Nadja Spiegelman: "Was nie geschehen ist"

Die Geschichte einer schwierigen Versöhnung

Nadja Spiegelman: "Was nie geschehen ist"
Nach drei Graphic Novels hat Nadja Spiegelman nun mit "Was nie geschehen ist" ihren ersten Roman veröffentlicht. © dpa / Gregor Fischer / Aufbau Verlag
Von Carsten Hueck · 15.06.2018
Nadja Spiegelman ist die Tochter des legendären Comiczeichners Art Spiegelman. In ihrem Romandebüt erzählt sie die Lebensgeschichten ihrer Großmutter und Mutter Françoise Mouly, der Art-Direktorin des "New Yorker".
Mitte der 1960er Jahre: eine französische Familie im Skiurlaub. Die mittlere von drei Schwestern, Françoise, kündigt an, eine Tarte zu backen. Als sie schließlich auf dem Tisch steht, erklärt der Vater: "Wir brauchen einen Hammer", die Mutter flötet: "Wir brauchen eine Säge." Eltern und Geschwister amüsieren sich prächtig, Françoise nicht.
Niemand probiert ihre Zitronentarte, "obwohl sie bis heute darüber sprachen, wie ekelhaft sie geschmeckt habe" - eine Kindheitsszene, die Françoise viele Jahre später ihrer Tochter Nadja erzählt.

Das Kind weltbekannter Eltern

Nadja Spiegelman, 1987 geboren, ist die Tochter von Art Spiegelman, dem legendären Comiczeichner, und Françoise Mouly, der Art-Direktorin der Zeitschrift "The New Yorker".

Nach drei Graphic Novels hat Nadja Spiegelman nun ihren ersten Roman veröffentlicht: "Was nie geschehen ist", ein Erinnerungsbuch, in dem die Autorin die Geschichte ihrer Mutter Françoise sowie ihrer Großmutter Josée rekonstruiert. Die ihres Vaters und seiner Eltern ist weltbekannt geworden, "Maus" heißt die Graphic Novel über einen Auschwitz-Überlebenden, für die er den Pulitzer Preis erhielt.

Eine wohlhabende, aber kaputte Familie

Im Buch der Tochter spielt Art Spiegelman nun kaum eine Rolle, im Mittelpunkt steht der Lebensweg ihrer Mutter: 1955 in Paris geboren, wächst sie mit zwei Schwestern in einer äußerst wohlhabenden, aber kaputten Familie auf. Ihr Vater macht als Schönheitschirurg Karriere, verkehrt in der High Society, wird Ritter der Ehrenlegion, aber ist eben auch ein Spieler und Schürzenjäger.
Ihre Mutter Josée hat irgendwann die Nase voll, auch sie lässt sich auf Affären ein und zieht auf ein Hausboot, das sie mit japanischen Schiebetüren und Whirlpool ausstattet, während Françoise, die bereits als Dreizehnjährige zum Psychotherapeuten geschickt wurde, durch die Welt reist.
In New York schlägt sie sich mit Gelegenheitsjobs durch, haust im Schlafsack in einer leer stehenden Fabriketage. Für vier Monate und einen Selbstmordversuch kehrt sie nach Paris zurück, dann wieder New York, dann wieder Paris, Depression, Schlaftabletten. Aber sie ist zäh und künstlerisch begabt, gründet einen Kinderbuch- und Comicverlag, macht Karriere.

Gespräche mit der Mutter: eine Art Heilung

Nadja Spiegelman arbeitet aufgrund beharrlicher Gespräche mit ihrer Mutter – später auch mit der Großmutter – die Muster heraus, die drei Generationen verbinden: Vernachlässigung und Demütigung in der Familie, Sehnsucht nach Liebe, zugleich ausgeprägter Selbstbehauptungswille, Aufbegehren und hervorstechende Schönheit.
Die Erinnerungen der Frauen sind häufig nicht deckungsgleich, Egozentrik und gegenseitige Verletzungen nehmen einen großen Raum ein. Und doch entsteht am Ende eine Art Heilung und das Gefühl der Gemeinsamkeit.
"Was nie geschehen ist" ist ein Buch über Wunden. Und die Emanzipation von Frauen, die sich beeindruckend gegen männliche Dominanz und gesellschaftliche Konventionen behaupten.

Nadja Spiegelman: "Was nie geschehen ist"
Aus dem Amerikanischen von Sabine Kray
Aufbau Verlag, Berlin 2018
394 Seiten, 22,00 Euro

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