Nachwuchwissenschaftler diskutieren ihre Forschung

01.07.2010
18 jüngere Wissenschaftler zeigen, mit welchen Themen sich die Gesellschaft in Zukunft auseinandersetzen muss. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach dem Wesen des Menschen.
"What’s next?": Früher hätte man den Seufzer Zukunftsforschern überlassen – in diesem neuen Buch widmen sich 18 jüngere Wissenschaftler dieser Frage. Sie definieren damit, so der Herausgeber Max Brockman, "mit welchen Themen sich die Gesellschaft in Zukunft auseinandersetzen muss".

Nicht wenige zielen dabei mit ihrer Grundlagenforschung auch auf die lange nicht mehr gestellte, bis vor Kurzem angestaubt wirkende Frage nach dem Wesen des Menschen. Sie wollen dazu beitragen, "dass wir neu definieren, wer und was wir sind".

Scheinbar harmlose und akademisch trockene Forschungsfragen entpuppen sich dabei oft als Sprengsätze. Zum Beispiel die Frage nach der zeitlichen Verarbeitung verschiedener Komponenten eines alltäglichen Erlebnisses. Akustische, visuelle, taktile und andere Reize werden jeweils von unterschiedlichen Hirnbereichen verarbeitet, und die funktionieren nicht zeitgleich.

Wie also koordiniert unser Hirn die unterschiedlichen Komponenten, sodass die Reize als ein Ereignis wahrgenommen, gedeutet und in seiner Relevanz beurteilt werden; dass sie mit anderen Gedächtnisinhalten abgeglichen und als Muster für künftiges Handeln gespeichert werden?

Könnte es sein, dass bestimmte Störungen – Dyslexie zum Beispiel, das eingeschränkte Lesevermögen – nicht auf Defekte der Sprachfähigkeit zurückgehen, sondern auf eine gestörte zeitliche Verarbeitung? Möglicherweise werden hier akustische und visuelle Repräsentationen zeitlich nicht richtig koordiniert, vermutet der Neurologe David Eagleman.

Oder ein anderes Beispiel: Unterschiede der Sprache bedingen nachweislich unsere Denkstrukturen, betont die Linguistin Lera Boroditsky. Sprache ist nicht nur Ausdruck von Inhalt, sie hat eine Definitionsmacht. Analog dazu steuern kulturelle Wertvorstellungen und Begriffe jeweils unterschiedliche Evolutionsmuster, zeigt der Oxforder Philosoph Nick Bostrom.

Und längst haben Anthropologen den Nachweis erbracht, dass, umgekehrt, unterschiedliche biologische, etwa genetische Muster wiederum jeweils andere kulturelle und soziale Wertpräferenzen entstehen lassen.

Dass Buddhismus und Konfuzianismus sich im Osten festsetzten und das Christentum im Westen: Dies sei kein Zufall, behauptet der Neuropsychologe Matthew Lieberman – sondern eine Art bio-kognitiver Konsequenz, evolutionär gewachsen, genetisch bedingt, hormonell gesteuert durch den Botenstoff Serotonin.

Überraschend viele Forscher fordern – angesichts der wachsenden Möglichkeiten, in die Natur einzugreifen – eine bewusste Steuerung der Evolution. Experimente an Tieren zeigen, dass Menschen allein durch Änderungen eines Lebensumfelds in wenigen Generationen genetische Veränderungen bewirken können, auch ohne direkt ins Erbmaterial einzugreifen, berichtet der Biologe Brian Hare. Wünschenswerte Menschentypen werden ohnehin längst gezüchtet: Erziehung ist nichts anders als der Versuch einer solchen evolutionären Steuerung.

Zum Thema: Treffen der Nobelpreisträger in Lindau

Besprochen von Eike Gebhardt

Max Brockman (Hg.): Die Zukunftsmacher. Die Nobelpreisträger von morgen verraten, worüber sie forschen
Aus dem Amerikanischen von Sebastian Vogel
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Mein 2010
270 Seiten, 19,95 Euro