Naturschutz

In Thüringen bekommt der Auerhahn Personenschutz

Ein Auerhahn (Tetrao urogallus) im Nationalpark Bayerischer Wald
Ein Auerhahn (Tetrao urogallus) - nicht im Thüringischen, sondern im Nationalpark Bayerischer Wald. © dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Von Henry Bernhard · 20.09.2017
Einst waren Thüringens Wälder bevölkert von Auerhähnen. Heute überleben die etwas ungeschickten Vögel nur dank staatlicher Vogelschützer und entsprechender Pflegeprogramme. Doch sobald sie in die freie Wildbahn entlassen werden, warten schon Habicht & Co. auf sie.
Der Auerhahn, ein schwarz glänzender Vier-Kilo-Brocken, stolziert bemüht gravitätisch durchs Gehölz, spreizt seine Schwanzfedern zu einem Halbkreis.
Aber diese Idylle ist Vergangenheit. Wo der Auerhahn im Thüringer Wald einst am liebsten nistete, prangt nun eine Talsperre. Und der rauschende Wald ist der falsche.
Luise Stephani: "Man kann sich so vorstellen, wenn man im Wald steht und man guckt so nach oben, dass man höchstens 60% noch durch Bäume verdeckt hat. Das heißt, in so einem schönen Auerhahnbestand sieht man mindestens 40% Himmel."
Und der Auerhahn liebt Himmel! Luise Stephani kennt sich aus, ist sozusagen die oberste Auerhuhnkennerin im grünen Freistaat Thüringen.
"Und gerade Auerhühner sind – wir sagen dazu: sehr standorttreu. Das heißt, die nehmen immer wieder dieselben Plätze für die Balz im Frühjahr. Exponierte Hügel, wo sie weit in die Landschaft gucken können."

Ein hoffnungslos romantischer Trottel

Der Auerhahn ist also ein hoffnungslos romantischer Trottel. Er will immer wieder an derselben Stelle balzen. Und wenn dort nun mal der Stausee plätschert, wo ER einst balzte, was macht dann der Auerhahn?
"Fast ausgestorben ist auf jeden Fall richtig – zumindest für Thüringen."
Tino Sauer: "In Thüringen auf jeden Fall!"
… bestätigt auch Tino Sauer, Vogelexperte beim Naturschutzbund Deutschland.
Luise Stephani: "Hauptursache sehen wir darin, dass sich die Forstwirtschaft intensiviert hat."
Tino Sauer: "Wir haben in Thüringen keine Urwälder! Man kann auch keine mehr irgendwo produzieren! Bei uns soll ein Wald alles können. Und das klappt so nicht."
Herbstlich buntes Laub an den Bäumen im Thüringer Wald bei Kleinschmalkalden (Herbst 2013).
Herbstlich buntes Laub an den Bäumen im Thüringer Wald bei Kleinschmalkalden © picture alliance / Klaus Nowottnick
Und da der Auerhahn romantisch und unflexibel ist und außerdem schlecht fliegen kann, …
Luise Stephani: "Sind halt relativ plumpe und schlechte Flieger. Sind nicht so geschickt."
… weigert er sich auch selbst im Aussterben, sein Nest auf dem Baum zu bauen. Und das gibt dem Auerhahn den Rest.
Luise Stephani: "So eine Auerhenne brütet ja am Boden, hat dort ihr Nest. Da sind 8-9 Eier drin. Das ist wie eine Praline, die man irgendwo versteckt; das riecht total toll! Und daher gehen da auch die Wildschweine hin und finden das und fressen halt leider die Eier."

Staatliche Auerhahn-Aufzucht

Der Auerhahn hätte also keine Chance – wäre da nicht Luise Stephani. Unter ihrer Obhut dürfen drei Auerhähne und sechs Auerhennen seit Jahren am immer gleichen Platz balzen und brüten – nämlich in einer stattlichen staatlichen Voliere – mit Vollverpflegung. Das heißt für Auerhühner: Heidelbeeren und Heidelbeerkraut satt.
22 Küken sind in diesem Jahr aus 60 Eiern geschlüpft – und wie jedes Jahr im September wurde es nun ernst für die braunen, flauschigen Küken:
Tino Sauer: "Wenn ich jemanden in der Auswilderungsstation habe und lasse den dann plötzlich in einen Jurassic Park frei, wo er sich dann wirklich behaupten muss, dann bleiben nicht mehr viele übrig! Selbst die Cleversten kommen dann mit der Lebensumwelt nicht klar."
Fuchs, Marderhund, Waschbär und Habicht stehen draußen schon bereit, mit tropfendem Zahn, wenn im Herbst frische Auerhähne serviert werden. 450 haben sie schon kommen sehen in 30 Jahren, von denen sie 97% erwischt haben.
Die deutschen Auerhähne schafften es, ein paar Wochen im Thüringer Dschungel zu überleben, die cleveren Importe aus Russland und Schweden ein paar Monate. Aber das wird nun gerade ganz anders: Die Forstbehörde betreibt nun "Schalenwildmanagement" und "Prädatorenmanagement" …

Pech für den Fuchs

Ein großes Wort, von Thüringenforst-Chef Volker Gebhardt gelassen ausgesprochen. "Schalenwildmanagement" bedeutet, das Rehe und Hirsche geschossen werden, da sie den Auerhühnern das Futter und die Deckung wegfressen. "Prädatorenmanagement" aber bedeutet nichts Gutes für Füchse, Marder und Dachse.
Ein Rotfuchs (Vulpes vulpes), kurz Fuchs genannt, am 07.04.2014 in einem Gehege im Wildparks in Frankfurt (Oder) (Brandenburg).
Füchse haben es jetzt schwer im Thüringer Wald© dpa / Patrick Pleul
Volker Gebhardt: "Wir haben also einen eigenen Berufsjäger, der dort massiv Fallensysteme betreibt. Wir setzten fast nur Lebendfallen ein."
Aber auch das nützt dem Fuchs nur wenig.
"Der wird der Natur entnommen. Sprich, man dreht ihm … Ähh … Man verwertet ihn."
Das heißt auf Deutsch?
"Der wird getötet. Ob man den dann … ääh … in der Regel dann streckt, also … erschießt."

Bestand von 20-30 Tieren

Derart mit Personenschutz ausgestattet, haben die jungen Auerhennen und Auerhähne nun eine Überlebenschance von um die 600 Tage! Und manche werden noch älter. Das war vor dem Management per Schusswaffe noch ganz anders. Das heißt, bislang haben sie eher teures Fuchsfutter produziert!
Luise Stephani: "Das würde ich vielleicht nicht so sagen! Wir haben verhindert, dass Auerhühner in Thüringen ganz ausgestorben sind! Und wir haben immer wieder gesehen, dass der Bestand sich halbwegs hält."
Der Bestand von heute etwa 20-30 Tieren.
"Und wenn es wirklich nicht funktionieren sollte in den nächsten 10 Jahren, dann wird die Geschichte sicher auch dazu führen, dass wir sagen: Ja, er ist halt nicht zu etablieren unter den jetzigen Bedingungen."
Tino Sauer: "Ja, in der Natur ist es so: Die haben keine Wahl; da wird alles gegessen, was erbeutet werden kann. Da wird nicht geguckt, 'Oh, das müssen wir jetzt schützen, das ist unter Artenschutz! Das ist streng geschützt, das können wir nicht verwerten! Da suchen wir uns lieber was Einfacheres …' Das Recht des Stärkeren wird durchgesetzt."
Eine ganz, ganz frohe Botschaft aber gibt es schon heute: Luise Stephani hat die erste Wildbrut entdeckt: Ein Auerhenne zieht ihre 3 Küken groß – mitten im Thüringer Dschungel.
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