Nachrichtendienste

Terrorabwehrzentrum ohne Kontrolle

Die Ausfahrt des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) in Berlin.
Die Ausfahrt des Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums (GTAZ) in Berlin. © picture alliance / dpa / Tim Brakemeier
Matthias Bäcker im Gespräch mit Dieter Kassel  · 28.10.2014
Seit zehn Jahren gibt es das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin. Allerdings fehlt diesem nach wie vor eine Rechtsgrundlage, da das Trennungsgebot zwischen Polizei und Nachrichtendiensten permanent verletzt wird, sagt der Staatsrechtler Matthias Bäcker.
Dieter Kassel: Seit genau zehn Jahren gibt es jetzt das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum in Berlin, GTAZ abgekürzt. Gegründet wurde es damals 2004 natürlich als Reaktion auf die Terroranschläge des Jahres 2001, aber die Vorgeschichte dieser Einrichtung reicht eigentlich noch viel weiter zurück.
Bei uns kommt jetzt Matthias Bäcker zu Wort. Er ist Professor für Staatsrecht an der Universität München und war zwischen 2001 und 2013 Mitglied einer Kommission der Bundesregierung zur Überprüfung der Sicherheitsgesetzgebung. Schönen guten Morgen, Professor Bäcker!
Matthias Bäcker: Guten Morgen!
Kassel: Wenn man sich das anhört, was gerade noch mal Gudula Geuther erklärt hat, dann könnte man als Laie die Vermutung haben: Ganz streng genommen ist die Arbeit des gemeinsamen Terrorabwehrzentrums illegal. Kann man so weit gehen?
Bäcker: Diese Vermutung ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Dabei geht es weniger um die Frage, ob man etwas inhaltlich gegen diese Zusammenarbeit hat, als um die Frage, wie diese Zusammenarbeit rechtlich strukturiert werden muss. Die Bundesregierung und die teilnehmenden Behörden sind ja der Auffassung, dass im GTAZ eigentlich nichts anderes stattfindet als ganz normale Informationsübermittlungen zwischen den beteiligten Behörden, für diese Übermittlungen gibt es Rechtsgrundlagen, und das soll ausreichend sein.
Ich würde aber sagen: Der informationelle Austausch zwischen den Behörden wird im Rahmen der Zentren so stark verstetigt und verfestigt und auch qualitativ geändert, dass diese Auffassung eigentlich nicht haltbar ist, sondern man bräuchte für diese Zentren eine besondere Rechtsgrundlage, die dann auch die besonderen Gefährdungen abschirmen müsste, die durch diese Zusammenarbeit entstehen und die auch besondere Kontrollmechanismen vorsehen müsste.
Kassel: Welche Gefährdungen sehen Sie denn da?
Trennungsprinzip zwischen Nachrichtendiensten und Polizei
Bäcker: Es macht einen Unterschied, ob eine Behörde gelegentlich mal punktuell Erkenntnisse an eine andere Behörde weiterleitet, oder ob solche Behörden im Rahmen einer regelmäßigen Zusammenarbeit aus den Daten, die sie jeweils getrennt haben, völlig neue Informationen generieren. Das ist ein Vorgang, der qualitativ über eine einzelne Datenübermittlung weit hinausreicht. Man kann so was sich vorstellen, dass das gemacht werden kann, gerade wenn es um sehr schwerwiegende Gefährdungen geht, aber man muss sehen, dass man damit dieses Trennungsprinzip, das wir gerade zwischen Nachrichtendiensten und Polizei und Strafverfolgungsbehörden haben, dass man dieses Trennungsprinzip ziemlich weitgehend zunichte macht. Wenn man das rechtfertigen will, braucht man dafür einen guten Grund und man braucht auch besondere materiellrechtliche, also inhaltliche und verfahrensrechtliche Absicherungen.
Kassel: Aber ist dieses Trennungsprinzip, dieses Trennungsgebot nicht auch außerhalb solcher Zentren in der täglichen Arbeit sowieso hinderlich? Grundsätzlich kann die Polizei einen Nachrichtendienst etwas fragen und der kann dann auch antworten und umgekehrt, aber das klingt für Laien auch manchmal nach einer Verwaltungsvorschrift, die eher alles komplizierter und langsamer macht.
Bäcker: Die Idee hinter dem Trennungsprinzip ist, dass Nachrichtendienste und Polizeibehörden ganz unterschiedliche Aufgaben haben und deswegen auch mit unterschiedlichen Maßnahmen ausgestattet werden. Die Nachrichtendienste, die sollen ein politisches Frühwarnsystem sein, das sich deswegen schon sehr frühzeitig alle möglichen, ganz vagen Anhaltspunkte anschaut, um zu gucken, ob irgendwo möglicherweise irgendwann einmal Gefährdungen entstehen. Das führt dazu, dass die Erkenntnisse, die Nachrichtendienste sammeln, häufig sehr ambivalent sind, sehr unterschiedlich bewertet werden können, auch sehr unsicher sind. Polizeibehörden und Strafverfolgungsbehörden sollen konkrete soziale Konflikte lösen und das durchaus mit scharfen Zwangsmaßnahmen.
Wenn man jetzt solche scharfen Zwangsmaßnahmen an relativ vage Anhaltspunkte knüpft, dann kann das dazu führen, dass in vielen Fällen letztlich die Falschen getroffen werden und dass es also zu erheblichen Kollateralschäden kommt, wenn man das so nennen möchte. Gerade dieser Gefahr soll das Trennungsprinzip vorbeugen, indem man sagt: Wenn Erkenntnisse übermittelt werden von Nachrichtendiensten zu Polizeibehörden, dann muss es eben auch um wirklich erhebliche Problemlagen gehen und dann muss ein bisschen mehr dran sein als bloß allgemeine vage Anhaltspunkte.
Kassel: Aber ist das Trennungsprinzip so gesehen nicht ein Prinzip aus einer anderen Zeit, aus einer Zeit, in der es auf der einen Seite klassische Verbrechen gab – dafür war die Polizei zuständig – und meinetwegen Spionageattacken – dafür waren die Geheimdienste zuständig? In der Zeit des heutigen islamistischen, des rechtsextremen und sonstigen Terrors ist das doch nicht mehr so zu trennen.
Keine Spionage auf Verdacht
Bäcker: Nun, ich glaube nicht, dass das stimmt, denn letztlich haben wir es auch im Terrorismusbereich mit einzelnen Gewalthandlungen zu tun, auf die zugegebenermaßen komplexe Geschehensabläufe hinarbeiten, und sobald eine solche Gewalthandlung auch nur recht grob konturiert absehbar ist, hat ja niemand was dagegen, dass Erkenntnisse an die Polizei und Strafverfolgungsbehörden übermittelt werden. Gleichwohl ist es ein grundsätzliches rechtsstaatliches Gebot, dass eben nicht sozusagen auf Verdacht große Teile der Bevölkerung ausspioniert oder gar mit Zwangsmaßnahmen wie Inhaftierung, Geld, Vermögen einfrieren oder so was belegt werden. Das wäre nicht nur völlig unverhältnismäßig, sondern auch völlig kontraproduktiv, weil man letztlich die gesamte Rechtsordnung nach Maßgabe terroristischer Vorstellungen strukturieren würde.
Kassel: Wenn man nun ein neues Gesetz, eine Regelung schaffen würde für das GTAZ, das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum – wäre das nur eine Formsache, die nachträglich legitimiert, was da gemacht wird, oder denken Sie, das würde auch die Arbeit dieses Zentrums verändern müssen?
Funktionierender Kontrollmechanismus nötig
Bäcker: Ich gehe davon aus, dass beim Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum, das sich ja mit dem internationalen und vor allem islamistischen Terrorismus befasst, dass in der Tat die Arbeit auf der inhaltlichen Ebene wahrscheinlich gar nicht besonders stark leiden müsste durch eine solche Rechtsgrundlage. Die Hauptbedeutung hier wäre, dass man einen Kontrollmechanismus einrichten müsste, der wirklich funktioniert. Im Moment ist es so, dass alle teilnehmenden Behörden zwar kontrolliert werden, zum Beispiel von den zuständigen Datenschutzbeauftragten, es gibt aber keine Stelle, die das ganze Zentrum als solches kontrolliert. Das ist ein Problem, weil man den Informationsaustausch dort qualitativ wahrscheinlich nur erfassen kann, wenn man eben wirklich auch den Blick auf den gesamten Sachverhalt hat. Hinzu kommt, wenn man eine Rechtsgrundlage hat, dass man eben auch Maßstäbe für die Kontrolle vorfindet und nicht nur diese ziemlich vagen Datenübermittlungsvorschriften aus den verschiedenen Gesetzen dieser Behörden zur Verfügung hat.
Es gibt aber, wie ja einleitend auch schon bemerkt wurde, neben dem GTAZ auch noch ein anderes wichtiges Zentrum, dieses GETZ, und da müsste man sich auch mal anschauen, ob da nicht auch die Tätigkeit des Zentrums vielleicht inhaltlich betroffen ist, denn ich glaube, dass eine so intensive informationelle Zusammenarbeit nur legitimiert werden kann, wenn es wirklich um ganz schwerwiegende Gefährdungen geht für Leib, Leben, schwerwiegend für die Freiheit der Person oder für ganz zentrale Infrastruktureinrichtungen. Wenn man es jetzt mit Bereichen zu tun hätte, wo politisch motivierte Kriminalität sich vor allem an Sachen auslebt, wo Autos angezündet werden oder so was, glaube ich nicht, dass das ausreicht, um das Zentrummodell zu rechtfertigen. Und so weit im GETZ so was bearbeitet werden sollte, müsste man sich darüber wohl Gedanken machen.
Kassel: Herzlichen Dank! Matthias Bäcker war das, Professor für Staatsrecht an der Universität München, zum Gemeinsamen Terrorabwehrzentrum und ähnlichen Einrichtungen. Das Gemeinsame Terrorabwehrzentrum feiert nämlich heute sein zehnjähriges Bestehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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