Naturschutz contra Artenschutz

Rezensiert von Johannes Kaiser · 21.03.2005
Der Münchner Biologieprofessor Josef H. Reichholf galt schon immer als Querdenker. Er gehörte zu den Ersten, die darauf hinwiesen, dass sich in der Stadt mehr Tiere und Pflanzen tummeln als in der Natur. Auch als Autor des Buches "Die Zukunft der Arten" räumt er mit einer Reihe von Irrtümern und Fehleinschätzungen auf.
Josef .H.Reichholf räumt gründlich mit einer Reihe von Irrtümern und Fehleinschätzungen auf, die einen sinnvollen Naturschutz eher verhindern denn fördern. Und das wird manchen Naturliebhaber durchaus verstören.

Die Ausgangsfrage ist schlicht, hat es aber in sich: Warum sind trotz über 20-jähriger Bemühungen, millionenschwerer Investitionen des staatlichen Naturschutzes und großer Verbände, trotz privater Initiativen die Roten Listen der gefährdeten Arten weiter gewachsen?

Die Antwort: Was gut gemeint war, erwies sich oft als fataler Fehler.

Josef Reichholf führt dafür in seinen zwölf Kapiteln zahlreiche konkrete Beispiele an. Wie die von Naturschützern immer wieder bekämpften Kahlschläge in Wäldern . Sie sind keineswegs verdammenswert, denn die Lichtungen sind im Unterschied zum feuchten und kühlen Wald sonnenreich und damit warm, bieten vielen Sonnen liebenden Blumen und den auf sie angewiesenen Insekten ideale Lebensbedingungen. Das lockt seltene Vogelarten und Wärme liebenden Schlangen und Eidechsen an. Der derzeitige Naturschutz sieht dagegen Kahlschläge als "Wunden", die gar nicht erst entstehen dürfen. Die Wärme und Sonne liebenden Arten verlieren wichtige Rückzugsgebiete.

Bittere und für viele sicher sehr provokative Schlussfolgerung Reichholfs: "der zweitgrößte Teil des Artenrückgangs entfällt auf die Umsetzung von Naturschutzzielen".

Es sind keineswegs die klassischen Bedrohungen durch die Zivilisation, die hauptsächlich für den Artenschwund verantwortlich sind. So fordern zum Beispiel Straßen durchaus ihren Tribut, aber weit schlimmere Folgen hat die Überdüngung der Landschaft durch die intensive Landwirtschaft. Denn:
viele Pflanzen und Tiere haben sich auf magere Böden spezialisiert. Sie werden von Nährstoff liebenden Arten verdrängt. "Der Stickstoff", schreibt Reichholf, "wurde zum 'Erstick-Stoff' für die Artenvielfalt."

In der Ablehnung der intensiven Landwirtschaft herrscht Einigkeit zwischen Naturschützern und Autor. Nur der staatliche Naturschutz hat es noch nicht begriffen.

Der Ökologe und Biologe Josef H. Reichholf verdammt den klassischen Naturschutz nicht in Bausch und Bogen. Es geht um einen differenzierten und wissenschaftlich begründeten Schutz der Natur, der sich auf Fakten stützt und nicht auf Glaubensbekenntnisse und Naturromantik.

Artenschutz heißt für Reichholf, die vom Naturschutz unterbundenen Eingriffe wieder zuzulassen, da sie erst die Vielfalt schaffen. Der Schutz vor ihnen erweist sich als viel größere Gefahr für den Artenreichtum als die Störungen Vehement wehrt sich Reichholf gegen die immer wieder vorgebrachte Behauptung, es sei vor allem der neugierige Mensch, der die Natur bedrohe und den man darum von ihr fernhalten müsse. Alles Unsinn, denn die von ihm verursachten Verluste sind minimal und bedrohen die Natur keinesfalls. So entfremdet man den Menschen der Natur. Reichholf verwundert denn auch nicht, dass das Interesse am Naturschutz dramatisch nachgelassen hat.

Der staatliche wie private Naturschutz wird umlernen müssen, wenn er die Provokationen ernst nehmen kann. Neue ökologische Überraschungen hat Josef Reichholf im Untertitel seines Buches versprochen und er hält sie.

Fazit: Wer will, dass die Natur bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.

Josef H. Reichholf: Die Zukunft der Arten
Verlag C.H. Beck München 2005
224 Seiten