Neu im Kino: "Alien: Covenant"

Schleimwesen mit Zähnen und männliche Gebärangst

Szenenbild aus "Alien: Covenant" von Ridley Scott
Szenenbild aus "Alien: Covenant" von Ridley Scott © © 2017 Twentieth Century Fox
Von Anna Wollner · 18.05.2017
"Covenant" ist der neueste Teil der Alien-Reihe, diesmal wieder in der Regie von Ridley Scott. Mit der Heldin Sigourney Weaver als Ripley machte dieser im Jahr 1979 das Actionkino um eine starke Frauenfigur reicher. Eine feministische Lesart der Sage geht aber viel weiter.
Schon die Eröffnungssequenz von "Alien – Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt" ähnelt einem Geburtsmoment. Die Kamera fährt langsam die dunklen Gänge des Raumschiffs Nostromo ab, sucht sich ihren Weg bis zu einer weißen Tür, die vaginaähnlich ihre Schleusen öffnet und einen Blick auf sechs Waben freigibt. Vier Männer und zwei Frauen liegen fast nackt Seite an Seite. Die Waben öffnen sich, die Menschen erwachen aus ihrem Schlaf, sind voll entwickelt und sofort einsatzbereit. Der Moment der Geburt ist klinisch, unblutig. Nahezu perfekt.
Ridley Scott präsentiert eine Mikrogesellschaft in der Geschlecht vorerst keine Rolle spielt. Dabei funktioniert Alien nach dem Haunted-House-Prinzip – nur das der Schrecken nicht in einem Spukhaus, sondern in einem Raumschiff stattfindet. Der Befall durch den Alienvirus kommt dabei einer männlichen Vergewaltigung gleich, die wieder in einer Geburt kulminiert: dem Ausbruch des Aliens aus dem Oberkörper seines männlichen Opfers. Bei einer Exkursion wird Kane, gespielt von John Hurt, von einem Alien attackiert, einem Facehugger.
"Moment mal, da bewegt sich was. Es scheint Leben zu besitzen. Organisches Leben."

Festbeißen als symbolische Kastration

Ein glitschiges, oktopusähnliches Viech hat sich in seinem Gesicht festgebissen. Es sieht aus wie eine weibliche Vagina mit Zähnen:
"Wie kriegen wir das wieder ab? Moment, das haben wir gleich. Ich werde versuchen erstmal einen Einschnitt vorzunehmen. Vielleicht gelingt es mir einen der Greifarme von seinem Hals zu entfernen. Was haben sie vor? Die Greifarme. Ich werde versuchen ihn zu entfernen. Nein das geht nicht, das drückt ihm die Luftröhre zu."
Der Moment des Festbeißens ist eine symbolische Kastration. Der Penis ist nicht mehr das Machtsymbol des Mannes. Die Fortpflanzungsverpflichtung ist nicht mehr geschlechtergetrennt, die Frau ist auf den Mann nicht mehr angewiesen. Denn wenig später, Kane scheint sich eigentlich erholt zu haben, bricht er erneut zusammen, windet sich, sein Brustkorb platzt auf und ein Alien kriecht aus ihm heraus.
"Oh Gott. Rühren sie es nicht an. Nicht anrühren."
Das Alien in Form eines Phallus sucht sich seinen Weg durch die entsetzte Crew und verschwindet. Die Bedrohung durch die Außerirdischen ist real geworden. Der Mann allerdings ist nur in der Lage, Tod und Gefahr zu gebären.
Ridley Scott bei den Dreharbeiten zu "Alien: Covenant" (2017)
Ridley Scott bei den Dreharbeiten zu "Alien: Covenant"© imago stock&people

Eine starke, handelnde Frau als Heldin

Dieses Szenario ist dabei nur der Auftakt für alles, was noch kommt und das nur von einem Helden bestanden werden kann. Einer Heldin wohlgemerkt, denn mit Ripley als Hauptfigur etabliert Scott einen neuen Typ Frau im Actionfilm. Eine starke Frau, die nicht nur schmückendes Beiwerk oder Love-Interest für den männlichen Helden ist, sondern Handelnde und einzige Überlebende. Die Männer sind diejenigen, die die Fehlentscheidungen treffen. Von Anfang an.
"Öffnen Sie die Luke. Moment, bitte, wenn wir ihn reinlassen, wird möglicherweise das ganze Schiff verseucht, sie kennen die Quarantänebestimmungen. 24 Stunden Vorschrift. Bis dahin ist er vielleicht tot, machen sie die Luke auf."

Vom großen Erfolg überrascht

Für Ridley Scott, das sagt er heute, war die Besetzung damals eine Zufallsentscheidung:
"Ich habe nie bewusst darüber nachgedacht. Jemand hat es vorgeschlagen und mein erster Gedanke war: Warum eigentlich nicht. Die Tragweite war mir vor und während der Dreharbeiten überhaupt nicht bewusst. Erst als der Film in die Kinos kam, habe ich verstanden, was wir hier etabliert haben. Selbst Sigourney Weaver war von dem immensen Erfolg überrascht. Dabei war sie perfekt für die Rolle: stark und tough. Erst beim Filmstart fiel uns auf, wie ungewöhnlich es war, eine weibliche Heldin zu haben."

Sigourney Weavers würdige Nachfolgerinnen

Ripley entwickelt sich über die drei Alienfilme von der jungen Schönheit zur Mutter und Königin, die ihr Reich beschützen will – und hat nach Noomi Rapace in Prometheus mit Katherine Waterston in "Alien: Covenant" ihre würdige Nachfolgerin gefunden – die erneut vor dem gleichen moralischen Dilemma steht wie einst Ripley:
"Lass mich raus. Darf ich nicht. Los mach auf."
Auch im sechsten Alienfilm gibt es Facehugger und Chestburster – diesmal digital und so blutig wie noch nie zuvor. In einem intimen Moment zwischen zwei Crewmitgliedern unter der Dusche nähert sich ein Alien von hinten und penetriert sein weibliches Opfer. Wieder spielt Scott mit der Kastrationsangst des Mannes – die mit dem sicheren Tod endet. Denn auch bei "Alien Covenant" ist das Motto: "Last Woman Standing".
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