Netz-Plattformen stärken die Demokratie

Martin Emmer im Gespräch mit Katrin Heise · 13.02.2013
Dank der digitalen Medien ist es für den einzelnen Bürger nicht mehr nötig, sich einer Organisation anzuschließen, um politisch aktiv zu werden, sagt der Publizistikwissenschaftler Martin Emmer. Jeder könne im Netz "durchaus auch selbst aktiv werden".
Katrin Heise: Und damit kommen wir zu dem, was uns die ganze Zeit hier, beispielsweise in den Medien, und nicht nur dort bewegt hat: Ex-Bildungsministerin Schavan ist kaum zurückgetreten, da kündigen Plagiatsjäger sogleich an, auch die Doktorarbeit ihrer Nachfolgerin, Johanna Wanka, überprüfen zu wollen.

Auch die neue Netzplattform Lobbyplag macht gerade Schlagzeilen. Sie will EU-Gesetzestexte daraufhin überprüfen, ob sich nicht ganze Textpassagen von Lobbyisten darin wiederfinden.

Der politische Einfluss dieser Netzgemeinde nimmt stetig zu. Netzportale mit einer bestimmten Zielsetzung animieren ja immer mehr Menschen, sich tatsächlich auch sehr schnell zu engagieren, weil sie sich dort eben dann wiederfinden in ihrer Meinung oder in ihrer Ablehnung.

Wie verändert dieses Engagement unsere Demokratie? Das möchte ich jetzt mit Martin Emmer diskutieren, er ist Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Freien Universität Berlin. Ich grüße Sie, Herr Emmer, schönen guten Tag!

Martin Emmer: Hallo!

Heise: Wächst eigentlich die Macht der Netzplattformen schon allein dadurch, dass sie unzufriedenen Bürgern so einfach die Möglichkeit bietet, sich zu äußern, ohne sich eben weiter engagieren zu müssen, also die Hemmschwelle so niedrig ist?

Emmer: Das ist so ein Grundmerkmal vieler dieser Onlinemedien. Diese Netzplattformen fordern von den Leuten, die da aktiv sind, natürlich schon eine ganze Menge Engagement. Die, die da aktiv sind, das sind auch nicht so viele, aber die hängen sich da schon ganz schön rein. Aber wenn man an andere Möglichkeiten denkt, da aktiv zu werden ...

Heise: Blogs ...

Emmer: Blogs auch, natürlich Facebook gerade, wo das ja oft nur ein Klick ist auf einen Like-Button und man dann oft schon das gute Gefühl haben kann, man habe etwas Gutes getan oder sich engagiert, das ist dann ein Beispiel dafür, dass es schon auch sehr viel einfacher und vielleicht auch oberflächlicher werden kann.

Heise: Da klingt Kritik schon an. Wenn wir jetzt mal von diesen Meinungsäußerungen, diesen einfachen Meinungsäußerungen in Blogs absehen, Sie haben es ja schon erwähnt, das Engagement auf diesen Plags, zum Beispiel Vroniplag und Co. erfordert ja doch ein hohes Maß eigentlich an Zeitaufwand und Wissen. Jedenfalls stellt es sich immer so dar.

Wie sehr bilden also die Nutzer und auch die Macher eigentlich tatsächlich dann einen Querschnitt der Gesellschaft ab? Denn das ist ja eigentlich immer die Hoffnung, dass sich dann der politische Diskurs so verbreitert dadurch.

Emmer: Also mit Sicherheit ist das kein Durchschnitt der Bevölkerung, der sich da auf so einer Plattform engagiert, aber natürlich muss man da auch alle Möglichkeiten, die es so gibt im Netz, im Blick haben, um zu gucken, ob denn wirklich Bevölkerungsgruppen da systematisch ausgeschlossen werden.

Ich meine, dieser Ausschluss, diese Spaltungen der Gesellschaft sind ja schon lange diskutiert worden auch in der alten Medienwelt. Natürlich wissen wir, dass es nur bestimmte Bevölkerungsgruppen sind, die überregionale Tageszeitungen nutzen und auch Medien wie das Deutschlandradio. Auch da gab es immer schon Probleme. Und ich glaube, man kann im Prinzip beides beobachten: Einerseits ist es so, dass gerade diese Geschichten wie Lobbyplag natürlich so eine Form von Partizipation sind, die sich hochgebildete Onlineeliten vornehmen.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch diese niedrigschwelligen Geschichten, dass man natürlich auch mal so nebenbei, wenn man nicht groß politisch interessiert ist, sich auf Facebook oder sonst wo mal schnell zu was äußern kann. Also im Prinzip ist da alles möglich, und das zu gewichten und zu bewerten, ist etwas, woran die Wissenschaft im Moment arbeitet, wo man jetzt auch noch nicht abschließend sagen kann, das wird alles schlechter oder besser.

Heise: Also, Sie können noch nicht abschätzen, ob da nicht viele Interessen, weil es sich um ein doch sehr bürgerlich-digitales Milieu handelt, das sich da tummelt, dass da viele Interessen unter den Tisch fallen, weil beispielsweise Interessenvertretungen wie Gewerkschaften oder Vereine doch stark an Einfluss verlieren? Und die haben ja nun tatsächlich eben Bevölkerungsschichten abgebildet, die sie so nicht mehr mobilisieren können unbedingt, wobei natürlich da nicht das Internet dran schuld ist, das ist eine Entwicklung.

Emmer: Eben. Ich meine, man muss natürlich sagen, wenn man diese Lobbyplag-Geschichte ansieht, dann ist es schon so, dass da plötzlich Interessen jetzt stärker werden, Interessen von Bürgern, die das Gefühl haben, dass sie bisher da an der Nase herumgeführt werden von Lobbyisten und Politikern, und das schon so eine Art von Demokratisierung ist. Dass es da dann natürlich auch wieder Ungleichgewichte gibt, ist klar, aber grundsätzlich ist das schon, würde ich sagen, eine Entwicklung, die man positiv sehen kann.

Heise: Wo bleiben die Bevölkerungsschichten, die von mir angesprochen wurden, also die beispielsweise durch Gewerkschaften oder Vereine vertreten sind, also im politischen, digitalen Politikdiskurs?

Emmer: Also das ist - solche Organisationen stehen tatsächlich ein bisschen unter Druck. Gerade Gewerkschaften, auch Parteien zum Beispiel, weil das Organisationen sind, die entstanden sind aus den Notwendigkeiten, die so eine Gesellschaft im 19. Jahrhundert gestellt hatte an die Menschen. Die Massenorganisationen, auch die Massenpresse und Massenmedien stammen aus so einer Zeit dieser frühen Industrialisierung.

Und diese digitalen Medien machen das nicht mehr nötig für jeden Einzelnen, sich so einer großen Organisation anzuschließen, um überhaupt irgendwie vertreten zu werden. Heutzutage kann man durchaus auch selbst aktiv werden. Man sieht das ja ein bisschen auch an dieser Auflösung dieser Gewerkschaftsszene, dass es jetzt immer mehr so kleine Spezialgewerkschaften gibt, die sich da selbst organisieren. Und das ist ein Trend, ich glaube, auf den kann man sich einstellen, der wird weitergehen. Und Organisationen wie Gewerkschaften, große Organisationen, Parteien werden sich umgestalten müssen, um da nicht unterzugehen.

Heise: Ja, jetzt kommen wir so ein bisschen in den Bereich, wo es darum geht, Interessenvertretung für Wenige und sehr viel Einzelaspekte, die dann da berücksichtigt werden müssen. Wie beeinflussen digitale Plattformen die Demokratie? Darüber spreche ich mit dem Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer. Herr Emmer, es entstehen ja ständig neue Plattformen, es sind sicher auch viele Eintagsfliegen darunter. Das Aktionsfeld ist, würde ich jedenfalls sagen, doch relativ unübersichtlich. Ist das denn eigentlich demokratieförderlich?

Emmer: Also jetzt aus Sicht so einer Öffentlichkeitstheorie ist das eigentlich eine gute Sache, wenn jeder, der ein berechtigtes Interesse hat, auch an der Debatte teilnehmen kann. Das macht es in der Tat unübersichtlich, klar ...

Heise: Und vor allem macht es die Stärke dieser Gruppe nicht unbedingt durchsichtig. Also jeder, der sich äußert, wirkt gleich stark, sozusagen.

Emmer: Na ja, ich glaube, so weit sind wir noch nicht. Bis jetzt ist es schon noch so, dass auch diese Lobbyplag-Initiative ja vor allem dadurch wirkmächtig wird, dass das dann auch noch durch Massenmedien aufgegriffen wird. Also das ist immer noch so ein Geben und Nehmen, und ich glaube auch, dass solche Organisationen wie klassische Medien da auch in der Zukunft eine gewisse Rolle spielen, so als Orte, so verlässliche Orte von so Relevanzentscheidungen, von Verlässlichkeit - aber dass man sich daran gewöhnen muss, dass in Zukunft sehr viel mehr Akteure ihre Stimme erheben und sich einmischen in so eine Debatte, das ist, glaube ich, klar.

Das mag unangenehm sein natürlich, weil es von uns als Rezipienten und Bürgern auch ein bisschen mehr fordert. Man muss sich selber ein bisschen stärker orientieren, das ist vollkommen klar, aber ...

Heise: Um die überhaupt einzuschätzen, nicht nur in ihrem Gewicht, sondern auch tatsächlich in ihrem Gehalt, in ihrem Inhalt.

Emmer: Genau.

Heise: Wie soll das aber möglich - also, das ist nicht jedem möglich.

Emmer: Klar, wir wissen ja aus der Sozialforschung, dass es generell so ist, dass ein gewisser Anteil von 40, 50 Prozent der Menschen ohnehin nicht so richtig einschätzen kann, was da politisch passiert. Das war nun bisher auch schon so. Und, na, da hat man sich dann darauf verlassen, dass die irgendwie schon mitschwimmen und mitgezogen werden durch Parteien und Medien. Aber gut, ich meine, so ist es. Wir haben jetzt keine - diese digitale Welt lässt das nicht mehr zu, dass man so paternalistisch von oben sagt, na gut, es gibt viele kluge Leute, Journalisten, Politiker, die nehmen das in die Hand und organisieren das schon.

Heise: Ich frage deswegen, weil es mir um den Aspekt der Verantwortung für das, was ich sage oder das, was ich schreibe, geht. Das kann man sowohl in den Medien einigermaßen durchsichtig und transparent hinterfragen, das kann man in der Politik auch deutlich machen. Bei Netzplattformen, die ja durchaus Fakten schaffen, also auch politische Fakten schaffen, politischen Einfluss haben, siehe Ministerin, Ex-Ministerin Annette Schavan - wie demokratisch sind die aber tatsächlich legitimiert, beziehungsweise wer macht sie verantwortlich, wer kontrolliert sie?

Emmer: Das muss in Zukunft, muss das sehr viel stärker die Öffentlichkeit machen, der öffentliche Diskurs. Das ist, wenn man so will, ist das ja so die Idealwelt, diese Idealwelt einer Öffentlichkeit, also jeder, der will, sich zu Wort melden kann, und dass es eben die öffentliche Debatte ist, die entscheidet, wer recht hat und wer nicht und wo die Mehrheiten liegen und was vernünftig ist und nicht.

Also das ist problematisch, es gibt Gesellschaften, die haben damit mehr Erfahrung, die USA zum Beispiel, da gibt es eine sehr viel härtere, direktere Diskurskultur, und vermutlich steuern wir da auch ein bisschen stärker drauf zu. Man kann viele Dinge nicht mehr zentralisiert organisieren ...

Heise: Wo entstehen dann Kompromisse?

Emmer: Sie meinen politische Kompromisse?

Heise: Ja, politische und auch gesellschaftliche Kompromisse.

Emmer: Ja, die müssen im öffentlichen Diskurs entstehen. Also man muss sich stärker öffentlich unterhalten, und die Lobbyplag ist ein gutes Beispiel dafür, dass Themen sehr oft bisher eben außerhalb der Öffentlichkeit organisiert wurden. Akteure, die Mittel hatten und Einfluss, konnten sich da ganz gut gesetzlich Vorteile verschaffen, und es gibt viele Leute, die wollen das nicht mehr zulassen. Da wird sehr viel mehr in die Öffentlichkeit gezerrt, und das kann wehtun, aber da gibt es, glaube ich, keinen Weg zurück.

Heise: Diese Kompromisse sind mir durchaus wichtig, weil die ja zum gesellschaftlichen Leben dazugehören, sowieso schwer zu schließen sind. Wenn dann jeder die Stimme erhebt und nur für seine Stimme verantwortlich ist, ist das natürlich ein schwerer Prozess.

Emmer: Ja, Entscheidungsverfahren muss es weiterhin geben. Man sieht das im Moment ja ein bisschen an der Piratenpartei, die ja auch so einen Traum verfolgt, das alles in einem Diskurs und konsensual zu regeln. Vermutlich funktioniert das so nicht. Man braucht einerseits eine offene Debatte, da werden sich in Zukunft mehr zu Wort melden, man braucht aber trotzdem natürlich weiter irgendwie politische Entscheidungsverfahren.

Ich glaube, das ist auch eine Illusion, zu glauben, man wird in Zukunft keine repräsentative Demokratie mehr brauchen. Also irgendwelche Entscheidungsforen, in denen Leute verbindlich Entscheidungen treffen, brauchen wir natürlich weiterhin.

Heise: Sie sind Kommunikations- und Medienwissenschaftler. Wie beobachten Sie das? Wird das eigentlich als ein politisches und nicht als ein Medienthema tatsächlich diskutiert?

Emmer: Also wissenschaftlich ist es in der Tat so, dass es da früher doch einen größeren Abstand gab. Das eine war Partizipation, das andere war Kommunikation, Mediennutzung und so weiter, aber natürlich muss man sagen, auch so was wie eine Wahl ist ja eigentlich ein kommunikativer Akt.

Bürger sagen, wen sie in Zukunft als Regierung haben wollen. Und das denkt man im Moment schon etwas stärker gemeinsam. Also Kommunikation ist auch politisches Handeln, und gerade im Netz ist das ja alles eins.

Heise: Kommunikationswissenschaftler Martin Emmer zu Netzplattformen und ihren Einfluss auf demokratische Entwicklungen. Ich danke Ihnen schön, Herr Emmer, für diesen Besuch!

Emmer: Gerne!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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