Nathan, nicht weise

01.10.2007
Die Hauptfigur in Robert Menasses Roman heißt Nathan. Unverkennbar ist er genauso alt wie sein 1954 geborener Autor und wächst in die Zeit der sexuellen Befreiung und politischen Scharmützel hinein. Daraus ergibt sich ein wirres literarisches Kaleidoskop von Liebeshändeln und Lebensverwirrungen. Man sollte das Buch trotz seines lockeren Tones nicht unterschätzen.
Es geht in diesem Roman um ein Grunddilemma der menschlichen Existenz: die Beziehung zwischen Mann und Frau. Dabei hat Robert Menasse viele doppelte Böden eingezogen. Der Titel seines leicht und in einem Zug zu lesenden Romans jongliert mit gleich zwei unvergänglichen Mythen der abendländischen Literatur: "Don Juan de la Mancha". Der große Liebhaber der Frauen wird also mit Don Quijote gekreuzt, mit dem edlen, späten Ritter, der gegen Windmühlen kämpft.

Und der Untertitel "Die Erziehung der Lust" will auch noch Flaubert übertrumpfen: Da tun sich sofort unendliche Assoziationsflächen und Hallräume auf, gegen die ein einzelner Autor normalerweise machtlos ist.

Menasse unternimmt alles, um diese Gefahren zu unterlaufen. Er tippt sämtliche Motive einfach an, augenzwinkernd nimmt er sie mit herein in seinen Text, ohne sie ausdrücklich zu entfalten. Vordergründig geht es nur um die sexuelle Entwicklungsgeschichte Nathans, des in immer neue Verwerfungen hineingeratenden Helden. Nathan ist dabei keineswegs der Weise.

Die Versuchsanordnung des Romans entspricht dem Bilderbuch des westlichen jüdischen Bürgertums. Nathan macht eine Therapie bei der Psychoanalytikerin Dr. Hannah Singer, die in ihrer Leibesfülle an eine klassische jüdische Mamme erinnert. Sein Vater ist ein Gesellschaftsreporter, der auf reinen Genuss aus ist und überall mitschwimmt – Partys, Champagner, Frauen. Er hat sich scheiden lassen, als Nathan 11 Jahre alt war, hat kaum Zeit für ihn und gibt eine Erfolgsspur von Lebenstauglichkeit vor, die kein Sohn der Welt je wird aufnehmen können.

Die Mutter hingegen hat eine eher groteske Galerie von Liebhabern aufzuweisen, und die jeweiligen "Muttermänner" werden in ihrer Erbärmlichkeit mit den Frauenstationen Nathans kontrastiert. Das ist alles so salopp und pointiert erzählt, dass man weiter liest und sich plötzlich in einem aufschlussreichen Zeit- und Generationenpanorama befindet.

Nathan, der unverkennbar genauso alt ist wie sein 1954 geborener Autor, wächst unmittelbar in die Zeit der sexuellen Befreiung und politischen Scharmützel hinein. Es ergibt sich ein wirres Kaleidoskop von Liebeshändeln und Lebensverwirrungen. In diesem Roman geht es um nichts weniger als um eine ganze Epoche, doch Menasse löst das auf in eine Kette von Anekdoten, von Schlüsselmomenten, die immer wie satirisch überspitzt wirken und doch die Realität ungemein suggestiv vor Augen führen.

Nathan gerät in einen Strudel hinein, für den er nichts kann und in dem er sich immer routinierter bewegt. Der Ton hat zunächst etwas Cooles und Kennerisches; sein Kernproblem benennt Nathan dabei so: "Ich hatte nie ein so exzessives Sexualleben wie jetzt, wo Sex mich langweilt." Doch die Coolness entpuppt sich schnell als Pose. Alles wird immer schwieriger in einer Gesellschaft, "die nicht einmal einen Liter Mineralwasser verkaufen kann, ohne diese Ware erotisch zu besetzen".

Menasses Generationsroman führt eine grell ausgeleuchtete Dialektik der sexuellen Befreiung vor – man sollte ihn trotz seines lockeren Tones nicht unterschätzen.

Rezensiert von Helmut Böttiger

Robert Menasse: Don Juan de la Mancha oder Die Erziehung der Lust. Roman.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
273 Seiten, 18,80 Euro