Nahost-Experte erwartet Erstschlag Israels gegen den Iran

Michael Lüders im Gespräch mit Susanne Burg · 10.05.2012
Ein Show-Down zwischen Israel und dem Iran sei "relativ unausweichlich", glaubt Nahost-Experte Michael Lüders. Die ultranationalistische Regierung in Jerusalem habe das Ziel, den Iran in die Schranken zu weisen, Teheran werde sich allerdings nicht straflos angreifen lassen.
Susanne Burg: Nur ein Wunder scheint den Iran-Krieg noch verhindern zu können – so beginnt das gerade erschienene Buch von Michael Lüders. Warum die Welt dennoch alles daran setzen sollte, einen israelischen Militärschlag auf den Iran abzuwenden, das führt der Nahostexperte dann auf den folgenden 200 Seiten aus. "Iran: Der falsche Krieg. Wie der Westen seine Zukunft verspielt" heißt das Buch, und Michael Lüders begrüße ich jetzt hier im Studio, guten Tag!

Michael Lüders: Hallo!

Burg: Ja, Sie warnen schon seit Jahren vor einem Krieg gegen den Iran. Nun schreiben Sie, dass ihn nur noch ein Wunder verhindern kann. Warum sind Sie sich so sicher, dass er kommen wird?

Lüders: Ja, der Show-down ist doch relativ unausweichlich, so wie mir scheint. Es gab ja Anfang März eine Begegnung von Benjamin Netanjahu, dem israelischen Premier, mit Barack Obama, dem amerikanischen Präsidenten, im Weißen Haus. Und bei dieser Begegnung haben sich offenbar beide darauf verständigt, dass man noch einen Gesprächszeitraum von zwei Monaten abwarten will mit Blick auf den Iran, um dann weitere Maßnahmen zu besprechen. Verhandlungen finden in der Tat statt in Istanbul im vorigen Monat, in diesem Monat, am 23. Mai, geht es in Bagdad weiter. Sollten diese Gespräche nicht zu dem gewünschten Ergebnis führen, dann wird die Lage sehr schnell wieder eskalieren.

Burg: Israels Premier Netanjahu hat die Bevölkerung vor zwei Tagen auch mit einem Coup überrascht: Am Montagabend dachten noch alle, dass es am 4. September Neuwahlen geben würde, am Dienstagmorgen hat er dann verkündet, dass er die Kadima-Partei in seine Koalition einspannen wolle. Für einen Militärschlag dürfte Netanjahu damit seine Position im Land gestärkt haben. Wie viel näher sind wir denn auch damit dem Krieg gerückt?

Lüders: Nun, diese neue Regierungskoalition, die sich so überraschend angekündigt hat, jetzt, wo man eigentlich eher Neuwahlen haben wollte, ist sicherlich auch vor dem Hintergrund der Eskalation mit dem Iran zu sehen. Denn würde es am 4. September, wie eigentlich geplant, Neuwahlen in Israel gegeben haben, wäre die israelische Regierung bis dahin in der Causa Iran nicht handlungsfähig gewesen.

Jetzt aber stellen sich die Verhältnisse ganz anders dar: Dieses ist die stärkste Regierungskoalition jemals in der Geschichte Israels, 94 Abgeordnete von 120 Knessetabgeordneten stehen hinter Netanjahu und auch seiner Wiederwahl im nächsten Jahr dürfte kaum noch etwas entgegenstehen. Kurzum, er hat jetzt wirklich seine Machposition gestärkt und ist aber klug genug, sich zunächst einmal zurückzuhalten.

Der Auftritt von Benjamin Netanjahu im März in Washington hat zu viel Missstimmung geführt in den USA auch, es ist eigentlich nicht üblich, dass ein so kleines Land wie Israel von der Größe Hessens eine Weltmacht wie die USA so augenscheinlich vorführt, ihm die Agenda vorgibt. Seit dieser Begegnung mit Obama – das hat man den Israelis sehr übel genommen in Washington – gibt es also low profile: Man hält sich zurück, man äußert sich zu diesem Iran-Konflikt überhaupt nicht von israelischer Seite, oder so gut wie nicht. Das bedeutet aber nicht, dass das Problem gelöst wäre oder, salopp gesagt, die Kuh vom Eis. Vielmehr ist es die Ruhe vor dem Sturm.

Burg: Aber auf amerikanischer Seite stehen ja nun auch noch die Wahlen an. Eigentlich hat man dann doch jetzt andere Probleme, als sich noch mit einem neuen Krieg da einzumischen?

Lüders: Die Regierung Obama will diesen Krieg gegen den Iran auf gar keinen Fall, das muss man deutlich sagen. Aber die israelische Regierung ist sehr entschlossen, gegebenenfalls mit einem Militärschlag die vermeintliche iranische Gefahr auszuschalten. Und natürlich weiß Barack Obama, dass die Zeit bis zu den Neuwahlen in den USA, bis zu den Präsidentschaftswahlen im November für ihn potenziell gefährlich ist.

Denn sollte Israel beschließen, im Alleingang den Iran anzugreifen, würden die USA als der engste Verbündete Israels kaum eine andere Wahl haben, als sich, wenngleich mit zusammengebissenen Zähnen, an diesem Krieg aufseiten Israels zu beteiligen. Obama will das auf gar keinen Fall, aber er weiß, er ist "erpressbar", in Anführungsstrichen, bis zu diesen Wahlen. Ist er einmal wiedergewählt, sollte dieses geschehen, dann hat er sehr viele Möglichkeiten in der Hand, um die Israelis zurückzurufen. Aber wir wollen nicht vergessen: Die Entschlossenheit ist groß in Tel Aviv, es hat am 20. Januar, so berichtet die "New York Times", schon startende Flugzeuge gegeben in Richtung Iran. Erst im letzten Moment wurden sie zurückgepfiffen aus Washington, weil man die Eskalation nicht wollte.

Burg: Sie schreiben, es würde in der Causa Iran nur vordergründig um die Atomwaffen gehen, also die Atomwaffen im Iran. Eigentlich geht es darum, Iran, der nicht prowestlich abgerüstet ist, in seine Schranken zu weisen. Was heißt das genau?

Lüders: Ja, zunächst einmal ist es ja bemerkenswert, sich Folgendes vor Augen zu führen: Vorweggeschickt, die Regierung im Iran ist furchtbar, darüber muss man sich, glaube ich, nicht ernsthaft austauschen. Ahmadinedschad hat durch seine wiederholte Holocaust-Leugnung und durch seine antiisraelischen Ausfälle alles getan, um Ängste zu schüren auf israelischer Seite, und er hat gleichzeitig seinen Gegnern in Israel, in den USA und anderswo eine Steilvorlage geliefert, besser hätte er es gar nicht machen können. Das war ein Ausdruck großer politischer Dummheit.

Gleichwohl, die iranische Dämonisierung ist nicht alleine auf ihn zurückzuführen – er ist seit 2005 im Amt, Ahmadinedschad, und eigentlich ein Präsident auf Abruf, seine Fraktion wurde abgewählt bei den Parlamentswahlen, eigentlich könnte man im Westen sich zurücklehnen und sagen, warten wir bis zu den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr, dann wird er nicht mehr antreten können und sein politisches Lager hat sowieso verloren.

Aber, und das ist jetzt der Punkt, um den es geht, es geht in der Causa Iran nur vordergründig um die Atomfrage. In Wirklichkeit geht es darum, den Iran, der neben Syrien der einzige Akteur ist in der Region, der eine nicht prowestliche Politik verfolgt, in die Schranken zu weisen. Und dieses Atomprogramm ist ja, wenn man es sich mal näher betrachtet, insoweit erstaunlich, als nach Informationen und Erkenntnissen der israelischen wie auch der amerikanischen Geheimdienste es keinen Hinweis darauf gibt, dass der Iran an einer Atombombe baut oder vorhätte, dieses zu tun. Der Iran hat null Atombomben, Israel hat 200 bis 300 Atombomben. Allein vor diesem Hintergrund ist die Vorstellung, dass der Iran Israel bedrohen könnte, von der Sache, von der Logik her betrachtet erstaunlich.

Burg: Aber es ist ja doch Tatsache so, Sie haben es erwähnt: Ahmadinedschad zeigt immer wieder die Zähne, er droht, er führt eine sehr aggressive Expansionspolitik durch, er will das Land zur Führungsmacht in der islamischen Welt ausbauen. Der Iran ist ja auch alles andere als eine kleine Kraft, bevölkerungsreich mit rund 78 Millionen Menschen(*). Insofern, hat Israel nicht allen Grund, sich Sorgen zu machen?

Lüders: Ich glaube, dass man sich in Israel vor allem Grund hätte Sorgen zu machen mit Blick auf die Frage, was passiert eigentlich, wenn es zu einem Militärschlag auf den Iran kommt? Wenn man die Zeitung "Haaretz" liest und die dortigen Leitartikler, die man im Internet nachlesen kann, so stellen sie alle die Frage: Natürlich – oder machen die Bemerkung –, wir können natürlich den Erstschlag führen gegen den Iran, aber was kommt dann, wie werden die Iraner reagieren? Die werden sich nicht straflos angreifen lassen.

Und da der Iran nicht über dieselben militärischen Möglichkeiten verfügt wie Israel oder die USA und der NATO hoffungslos unterlegen wäre im Zweifelsfall, wird man asymmetrisch Krieg führen, durch Terroranschläge auch auf saudische Erdölanlagen und dergleichen Dingen mehr. Es würde sozusagen die gesamte Region in Brand setzen. Und Gideon Levy, einer der von mir sehr geschätzten Leitartikler von Haaretz, schrieb einmal einen sehr nachdenklichen Artikel, wo er sich sagte: Der Iran ist eine Kulturnation. Und wenn wir, die Israelis, den Iran angreifen, das werden uns die Iraner niemals verzeihen!

Wir erinnern uns an den Terror der Fatwa gegen Salman Rushdie, Salman Rushdie hat 25 Jahre in Angst gelebt vor dieser Todesfatwa, die Chomeini gegen ihn verhängte wegen der "Satanischen Verse", bis sie dann aufgehoben wurde. Und Gideon Levy stellt die rhetorische Frage, wie wird es uns Israelis ergehen, wenn eine solche Fatwa gegen uns ergehen sollte? Wir können nicht ernsthaft einen solchen Krieg wollen gegen den Iran!

Das sagen übrigens auch führende Vertreter des israelischen Geheimdienstes Mossad und des israelischen Militärs. Es gibt eine kleine Gruppe von Hardlinern, vor allem Benjamin Netanjahu, der Premier, und sein Verteidigungsminister Ehud Barak, die um jeden Preis entschlossen zu sein scheinen, diesen Krieg zu führen. Und das ist besorgniserregend vor allem auch mit Blick auf das, was das mit uns in Deutschland tut. Denn wir sind ja nun Israel in besonderer Weise verpflichtet.

Burg: Der Nahostexperte Michael Lüders ist im Studio, er hat ein Buch geschrieben, ein Plädoyer gegen einen Angriff auf den Iran. Herr Lüders, lassen wir uns auf das … - oder kommen wir zu dem letzten Punkt, den Sie erwähnen, die Folgen für Deutschland: Die Vorstellung der Kriegsbefürworter ist ja, der Krieg würde höchstens drei Wochen dauern. Sie schreiben, ein Angriff im Iran würde dieses Jahrhundert prägen wie der Erste Weltkrieg das 20. Jahrhundert. Woher nehmen Sie diese Überzeugung, was würde im Fall eines Krieges in Deutschland passieren?

Lüders: Also, ich bin zunächst mal überrascht, dass diejenigen, die einem Krieg gegen den Iran das Wort reden, in der Tat davon ausgehen, dass ein solcher Krieg zwei, maximal drei Wochen dauern würde. Das ist eine völlig absurde Vorstellung. Jeder, der sich ein bisschen vertraut gemacht hat mit der Materie, weiß, dass dann der Krieg erst richtig losgehen würde. Die Iraner würden abgestuft reagieren, sie wissen seit Jahren, dass sie mit einem Krieg zu rechnen haben, und sie würden natürlich aufgrund ihres machpolitischen Potenzials vor allem im sogenannten schiitischen Halbmond über die Hisbollah im Libanon ruck, zuck die ganze Region in Brand setzen können. Es würde Gewalt auf Gegengewalt folgen und am Ende wüsste keiner mehr, wie kann man diesen Konflikt lösen, wie kann man ihn eindämmen? Es wäre wirklich ein Flächenbrand wie bei einer chemischen Kettenreaktion und das ist sehr besorgniserregend.

Und wir in Deutschland haben natürlich das Problem … Was heißt, das Problem, wir sind Israel gegenüber besonders verpflichtet, aus gutem Grund, aufgrund der deutschen Geschichte. Das sollte uns aber nicht blind machen mit Blick auf eine Nibelungentreue gegenüber dieser ultranationalistischen Regierung unter Netanjahu in Israel. Solidarität in Israel: ja! Aber wir müssen den Inhalt dieses Begriffes – Solidarität mit Israel – definieren.

Ich würde sagen, Solidarität mit Israel uneingeschränkt, wenn Israel angegriffen würde, aber nicht Solidarität oder gar die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in die Krisenregion für den Fall, dass Israel einen Angriffskrieg, der völkerrechtswidrig wäre, beginnt. Dann, in dem Moment, können wir da nicht mitmachen. Wir müssen uns dann davon distanzieren.

Burg: Was müsste denn Ihrer Meinung nach passieren, um Israel und den Iran zum Einlenken zu bewegen? Wie kann der Westen überhaupt noch gegensteuern?

Lüders: Ja, das ist eine sehr berechtigte Frage und ich fürchte, dass die Möglichkeiten sehr begrenzt sind. Denn im Grunde genommen müsste man die westliche Politik, wie sie seit Jahrzehnten, seit der Revolution 1979, gegenüber dem Iran betrieben wird, überdenken. Man müsste akzeptieren, dass der Iran eine Regionalmacht ist, die beansprucht, ein Machtfaktor zu sein im Nahen und Mittleren Osten. Man müsste dem Iran Sicherheitsgarantien geben, dass dieses Land nicht angegriffen wird durch die USA und oder Israel, dann würde sich die politische Lage sehr entspannen.

Ich möchte darauf verweisen, dass der Vorgänger von Ahmadinedschad, Chatami, der amerikanischen Regierung 2003 weitreichende Verhandlungsangebote gemacht hat bis hin zu einer Normalisierung der Beziehungen zu Israel, bis hin zu einer Beendigung der Unterstützung von Hisbollah und Hamas. Ein sehr weitreichendes Angebot also. Und die amerikanische Regierung sah damals keinen Anlass, unter George W. Bush, auf dieses Angebot einzugehen, was mich in dem Eindruck bestärkt, dass es in dieser Causa Iran nicht darum geht, vernünftige Lösungen auf der Grundlage von Pragmatismus und Augenmaß zu finden, sondern den Iran als Regionalmacht militärisch auszuschalten.

Burg: Das sagt der Nahost-Experte Michael Lüders. Von ihm wurde gerade ein Buch veröffentlicht, das heißt "Iran: Der falsche Krieg. Wie der Westen seine Zukunft verspielt". Erschienen ist es bei C. H. Beck und kostet 14,95 Euro. Herzlichen Dank für Ihren Besuch, Herr Lüders!

Lüders: Vielen Dank!

(*)Die Textfassung weicht hier von der gesendeten Fassung ab. Die Bevölkerungszahl war nicht korrekt wiedergegeben.

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