Nationaler Volkskongress

Wissenschaftler: Ukraine-Krise nützt China

05.03.2014
Anlässlich des derzeit tagenden Nationalen Volkskongresses in Peking hat der Politologe Eberhard Sandschneider die wachsende politische und militärische Bedeutung Chinas betont.
Von der Krise in der Ukraine könne das Land zusätzlich profitieren, sagte der Forschungsdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.
Jörg Degenhardt: Groß, größer, Volkskongress – gleich 3.000 Delegierte sind in Peking zusammengekommen, und das für ganze neun Tage. Wohin soll Chinas Reise gehen? Das Riesenreich mit den Riesenchancen muss auch mit gewaltigen Problemen fertigwerden. Nur eines davon sind die ethnischen Konflikte. Erst letzten Samstag war's, da hatten Angreifer am Bahnhof der Millionenstadt Kun-Ming im Südwesten Chinas wahllos Menschen mit langen Messern attackiert. 33 starben, 140 Menschen wurden verletzt.
Wie geht die neue kommunistische Führung diese und andere Fragen an? Darüber möchte ich reden mit dem Politikwissenschaftler und China-Experten Professor Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin. Guten Morgen, Herr Sandschneider!
Eberhard Sandschneider: Guten Morgen!
Degenhardt: Bleiben wir gleich bei dem schlimmen Anschlag vom letzten Wochenende. Hat die Führung des Landes aus Ihrer Sicht angemessen, sprich rational reagiert oder wird es jetzt so etwas wie einen Rachefeldzug gegen die Uiguren geben? Aus dieser Ethnie sollen ja die Täter stammen?
Sandschneider: Letzteres wahrscheinlich nicht, aber die Frage ist natürlich, wie reagiert man angemessen auf einen Anschlag dieser Größenordnung, auch dieser Brutalität. Auch in China ist es so wie in anderen Ländern der Welt – gegen solche Formen terroristischer Anschläge gibt es zunächst einmal keinen Schutz für die betroffenen Menschen. Die Herkunft, das ist das, was die chinesische Regierung bislang verlauten lässt, ist offensichtlich – die Herkunft der Täter ist offensichtlich uigurisch. Das reflektiert ein bisschen das Problem, dass es im Westen Chinas alles andere als ruhig ist. Das gilt sowohl für die uigurisch dominierte Provinz Chin-Jiang als auch natürlich für das Dauerthema Tibet. Und es zeigt sich, es ist ausgesprochen schwierig für die kommunistische Führung, mit diesen Problemen so umzugehen, dass solche Bedrohungsszenarien nicht entstehen. Terror ist mittlerweile auch etwas, was die Uiguren bereit sind, über die Grenzen ihrer Provinz hinauszutragen.
Degenhardt: Was ist denn aus Ihrer Sicht die größte Herausforderung für die chinesische Regierung bezogen auf die nächsten Jahre, die gemeistert werden muss? Sind es eben diese ethnischen Konflikte? Ist es die Wirtschafts- und Sozialreform? Oder sind es die außenpolitischen Streitthemen? Wenn ich an den Inselstreit mit Japan denke?
Sandschneider: Ich bin völlig überfragt, diese Frage zu beantworten. Man muss, glaube ich, umgekehrt sagen: All die Probleme, die Sie jetzt beispielhaft auch angesprochen haben, liegen mit gleicher Priorität auf dem Tisch der chinesischen Führung. Kein Grund also, diese Leute um die Problemlast, die sie zu bewältigen haben, zu beneiden. Ich würde vermuten, dass ethnische Konflikte vielleicht alles in allem sogar noch etwas geringer einzuschätzen sind als beispielsweise die sozialen Verwerfungen, die Umweltproblematik, die Korruptionsproblematik, und mittlerweile, das haben Sie zu Recht gesagt, kommen bedauerlicherweise auch die außenpolitischen Konfliktlagen, insbesondere im Osten und Südchinesischen Meer dazu.
Degenhardt: Der Ministerpräsident Li hat schmerzhafte strukturelle Veränderungen angekündigt, um neues Wachstum für die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zu erreichen. Was muss man sich darunter vorstellen?
Wachstumskurs Chinas "stößt an seine Grenzen"
Sandschneider: Das ist die große Debatte, die schon das Plenum der kommunistischen Partei im letzten November ausgelöst hat. Ganz offensichtlich stößt der bisherige Wachstumskurs allmählich an seine Grenzen. Er ist immer noch beeindruckend, ein geschätztes Wachstum von über sieben Prozent klingt für unsere Ohren fantastisch. Aber im chinesischen Kontext, wo es natürlich auch viele soziale Folgen abzumildern gilt, ist das grenzwertig. Insofern muss die Führung dafür sorgen, dass das Wachstum das erreicht, was wir gerne Nachhaltigkeit nennen. Das heißt, es muss sich auf den Abbau von alten Privilegien, auf die Reform von Staatsunternehmen, auch auf die Hinwendung zu einem konsumgetriebenen Wachstum konzentrieren. Das klingt alles theoretisch wunderbar, aber wenn man es in einem Land wie China mit dieser Größe und dieser Menschenmasse umsetzen muss, dann ist das in der Tat eine Herkulesaufgabe.
Degenhardt: Gehen Sie davon aus, dass die Widersprüche zwischen Land und Stadt, zwischen Arm und Reich eher noch größer werden?
Sandschneider: Im Augenblick sieht es danach aus. Aber die spannende Frage ist, wie hält man in einer solchen Situation die politische und soziale Stabilität aufrecht? Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der die Kommunistische Partei Chinas steht. Das hat sie in den letzten Jahren alles in allem, unter Stabilitätsgesichtspunkten zumindest, ganz gut gemanaged. Aber wir müssen uns immer wieder in Erinnerung rufen, dass ist keine Garantie, dass nicht vielleicht morgen irgendwas schief gehen kann. Und ein Wegrutschen Chinas in eine instabilere innenpolitische Lage möchte man sich im Augenblick in Anbetracht von Weltpolitik und Weltwirtschaft nicht wirklich vorstellen.
Degenhardt: Wie beurteilen Sie denn überhaupt den Reformwillen der neuen Spitze der Regierung in China? Gibt es da Anzeichen für eine politische Öffnung?
Sandschneider: Nein. Wir denken im Westen immer gleich an politische Öffnung. In China denkt man anders. In China denkt man an das Fortsetzen dieses Weges der ökonomischen Erholung, der dann am Ende, wie man jetzt bei den ersten Zahlen etwa zum chinesischen Militärhaushalt sieht, sich dann auch in Politik und militärische Kapazitäten übersetzen lassen. In China geht es darum, aus chinesischer Perspektive, den Entwicklungsweg fortsetzen zu können. Politische Öffnung in unserem Sinne gehört da zunächst einmal nicht dazu.
Degenhardt: Die Ausgaben für das Militär, die sollen ja deutlich erhöht werden. Was heißt das? Wer nach außen hin Stärke demonstriert, der will natürlich damit auch Ansprüche anmelden. Ich denke an den Inselstreit, ich denke an andere Geschichten – muss man China künftig anders bewerten, stärker mit einkalkulieren, wenn es darum geht, weltpolitische Probleme zu lösen? Zum Beispiel auch den Terrorismus?
China ist auch militärisch "ein Land im Aufstieg"
Sandschneider: Ja, auf jeden Fall. Das ist ein Land im Aufstieg. Es wird sein politisches, wirtschaftliches und militärisches Gewicht in Zukunft stärker in die Waagschale werfen, als das in der Vergangenheit war. Aber jetzt muss man vorsichtig sein: Wir haben in den letzten Jahren schon Zuwachsraten des Militärhaushaltes gesehen, die deutlich höher waren. Jetzt spricht der chinesische Ministerpräsident von 12,2 Prozent, vor einigen Jahren waren es 17. All diese Prozentzahlen sind letztendlich unwichtig. Wenn man die absoluten Zahlen nimmt, dürfte China derzeit einen Militärhaushalt fahren von etwa 120 Milliarden US-Dollar. Gemessen an den 520 Milliarden der Vereinigten Staaten ist das immer noch relativ wenig, aber China baut an dieser Stelle seine Kapazitäten aus, und wir sollten nicht vergessen, das ist eigentlich ein normaler Prozess. Ein Land, das sich über drei Jahrzehnte derartig stürmisch wirtschaftlich entwickelt, das kommt irgendwann an den Punkt, diese wirtschaftliche Entwicklung auch in politische und letztendlich auch in militärische Macht zu übersetzen. China wird bei allen Problemen, die wir auf globaler Ebene haben, eine mächtige Stimme haben in Zukunft.
Degenhardt: Ein Problem, über das wir seit Wochen mittlerweile reden, diskutieren, das uns Sorgen bereitet, ist die Krise in der Ukraine, ist das schwierige Verhältnis zwischen Moskau und Kiew. Wenn ich das richtig gelesen habe, dann scheint Peking die Rolle Putins besser zu verstehen als die Rolle der neuen Regierung in der Ukraine. Was ist da von Peking zu erwarten? Dass man sich mit Moskau doch wieder besser stellen wird, als das vielleicht früher, vor Jahren der Fall war?
Sandschneider: Also zunächst einmal können wir davon ausgehen, dass man in Peking diese Situation mit Argusaugen beobachtet. Einerseits ergibt sich die Option, ein neues Verhältnis zu Russland zu definieren, das beispielsweise auch unter Rohstoff-Gesichtspunkten und was die gesamte Stabilitätslage in Zentralasien angeht, für China ausgesprochen wichtig und notwendig ist. Auf der anderen Seite beobachtet man natürlich auch die Verhärtung des Verhältnisses Russland zum Westen, zu den Vereinigten Staaten, aber auch zu Europa. Aus chinesischer Sicht ist das eine Situation, aus der man letztendlich nur Vorteile ziehen kann. Insgesamt hält China sich allerdings bis auf einen Punkt zurück: Innenpolitische Umbrüche dieser Art, wie wir sie in der Ukraine gesehen haben, sind für die chinesische Parteiführung wie für den Teufel das Weihwasser.
Degenhardt: Sagt der Politikwissenschaftler und China-Experte Professor Eberhard Sandschneider, Forschungsdirektor bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Berlin. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Sandschneider: Bitte sehr!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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