Neu im Kino: "Zeit für Stille"

Warum Ruhe für den Menschen lebenswichtig ist

Szene aus dem Dokumentarfilm "Zeit für Stille" von Patrick Shen.
Leise und laute Geräusche kontrastiert der Film "Zeit für Stille". © mindjazz pictures
Von Christian Berndt · 29.11.2017
In dem Dokumentarfilm "Zeit für Stille" nimmt der amerikanische Regisseur Patrick Shen die Zuschauer mit zu einer japanischen Teezeremonie und führt sie aber auch an Stätten ohrenbetäubenden Lärms. Mit seinem Film will er das Bewusstsein für die Ruhe schärfen.
Der alltägliche Lärm um uns herum - wir sind ihn gewöhnt. Dabei, so erfahren wir im Dokumentarfilm "Zeit für Stille", sind wir für Lärm eigentlich gar nicht geschaffen. Denn der Mensch kommt ursprünglich aus der Savanne und dort sei Stille überlebenswichtig gewesen. Genetisch, so ein japanischer Wissenschaftler, sind wir immer noch auf Stille programmiert.
Daher rührt vielleicht die Faszination, die Orte der Stille auf Menschen ausüben - ob katholische Klöster oder japanische Teehäuser. Die japanische Teezeremonie wurde in einer Zeit perfektioniert, als Samurai-Kriege das Land zerrütteten, sie war harmonische Rückzugsstätte mitten im Chaos. Anschaulich führt der Film das weihevolle Ritual in einem traditionellen Teehaus in Kyoto vor. Es sind stimmungsvolle Szenen wie diese, von denen Besucher der Deutschlandpremiere in Berlin angetan sind:
"Ich finde auch, dass man während des Films sehr zur Ruhe gekommen ist, dass man sich sehr auf sich selbst besinnt. Sehr beeindruckend fand ich die Teezeremonie, da habe ich den inneren Wunsch verspürt, auch daran teilzunehmen und sowas vielleicht mal aufzusuchen, das fand ich wirklich toll."
Neben Stille-Oasen hat der amerikanische Regisseur Patrick Shen auch Orte extremen Krachs aufgesucht: Ein Volksfest in Mumbai, der Messungen zufolge lautesten Stadt auf dem Globus, oder in Seattle das lauteste Stadion der Welt. Menschen schätzen Stille, aber es zieht sie auch an Stätten ohrenbetäubenden Lärms. "Zeit für Stille" will eindringlich das Bewusstsein für den Wert der Stille schärfen - wobei der Begriff Stille relativ ist.

John Cage machte ein Stück aus Stille

Stille existiert nicht, meinte der Komponist John Cage. 1952 wurde sein Stück 4'33 uraufgeführt, das aus viereinhalb Minuten Stille besteht. Während der Pianist bewegungslos vor dem Flügel saß, sahen sich die Zuhörer mit dem Lärm vermeintlicher Stille konfrontiert - Husten, Getuschel, Rascheln. Das Publikum reagierte wutentbrannt. Auch bei der Premiere von "Zeit für Stille" in Berlin kam 4'33 zur Aufführung.
Im Film spielt das Stück eine zentrale Rolle, weil es den Zuhörer radikal auf sich selbst zurückwirft. Für diese Kraft der Stille will der Film das Bewusstsein schärfen. Aber es geht auch um konkrete wirtschaftliche Maßnahmen. Koproduzentin Poppy Szkiler ist Gründerin einer Firma, die in Zusammenarbeit mit der britischen Gesellschaft zur Lärmminderung Unternehmen auszeichnet, die sich um geräuschärmere Produkte bemühen.

Designer sollen leisere Technologien entwickeln

Lärmbelastung verletzt Menschen, so Szkiler, die nächste Generation von Designern solle motiviert werden, leisere Technologien zu entwickeln. Unpassend allerdings, dass im Film die Namen von prämierten Fluglinien und Automarken genannt werden. "Zeit für Stille" erklärt Wissenswertes über die gesundheitlichen Gefahren von Lärm, setzt mit suggestiven Bildern malerischer Landschaften aber auch stark auf emotionale Überwältigung. Interessant wäre gewesen, auch mal zu überlegen, warum wir uns so gerne dem Lärm, zum Beispiel auf Konzerten, aussetzen. Und wenn vom Wert der Stille für religiöse Erbauung die Rede ist, könnte man ins Grübeln kommen, ob der Rückzug ins stille Kämmerlein tatsächlich nur segensreiche Ideen hervorbringt. Es ist ein Film, der mit seiner enthusiastischen Stille-Beschwörung vor allem diejenigen erreichen wird, die sowieso schon vom Konzept der Stille überzeugt sind. Bei der Premiere in Berlin kam der Film jedenfalls an:
"Ich fand ihn sehr inspirierend, für mich persönlich. Dass man mehr auch sich, also seine eigene Stille findet und sich selbst. Gerade, wenn man in Berlin lebt, wo ständig Lärm um einen herum ist, ist das sehr wichtig. - Eigentlich würde ich den Film am liebsten mal meinen Nachbarn zeigen, oben und unten, weil da ein dauerhafter Lärm passiert, der einen – ich kann das wirklich nachvollziehen - krank macht auf Dauer. Ich persönlich bin ziemlich leise, was man von anderen nicht behaupten kann."
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