Nacht der Sternschnuppen

Wie ein Wunsch das Leben verändern kann

Das Sternschnuppen-Schauspiel am Himmel über Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) verfolgen Besucher der Burg Giebichenstein.
Das Sternschnuppen-Schauspiel am Himmel über Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) verfolgen Besucher der Burg Giebichenstein. © picture alliance / dpa / Hendrik Schmidt
13.08.2015
Der Mensch hat ein besonderes Verhältnis zu Wünschen, meint der Anthropologe Christian Wulf nach der Nacht, in der besonders viele Sternschnuppen über Deutschland zu sehen waren. Wünsche seien Zukunftsentwürfe, die Einfluss auf die Veränderung des Leben haben könnten.
Das Wünschen ist eine Grundhaltung des Menschen, sagt Christian Wulf, Professor am Arbeitsbereich Anthropologie und Erziehung der Freien Universität Berlin: Denn unser Leben besteht oft aus Mangel und nicht alle Erwartungen werden erfüllt. Doch das Verlangen, das sich in Wünschen artikuliert, kann eine große Kraft entwickeln und damit schon einen Einfluss auf unser Leben gewinnen.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel:!! Es gibt, glaube ich, viele unausgeschlafene Leute heute Morgen, denn in der vergangenen Nacht konnte man besonders viele Sternschnuppen sehen. Das liegt an dem Meteorschwarm der Perseiden, der an der Erde vorbeizieht, wie viele sagen. Das ist eigentlich wissenschaftlich Quatsch, eigentlich bewegt sich die Erde durch diesen Schwarm. Das tut sie jedes Jahr um diese Zeit, aber in diesem Jahr kann man das alles besonders deutlich beobachten, denn morgen ist Neumond, das heißt, in der vergangenen Nacht war der Mond quasi gar nicht da. Und deshalb haben sich an einem der dunkelsten Orte Deutschlands, in Gülpe in Brandenburg viele Menschen getroffen, unter anderem mein Kollege Gerhard Richter, um diese Sternschnuppen zu sehen. Man muss dazu sagen, am Anfang waren die alle sehr enttäuscht, weil es viele Wolken gab, aber das wurde dann plötzlich dann doch noch anders. (Es folgt Einspielung)
Gerhard Richter hat für uns die Sternschnuppen beobachtet, die uns der Perseidenstrom in der vergangenen Nacht, übrigens in den kommenden Nächten auch noch, beschert hat. Er hat das in Gülpe in Brandenburg beobachtet, wo er wie viele andere aus naturwissenschaftlichem Interesse da war, angeblich. Aber vermutlich haben sich fast alle was in der vergangenen Nacht gewünscht. Aber warum tun Menschen das? Das wollen wir jetzt mit Christian Wulf klären. Er ist Professor am Arbeitsbereich Anthropologie und Erziehungswissenschaften der Freien Universität Berlin. Guten Morgen, Herr Wulf!
Christian Wulf: Guten Morgen!
Kassel: Der eine oder andere Laie hat sich hörbar ja gerade schon daran versucht, aber jetzt Sie als Fachmann: Woher kommt dieser Glaube?
Das doppelte Verhältnis zu Sternschnuppen
Wulf: Nun, das ist eine sehr komplexe Geschichte, weil es diese Auseinandersetzung mit den Sternschnuppen in ganz vielen Kulturen gibt. Wir haben ein doppeltes Verhältnis zu den Sternschnuppen. Das eine ist die wissenschaftliche Erklärung, es handelt sich um einen Kometen, Swift Tuttle, und es sind die kleinen Staubkörner, die oft ja nur ein paar Millimeter groß sind, die wir dann sehen, wenn sie verglühen. Da s ist die eine Erklärung.
Dann gibt es aber die andere, das ist die mythische Erklärung. Wir haben ja ein Naturleben, und wir haben das ja gerade gehört auch von den Teilnehmern dieses Treffens, es ist einfach überwältigend, das zu sehen. Und es ist ja in der dunklen Nacht, und da gibt es plötzlich Licht. Das ist ja ganz altes Verhältnis zwischen Licht und Dunkel, was angesprochen wird. Und wir Menschen, wir haben natürlich ein besonderes Verhältnis zu den Wünschen. Ein Tier hat im Grunde genommen ein Leben, das durch die Instinkte bestimmt ist, das ist relativ geschlossen. Bei uns ist es offen, wir müssen uns selbst hervorbringen.
Und die Wünsche spielen eine ganz große Rolle dabei, dass wir uns in die Zukunft entwerfen. Und das geschieht natürlich bei den Wünschen in solchen Momenten, die eben hervorragend sind. Weil sie aus der Natur hervorragen und gleichzeitig natürlich auch in unserem Leben, wenn wir uns etwas wünschen können. Denn prinzipiell gilt ja, dass wir ein Mangelwesen sind. Uns fehlt immer irgendetwas, und die Wünsche sind eine Form, wie wir das Fehlen irgendwie kompensieren, uns in die Zukunft werfen und sagen, na ja, es wird ja irgendwie doch gelingen.
Der Glaube an Sternschnuppen in der Mongolei
Kassel: Es gibt einen sehr berühmten Popsong in der englischsprachigen Welt, "I'm wishing on a Star", den gibt es in ganz vielen Versionen. Sie haben es ja schon ein bisschen angedeutet, dieser Sternschnuppen-Wunschglaube, ist der wirklich weltweit gleich?
Wulf: Nein, der ist nicht gleich. So gibt es zum Beispiel in der Mongolei einen Glauben – ich war vor einigen Wochen in der Mongolei. Und wenn man da mit den Nomaden spricht, da kommen ganz andere Vorstellungen zum Tragen: Etwa die, dass dort die Verstorbenen auf der Reise sind, und man sieht sozusagen Spuren davon. Oder Sie finden im Alten Testament bei Jesaja auch die Vorstellung, dass hier die göttliche Kraft sichtbar wird. Sie haben dann andere Volksglauben, der besagt, dass die Engel den Himmel sauber machen und so weiter. Das ist ja das, dass man sich etwas nicht erklären kann. Es war eine besondere Situation, ein Ereignis, und jetzt beginnt unsere Phantasie, Erklärungen zu bringen.
Und da gibt es natürlich auch die naturwissenschaftliche Erklärung. Aber die können ja nebeneinander leben. Sie haben heute ja auch sehr kluge Leute, die auf Holz klopfen, wenn irgendwas in Erfüllung gehen soll, und so weiter. Also wir leben einmal in der rationalen, wissenschaftlichen Welt, und wir leben dann auch in einer mythischen Welt. Nur können wir natürlich wechseln zwischen einer Welt in die andere, und das ist auch etwas Spielerisches.
Aber so ganz klar sind die Dinge nicht, weil wir uns ja etwas wünschen: Und Wünschen ist eben eine Grundhaltung des Menschen, weil unser Leben eben auch aus Mangel besteht und nicht alles erfüllt wird. Und hier spielt das eine große Rolle, dass man die Zukunft durch einen Wunsch gestaltet. Und da kann man ja sehr intensive Wünsche haben, sehr wichtige Wünsche. Und es gibt natürlich auch Wünsche, die tauchen einfach auf und man formuliert sie für sich selber. Und das Festhalten an Wünschen ist ja auch eine Kraft. Man intensiviert seine Energien, wenn man an einen Wunsch denkt, wenn der einem bewusst geworden ist, und sagt, na, das will ich jetzt endlich erreichen oder Ähnliches.
Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Aberglauben
Kassel: Das heißt, das Ganze hat eine Funktion auch bei den Menschen: Und ich glaube, das ist zumindest in Deutschland schon die Mehrheit, die genau wissen, dass das natürlich Quatsch ist und das so ein winziges All-Teilchen natürlich keine Wünsche erfüllt. Trotzdem, auch wenn man das weiß, macht es Sinn, an das zu glauben?
Wulf: Na ja, man muss vorsichtig sein. Allein, wenn man den Glauben hat und wenn man an einen Wunsch glaubt, egal jetzt, in welchem Zusammenhang, ob das rational begründet ist, dann ist das ja unter Umständen eine Kraft, die da sich artikuliert und die dann doch schon einen Einfluss auf das Leben haben kann. Also wir haben die naturwissenschaftliche Erklärung, ist völlig klar.
Gleichzeitig leben wir aber auch in mythischen Zusammenhängen, in magischen Zusammenhängen. das ist eben der moderne Mensch, der in ganz vielen Bereichen leben kann und nebeneinander diese Dinge haben kann. Und dann kann natürlich auch der Wunsch wirklich zu einer Veränderung des Lebens führen. Also auch wenn man weiß, dass der Grund für den Wunsch vielleicht ein ganz anderer ist und ein lapidarer Grund ist. Und das ist etwas, was so interessant ist bei diesen Phänomenen. Und das gibt es ja sehr viel im Alltagsglauben. Man nennt das dann Aberglauben, aber die Frage ist immer, was sind die ungewollten, oder was sind die erwünschten Nebenwirkungen solchen Glaubens. Und da gibt es eben doch schon einiges.
Ästhetische Schönheit
Kassel: Jetzt mal Butter bei die Fische, Professor Wulf: Wenn Sie eine Sternschnuppe sehen, gucken Sie dann die anderen Menschen an, weil das dann Ihr Forschungsgebiet ist, oder wünschen Sie sich auch was?
Wulf: Nein, also, je nachdem. Aber in der Regel lasse ich mich erst mal auch von der Schönheit eines solchen - manchmal ist es ja ein richtiger Sternschnuppenregen - erfassen und finde das also ästhetisch sehr faszinierend. Und dann habe ich auch durchaus den einen oder anderen Wunsch, den noch mal auftaucht und der für mich wichtig ist. Und ich gehe dem durchaus nach.
Ich weiß natürlich, dass es nicht so ist, dass die Sternschnuppe mir den Wunsch erfüllt. Aber wenn ich mir den Wunsch klar mache und ihn wirklich als bedeutend für mein Leben ansehe, dann hat das schon eine Wirkung. Und dann ist die Sternschnuppe gleichsam der Anlass dafür, dass etwas anderes geschieht in meinem Leben, etwas Neues geschieht.
Kassel: Und diese Sternschnuppen kann man übrigens – letzte Nacht war die Gelegenheit eigentlich am besten, aber man kann sie auch noch in den kommenden Nächten ziemlich gut sehen, wenn das Wetter mitspielt. Und der Mond bleibt ja erst mal klein.
Wulf: Ja. Und auch in anderen Zeiten, also im November gibt es dann die Leoniden, im Dezember die Geminiden, die man sich anschauen kann. Also wir haben auch Sternschnuppen zu anderen Zeiten, aber sie sind jetzt besonders intensiv.
Kassel: Also man muss aufpassen, dass man auf die Dauer nicht die Welt überfordert mit zu viel Wünschen ...
Wulf: So ist es.
Kassel: Das war Christian Wulf von der Freien Universität Berlin, forscht unter anderem zum Thema Rituale. Herr Wulf, vielen Dank, und ich wünsche Ihnen, dass alle Wünsche in Erfüllung gehen!
Wulf: Vielen Dank, wünsche ich Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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