Nazi-Gesänge in Fußballstadien

"Der DFB reagiert oft erst, wenn die Schlagzeilen kommen"

Deutsche Fans zünden Pyrotechnik und skandieren rechtsradikale Parolen beim Fußballspiel in Prag.
Während des Spiels Deutschland gegen Tschechien in der WM-Qualifikationen zündeten deutsche Fans Pyrotechnik, skandierten rechtsradikale Parolen und sangen die erste Strophe des Deutschlandliedes. © picture alliance / Thomas Eisenhuth/dpa-Zentralbild/ZB
Sportjournalist Ronny Blaschke im Gespräch · 04.09.2017
Gruselige Szenen beim WM-Qualifikationsspiel in Prag letzte Woche: Pfiffe während einer Schweigeminute, Nazi-Gesänge und "Sieg Heil!"-Rufe von den Rängen. Bundestrainer Joachim Löw distanziert sich später davon. Doch Sportjournalist und Autor Ronny Blaschke meint: Das Problem ist schon länger bekannt.
Wenn Fußball so etwas wie eine repräsentative Funktion hat, dann hat ein Teil der deutschen Fans letzte Woche in Prag das Ansehen Deutschlands eher beschädigt. Das meinte zumindest Bundestrainer Joachim Löw, nachdem beim Spiel in Tschechien Hooligans eine Schweigeminute für tschechische Spieler mit Pfiffen gestört hatten, Nazigesänge ertönten und "Sieg Heil!"-Rufe laut wurden. Der Bundestrainer erklärte am Sonntag:
"Ich bin voller Wut. Ich bin angefressen über das, was passiert ist. Dass sogenannte Fans die Bühne des Fußballs und eines Länderspiels benutzen, um mit ihrem oberpeinlichen Auftreten viel Schande über unser Land zu bringen. Jeder von denen, der nicht mehr ins Stadion darf, ist ein Gewinn. (…) Diese Chaoten wollen wir nicht und wir sind nicht deren Nationalmannschaft und das sind auch nicht unsere Fans. Dieses Verhalten in Prag war unterste Schublade und es ist zutiefst verachtenswert."
Der Sportjournalist und Buchautor Ronny Blaschke wundert sich, dass Löw eine solche Erklärung nicht direkt nach dem Spiel abgegeben hatte. Außerdem klinge es beim Bundestrainer so, als sei das jetzt eine überraschend neue Entwicklung. Dem sei aber nicht so:
"Was mich wundert, dass da noch so etwas Überraschendes, so etwas Empörendes mitschwingt, als hätte es das vorher nicht gegeben, doch wenn wir in die vergangenen Jahre zurückblicken, in Warschau, in Skopje, gerade in Osteuropa sind deutsche Hooligans immer so aufgetreten wie jetzt in Prag. Das ist nicht wirklich überraschend."

Das Hooligan-Problem ist längst bekannt

Das Hooligan-Problem habe man schon in den letzten fünf Jahren in verschiedenen Städten beobachten können, so Blaschke. In Städten wie Bremen oder Dortmund seien junge Menschen von Hooligans eingeschüchtert worden, in Leipzig und Dresden hätten sich Hooligans aus dem Pegida-Umfeld als eine Art Bürgerwehr aufgespielt:
"Das passiert nicht vor den Kameras und nicht vor großen Polizeiaufgeboten, und in solchen Fällen, wenn es jenseits des Rampenlichts passiert, da könnte man mal als Prominenter auch was sagen, und nicht erst, wenn die nächste große Moralpanik da ist."
Löws Satz "Wir sind nicht eure Nationalmannschaft" suggeriere auch ein bisschen:
"Das geht uns nix an. Doch die Menschen vernetzen sich gerade wegen des Fußballs. Deswegen darf der Fußball das auch nicht einfach so von sich weisen."
Nachdem bei der WM in Frankreich 1998 ein französischer Polizist fast zu Tode geprügelt worden war, seien die Hooligans zunächst wieder aus dem Blickfeld verschwunden. Jetzt aber trauten sie sich wieder in die Stadien. Doch das Problem werde einfach ignoriert:
"Man tut so, als hätten diese Hooligans keine bürgerliche Existenz, also man kann Fankultur und Stadtgesellschaften nicht voneinander trennen. Diese Leute sind bekannt, die treten in ihren Städten auf, da haben die Lokalpolitiker nicht reagiert, die lokalen Medien haben nicht ausführlich berichtet, weil sie denken, das könnte dem Tourismuswert der eigenen Kommune schaden. Und der DFB reagiert oftmals erst, wenn die großen Schlagzeilen kommen."

Spieler unter Druck

Dass sich Spieler wie Mats Hummels jetzt so eindeutig gegen die Hooligans positionieren, überrascht Blaschke ein wenig, denn:
"Wenn Alexander Gauland von der AfD sagt, Jerome Boateng soll nicht mein Nachbar sein, oder wenn Mesut Özil nach Mekka pilgert und davon ein banales Foto twittert, und daraufhin Tausende hetzen und schimpfen, dann kann ich auch nachvollziehen, dass die Berater der Nationalmannschaft sehr sorgsam damit umgehen, um nicht wieder die nächste Spirale auszulösen. Diese Spieler sind so bekannt, von allen Seiten werden sie irgendwie angefordert, die müssen fast schon diplomatische Dienste erfüllen."
Insgesamt wäre es besser, wenn man im Hintergrund, an Schulen und Bildungseinrichtungen ein entsprechendes Fundament schaffe und entgegenwirke "und nicht nur bei solchen prominenten Fällen reagiert".
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