Nahost-Korrespondent über Krisenberichterstattung

"Es gibt ganz viele Fehler, die man vermeiden kann"

Ein Journalist läuft mit einer Kamera eine zerstörte Straße in der Homs-Provinz in Syrien lang
Ein Journalist läuft mit einer Kamera eine zerstörte Straße in der Homs-Provinz in Syrien lang © Imago / Xinhua
Christoph Reuter im Gespräch mit Dieter Kassel · 16.11.2015
Christoph Reuter berichtet seit Jahren aus Krisen- und Kriegsgebieten. Trotz eindeutiger Gefahren gebe es Wege, um auch aus Ländern wie Syrien unabhängig zu berichten, meint der Nahost-Korrespondent. Sich auf unsichere Quellen zu verlassen, sei "erbärmlich".
Dieter Kassel: Christoph Reuter ist Nahost-Korrespondent des "Spiegel", berichtet seit Langem aus Krisen- und Kriegsgebieten, ist Autor eines aktuellen Buchs über den Islamischen Staat und er ist einer der Experten eines Workshops zur journalistischen Praxis der Kriegs- und Krisenberichterstattung, der heute stattfindet, und ich wollte ihn eigentlich nach den Herausforderungen der Arbeit in Ländern wie Syrien, Afghanistan und im Irak befragen, werde ich auch tun, aber seit Freitag wissen wir ja, dass Krisengebiete auch in Europa liegen können, aber erst mal schönen guten Morgen, Herr Reuter!
Christoph Reuter: Guten Morgen!
Kassel: Reden wir dann doch bitte zunächst mal über Paris: Vor welchen Herausforderungen stehen denn Journalisten, die im Moment von dort berichten?
Reuter: Erst einmal stehen sie natürlich vor der Herausforderung, dass man in einem Pulk mit hängt oder versucht zu fragen, was alle fragen, von Ermittlungsbehörden, die im Moment im Wesentlichen ermitteln und wenig Zeit haben für Pressekonferenzen oder sich auch nicht sicher sind, was können sie teilen, was sollten sie nicht teilen. Die furchtbarste Form oder die furchtbarste Erfahrung von Journalismus, dass man einfach nur Getriebener ist der Ereignisse, ohne selber so recherchieren zu können, wie man das will.
Der Islamwissenschaftler und "Spiegel"-Nahost-Korrespondent Christoph Reuter, aufgenommen 2014
Der Islamwissenschaftler und "Spiegel"-Nahost-Korrespondent Christoph Reuter© picture alliance / dpa / Horst Galuschka
Kassel: Wie geht man denn um dort oder auch anderswo mit Tod, mit Verletzung, mit Blut? Was schildert man anschaulich, zeigt es, wenn man für ein Bildmedium arbeitet und was besser nicht?
Reuter: Na ja, ich weiß nicht, ob man von Paris – ich glaube nicht, ob man dort Tote gezeigt hat, eher aus Respekt nicht. Ich mache selten Berichterstattung aus europäischen Orten, wo es einen Anschlag gegeben hat, sondern eher aus Aleppo oder den Orten, wo die Debatte dann ist, okay, wir zeigen Tote, aber wir zeigen nur jene, die man noch zeigen kann, ohne dass die Leute sich sofort abwenden und haben reihenweise meistens Bilder, die wir für die interne Dokumentation haben, was ist da wirklich passiert, wir können es zumindest belegen, aber das kann man keinem zeigen.
Kassel: Aber hat man das heute wirklich noch komplett in der Hand, wenn man da vor Ort arbeitet? Im Internet werden Dinge verbreitet, man macht sicherlich immer wieder die Erfahrung, dass Redaktionen zu Hause sagen, es ist in der Welt, die Leute fragen uns danach, nun berichte du doch auch.
Reuter: Das ist die Entscheidung der "Bild"-Redaktion. Ich fand das eher verblüffend, als der kleine Ailan Kurdi, dieser vierjährige Junge am Strand von Bodrum angespült wurde, und da einfach lag wie ein schlafendes Kleinkind am Strand, und man hat in vielen Redaktionen ihn trotzdem, oder hat dieses Bild nicht gezeigt, sondern nur das, wo man den Soldaten sieht, der ihn dann davonträgt. Ich fand, das ist etwas, das hätte man ruhig zeigen können: Es sterben Menschen, es sterben auch Vierjährige mit kleinen Schuhen, die liegen dann tot auf dem Strand. Das hätte man zeigen können. Ich finde, es gibt immer noch ein hohes Maß an Zurückhaltung, im Wesentlichen, wenn man Angst hat, man verschreckt die Zuschauer.
Kassel: Wenn eine Krise irgendwo ausbricht, dann berichten ja nicht nur Leute von da, die schon länger vor Ort sind, sondern es werden oft auch Menschen da einfach ganz schnell hingeschickt. Funktioniert sowas wirklich oder beginnt nicht gerade diese Art von Arbeit eigentlich schon, bevor man irgendwo hinfährt?
"Nach Syrien wird niemand mehr geschickt"
Reuter: Ja, nach Syrien wird niemand mehr geschickt, respektive es ist keiner mehr zurückgekommen aus den letzten Monaten, zumindest in den Gebieten des Nordens. Nein, es wäre dringend nötig, dass für solche Gebiete frühzeitig, respektive irgendwann – Syrien zum Beispiel währt ja jetzt seit viereinhalb Jahren –, irgendwann man sich überlegt, gut, wie bereiten wir die Leute vor, dass sie nicht nur auf dem betreuten Journalistenprogramm des Regimes unterwegs sein können, weshalb die Berichterstattung dann irgendwann die Pressestelle oder die Pressearbeit widerspiegelt, wenn man nur noch dort unterwegs ist, sondern wir überlegen uns, okay, wir kommen wir noch an bestimmte Orte auf der anderen Seite, die bombardiert werden, wo es ein Entführungsrisiko gibt. Was können wir machen, um selber dahin zu kommen, wenigstens einmal, wie bauen wir Kontakte auf zu Leuten über einen langen Zeitraum, denen wir trauen können, sowohl als Pfadfinder, als Schutz, um uns von A nach B zu bringen, aber auch irgendwann, um einen Teil der Recherchen zu übernehmen, die wir nicht mehr übernehmen können, wo wir uns aber sicher sein können – aus der Erfahrung dann eben eines längeren Zeitraums –, dass das stimmt, was die machen und wir nicht immer noch dort sitzen und sagen, ja, wir haben da Version A, die sagt das und Version B, die sagt das Gegenteil und wir können das nicht überprüfen, wir wissen nicht, was passiert ist.
Kassel: Was wir aber immer öfter hören natürlich in den letzter Zeit.
Reuter: Ja, aber das ist erbärmlich.
Kassel: Kann man eigentlich aus einem Krisen- oder ganz konkret sogar aus einem Kriegsgebiet –, kann man von dort angemessen und umfassend berichten, ohne sich selber in Gefahr zu bringen?
Risiken vermeiden, die man vermeiden kann
Reuter: Na ja, das ist eine große Grauzone. Ich glaube, es gibt weitaus mehr Möglichkeiten, auch noch aus einem Kriegs-, Krisengebiet zu berichten, ohne dass man gleich an die erste Frontlinie fährt, ohne dass man sich so auffällig benimmt, dass man im Zweifelsfalle entführt wird. Ich habe drei Jahre lang in Afghanistan gewohnt und auch das war möglich. Nur, man sollte eben sich frühzeitig gut vorbereiten, um viele der Risiken zu vermeiden, die man vermeiden kann. Wenn wir nach Entführungen oder Todesfällen von Kollegen immer eine kleine Fallanalyse betreiben, okay, was ist da schief gegangen: Manchmal gibt es Fälle, wo man sich sagt, das hätte mir genauso passieren können, das war einfach ein furchtbar tragischer Zufall, aber in ganz, ganz vielen Fällen guckt man sich an und überlegt sich, das hätte man nicht machen sollen. Man sollte nicht sein eigenes Foto auf Facebook einstellen jeden Abend, ich bin jetzt in Aleppo, wenn man vermeiden möchte, entführt zu werden. Man sollte nicht aussteigen in einem Gebiet, das unsicher ist, sich für eine halbe Stunde auf einen Hügel stellen mit einem Satellitentelefon und in einer anderen Sprache als Arabisch sprechen, dann kann man davon ausgehen, jetzt weiß die gesamte Umgebung, hier steht ein Ausländer. Es gibt einfach ganz, ganz viele Fehler, die man vermeiden kann, nur das muss man eben lernen.
Kassel: Der Journalist Christoph Reuter über die Berichterstattung in und aus Krisengebieten. Er ist einer der Experten eines Workshops zu diesem Thema, der heute in Berlin stattfindet. Herr Reuter, vielen Dank für das Gespräch!
Reuter: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema