herausfordernd. Der britische Musiker und Produzent würfelt auf seinem neuen Album sehr frei die üblichen Songzutaten wie Strophen, Bridges und Refrains durcheinander. Er setzt Gesang, Sprechgesang, diffuse Stimmen und Geräusche gegen ätherische Chöre, Saxophonsoli oder frei flottierende, hübsche Klanggebilde.
Atemberaubend und gleichzeitig berührend wie hier harte Realität künstlerisch angefasst wird und zu etwas zauberhaftem wird, das den Bezug zur Wirklichkeit nie verliert. Die Ausgrenzung und das gewaltsame Sterben Schwarzer, Feminismus und Geschlechterdiversität verhandelt Hynes konsequent undogmatisch. Gegen Unterdrückung muss man nicht zwangsweise aggressiv musizieren, Feminismus kann verletzlich klingen und Queerness ist nicht automatisch schräg. Blood Orange ist mit "Freetown Sound" ein Meisterstück musikalischer Subversivität gelungen - wach, klug, mutig, kreativ und ich kann es mir nicht anders vorstellen: garantiert die Herzen öffnend.

The Rifles - Big Life

Ganz und gar im Erwartbaren geblieben sind die Rifles. Dass das nichts Schlechtes zur Folge haben muss, führen sie uns mit ihrem üppigen 18 Tracks Doppelalbum "Big Life" vor. Ich höre ihrem aus dem Bauch heraus gespielten, gitarrenlastigen Indiepop gerne zu, wie sie mir ihr thirtysomething Lebensgefühl entgegenpusten. Mod- und Rock'n'Roll-Reminiszenzen lassen nämlich auch ältere Semester noch seelig mitschunkeln. Aber das herzhafte Urteil "All Killer - no Filler" muss ich beim Anhören der zweiten Scheibe wieder runterschlucken. Nein, das Doppelalbum hätte nicht sein müssen. The Rifles sind zu selbstverliebt in das eigene Songwriting, wirklich andere Songideen kommen da aber gar nicht mehr, ein paar mittelmäßige Gitarrenriffs, die die letzten Songs prägen. Die so offenbarten Schwächen ziehen die ersten, stärkeren Songs mit runter. Weniger wäre mehr gewesen.

Messer - Jalousie

Die Münsteraner Band Messer wartet wieder mit unheimlicher Kellermusik auf. Mit dem obskuren Teil der 80er Jahre Sounds - die wavige, postpunkige Seite dieser musikalisch so nachhaltigen Dekade. Das dritte Album trägt den prosaischen Titel "Jalousie" und die ist auf dem Cover nur halb geöffnet. Klar, dass durch diese Musik nicht das pralle Sonnenlicht durchschimmert. Sperrig und artifiziell mutet das alles erstmal an. Ich tu mich schwer. Vor allem mit den lyrisch anspruchsvoll-bedeutungsschwangeren Texte, so kehlig und schnörkellos vorgetragen von Sänger Hendrick Otremba. Doch nach einer Weile entfalten diese stark rhythmus- und perkussionsgetriebenen Wave- und Post Punk-Deklamationen einen Sog, es offenbaren sich faszinierend-fiebrige Atmosphären und überraschend eingängige Melodien. Das alles verliert die ursprüngliche Obskurität und Kälte. Die wunderbar verhallten Gitarren geben dem Ganzen noch eine verzweifelt-sehnsuchtsvolle Note, an die sicher nicht nur ich emotional andocken kann. Die Wucht und Dringlichkeit dieser untergegangenen Ära bringen Messer großartig auf den Punkt - und erlauben sich dabei deren Theatralik aufs Korn zu nehmen.
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